„Streng dich an, George! Dein Patient ist schon beinahe tot. Willst du, dass er schon so früh in Gottes Arme geleitet wird? Willst du das?“
„Klar, Gott.“, murrte George leise und pumpte weiter den Brustkorb seines Dummys. Dass George mittlerweile nicht mal mehr an Jesus glaubte, war schon ein Wunder. Er war in seinem ganzen Leben streng und konservativ erzogen worden und jetzt hatte er aufgehört einer Macht zu vertrauen, die als die oberste überhaupt galt. Er hatte einfach aufgehört. So weit hatte es der Resistentia-Orden schon gebracht.
„Herzlichen Glückwunsch, dein Soldat ist soeben abgekratzt.“, kicherte ein Mädchen aus der Hexenküche leise. George streckte ihr die Zunge heraus.
„Es ist vorbei, George, hör auf!“, mahnte nun auch eine Nonne, die sie beaufsichtigte. Sie alle saßen in einem kleinen stickigen Gewächshaus zwischen Tomaten und Zwiebeln und atmeten abgestandene Luft ein. Sie hatten gesagt, das wäre eine gute Übung. Sie hatten gesagt, im Krieg würden sie unter viel schlimmeren Bedingungen Leben retten müssen. Genau das hatten sie gesagt. Enttäuscht stemmte George sich hoch, ergriff das Fußgelenk seiner demolierten Puppe und schliff sie durch den Dreck zu den anderen. Warum konnte Robyn nur nicht hier sein und ihnen helfen?
„Weil sie zu den Älteren gehört und bereits alles über Versorgung weiß.“, äffte er leise Schwester Catherine nach. Er wusste doch auch schon so gut wie alles über Erste-Hilfe. Wenn er früher etwas mit seiner Schwester unternommen hatte, heimlich natürlich, dann hatte er sich oft und gerne mal das Knie aufgeschlagen und einmal, als sie an einen kleinen Fluss in der Nähe ihres Landanwesens gegangen waren um die Stromschnellen zu beobachten, war er ausgerutscht und hatte sich sogar den linken Arm gebrochen. Maryann, seine Mar, hatte ihn damals Huckepack genommen, oder hatte sie ihn auf die Schultern gesetzt?, und bis nach Hause getragen. Dort hatten sie sich in ihrem Zimmer versteckt und sie hatte ihn getröstet, bevor sie heimlich den Wagen ihrer Mutter stibitzt hatten und ins Krankenhaus gefahren waren. Mar hatte noch nicht mal einen Führerschein gehabt, aber sie fuhr fantastisch. Sie war für ihn gefahren. Die ganze Fahrt über hatte sie ihn beruhigt und gesagt, dass alles gut werde und dass er keine Angst vor ihrer Mutter haben bräuchte, weil sie ihn ja schließlich fuhr. Sie hatte all den Zorn, all die Wut auf sich genommen, damit es ihm gut ging. Das war vor nunmehr zwei Jahren gewesen und überrascht stellte George fest, dass er damals Geburtstag hatte. Diandra Westminster hatte damals für abends eine große Feier organisiert mit alten aber unglaublich wichtigen Leuten. Es hätte Champagner und Kaviar gegeben und sie hätten stundenlang über Gott und die Welt philosophiert. Einem Kindergeburtstag glich das schon lange nicht mehr und somit war George sogar fast glücklich, dass er die Nacht im Krankenhaus verbringen musste. Mit seiner Schwester. Mit seiner Schwester Maryann Westminster.
Gelassen schlenderte Chrystal den Flur zum Mädchentrakt entlang. Ein langer Tag neigte sich dem Ende zu und sie hatte heute Dank Carma viel zu viel Zeit in der stickigen und heißen Schmiede verbracht. Manchmal zweifelte sie eine Verwandschaft zu ihrem Zwilling tatsächlich an. Wie konnte man nur den ganzen Tag trällernd in einem gefühlt fünfzig Grad heißen Backofen sitzen und Bogen bespannen oder Schwerter in kaltes Wasser tauchen. Diese Hingabe, ekelhaft. Vor allem, weil sie nicht mal freiwillig hier waren. Carma' s Enthusiasmus glich beinahe einer Krankheit, als wäre ihr Hirn vernebelt. Sie hatte sich als erstes gefangen gehabt, als sie damals abgeholt worden waren. Sie hatte es schon nach wenigen Tagen hingenommen. Selbst, dass sie in diesem gruseligen Transporter betäubt wurden, hatte sie ganz schnell beiseite geschoben. Als sie damals in ihr Zimmer gebracht wurden, hatte sie nur gelächelt und gesagt, dass es ihr gefiele. Eindeutig, Carma hatte nicht mehr alle Tassen im Schrank. Selbst jetzt, wo es schon fast dunkel war, saß sie noch an ihrem Tisch und beendete ihre angefangene Arbeit. Chrys war froh, endlich zu Abend essen zu dürfen. Sie machte sich schon längst nicht mehr die Mühe, ihre Schwester mit zu zerren, wenn die so blöd war und nichts Besseres zu tun hatte, dann war das ja nicht ihr Problem. Gut, eigentlich hatten sie tatsächlich nichts Besseres zu tun, aber das sei mal außer Acht gelassen. Seufzend streifte Chrystal mit der Hand die sterile Wand und ihre Schritte waren das einzige Geräusch, das man weit und breit hören konnte. Die anderen schienen entweder schon im Speisesaal oder noch arbeiten zu sein. Sie lief also immer weiter, bis sie entfernt Stimmen hörte und ihre Schritte verlangsamte. Wenige Meter vor ihr ging ein schmaler Gang von ihrem ab und von dort vermutete sie das Gespräch. Vorsichtig tastete sie sich vor, bis sie schließlich an der Ecke angelangt war. Jetzt erkannte sie deutlich zwei männliche Stimmen, die sich bemühten mehr oder weniger leise zu diskutieren. Kurz zögerte sie, doch dann riskierte Chrystal einen kleinen verstohlenen Blick auf die Personen und sie hatte Glück, beide hatten ihr den Rücken zugewandt. Es waren zwei Männer, der eine groß und bullig und der andere viel kleiner aber durchaus trainiert in seiner blauen Uniform. Das mussten wohl Meister Phil und ein Krieger aus Pugno sein. Ein ziemlich kleiner allerdings, oder wirkte das neben dem Meister nur so?
„Das muss alles schneller gehen! Sie wissen seit Monaten, dass Sie ihre Leute einteilen müssen.“, meinte der Krieger sogar etwas zickig.
„Wie soll ich das denn bitte einteilen? Meinen S'e nich, dass man dafür Zeit braucht? Ist schließlich für uns alle das erste Mal.“, antwortete Phil sogar etwas niedergeschlagen.
„Sie wissen genau, dass es uns allen schwer fällt, in eine Schlacht zu ziehen.“
Meister Phil gab ein grunzendes Lachen von sich. Sein Oberkörper vibrierte förmlich.
„Jetzt tun S'e mal nicht so. Sie haben sich das doch ausgedacht. Eine Schweinerei ist das. Die armen Kinder, sage ich da nur. Da haben es meine Schützlinge ja noch am besten, die müssen immerhin nicht irgendwelche unschuldigen Leute abschlachten.“
Bei dem letzten Wort zuckte Chrys zusammen und gab ein leises, aber hörbares Quieken von sich. Sofort presste sie sich an die Wand und hielt den Atem still. Sie konnte sich gut vorstellen, wie die zwei Männer sich umdrehten und verwirrt den Gang betrachteten. Doch sie hatte Glück, denn sie schienen der Meinung sich das Geräusch nur eingebildet zu haben und redeten weiter.
„Es liegt nicht in Ihrer Hand, sich darüber zu beschweren, Master Phil! Sie werden ausreichend dafür vergütet. Und dafür wollen wir Resultate sehen. Morgen steht die Einteilung und wird an Haus Pugno weitergeleitet, egal auf welchem Wege.“ Kurz schwiegen beide.
„Morgen, Master Phil, Morgen! Und vergessen Sie nicht, es gibt nur zwei Gruppen. Die Bauer und die Versorger an der Front. Entscheiden Sie selbst, wer hier bleibt und wer mit kommt. Wissen Sie was? Wenn Ihnen die lieben Kleinen so am Herzen liegen, dann losen Sie doch einfach. Ist am schmerzlosesten.“
Und das war der Moment, in dem Chrys anfing zu rennen.

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Die Soldatin
FantasyMisstrauisch blickte Mar aus dem Fenster. Ihr Atem schlug an das kalte Glas. Ruckartig zog sie die Vorhänge zu. „Okay, pass auf. Ich erzähle es dir einmal und dann nie wieder, verstanden?“ Hailey nickte. „Wir wurden her gebracht um zu kämpfen.“ Verw...