Kapitel 78

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„...Louis Upton, Jane Love und Anna Allistor. Der Rest bleibt hier und wird die schwerer Verletzten versorgen, beziehungsweise neue Medikamente produzieren.“ Mit diesen Worten nickte Schwester Catherine kurz und verschwand aus der Hexenküche. Einen Moment lang konnte niemand etwas sagen und dann spürte Robyn einen Druck um die Taille. Immer noch völlig perplex sah sie nach unten und strich dann durch Georges dunkles Haar. Er hatte beide Arme um sie geschlungen und sein kleiner Körper bebte leicht. Er weinte.

„Alles gut, alles gut. Wir haben es beide geschafft“, flüsterte Robyn und legte eine Hand auf seinen Rücken. Beide durften in Haus Regenerationis bleiben und das war ein Segen. Robyn war klar, dass es einen Kampf geben würde und egal, wen er treffen würde – Verletzte und vielleicht sogar Tote würden die Folge sein. Selbst, wenn die Nonnen das abstritten und von einer friedlichen Machtaufnahme des alten Königs sprachen – Wozu dann Pugno? Es war schlichtweg unlogisch. Suchtruppen hätten gereicht. Bei Weitem. Sie war froh, unglaublich froh nicht an die Front zu müssen. Sicher, die ernsten Fälle würden irgendwann auch auf ihrem Behandlungstisch landen, aber nicht in einer solch schaurigen Kulisse. Einige munkelten vom Buckingham Palace. Welch Ironie genau dort sich niederzulassen und Truppen unterzubringen, wo doch genau dort der König lebte. Ein Witz? Wenn ja, dann konnte Robyn nicht darüber lachen. Sie zwang sich zur Disziplin und löste George von sich.

„Komm, wir sind noch nicht fertig!“, lächelte sie sanft und rührte in der Tinktur für Schnitt- und Platzwunden weiter, bis sie mit dem Resultat zufrieden war. George widmete sich derweil einem besonders robusten Verband, den er kontinuierlich in einer Mischung aus Kräutern und ihm unbekannten Stoffen wendete. Man nannte ihnen prinzipiell die Namen nicht. Auf den Herstellungsrezepten standen jediglich die Produktnummern, die auf jede Flasche gedruckt war. Man vermutete chemisch hergestellte Halluzinugene, Betäubungsmittel und sogar Drogen. Obwohl man darunter so gut wie alles verstehen konnte. Einerseits sparte man sich damit Kanülen für das Betäuben der eventuell widerständigen Patienten ein und andererseits machten sie aus unerfindlichen Gründen den Stoff fester. Der Geruch war intensiv und George konnte ihn abolut nicht leiden. Manchmal erinnerte er ihn an seine Nacht im Krankenhaus und dann wieder an seine Schwester. Er wollte nicht darüber nachdenken, was mit ihr geschehen war. An dem Tag, als er abgeholt worden war, musste sein Gedächtnis für mehrere Stunden gelöscht worden sein. George konnte sich nur wage an Mars Stimme erinnern, wie sie ihn anbrüllte zu laufen und dann einfach nichts mehr. Manchmal glaubte er, dass er sich das alles einbildete. Die Leute hier waren zwar nicht freundlich, aber sie boten ihnen Schutz und ein Zuhause. Robyn hatte mal gesagt, dass sie mit ihrer Arbeit dem König helfen würden. Seitdem hatte George sich mehr angestrengt. England brauchte einen König, das hatte selbst ein Siebenjähriger verstanden. Seine Mutter hatte sich früher beschwert, dass seit dem Verschwinden vom König alles den Bach runterliefe. Alle flüchteten nur noch, keiner versuchte etwas zu retten. Und das verstand George nicht. Bloß weil etwas angeknackst ist, heißt das doch nicht, dass man es nicht retten kann. Früher, als er noch Zuhause gelebt hatte, wollte er immer Polizist werden. Ihre Stärke und der Gemeinschaftsgeist imponierte ihm, doch diese Meinung hatte sich geändert, als sie auf ihren Landsitz gezogen waren, um sicherer zu leben. Das hatte seine Mutter ihm zumindest erzählt. Sie hatte behauptet, dass es nicht länger lebensfreundlich war in der Innenstadt, im Zentrum. Man könnte sie dort leichter finden. Heute wusste George, wer sie suchte und er wusste auch, dass es nun zu spät war. Er musste jetzt stark sein und die Polizisten ersetzen. Seine ehemaligen Idole, die auf einmal verschwunden waren.

Einige Sekunden lang konnte sich keiner bewegen. Chloe hielt Avas schreckgeweiteten Blick fest. Ava konzentrierte sich nicht durchzudrehen und nun ja, Hailey war immer noch bewusstlos. Das Metall war kalt und es fühlte sich schwer an ihrer Haut an. Ein Laster allemal. Der Atem des Besitzers war bemüht ruhig, aber man hörte noch jetzt die Aufregung raus. Das war kein skrupelloser Mörder. Ein junger, vielleicht verzweifelter Mann, dachte Ava. Nicht besonders alt. Dafür zu unstandhaft. Die Kugel wäre schon längst geschossen.

„Wer seid ihr?“ Ava hatte sich in einem Punkt geirrt. Wahrlich, die Stimme war jung. So alt wie sie vielleicht, etwas älter. Da war sehr viel Kraft in den drei Silben, aber am Ende zog sich der Ton etwas nach oben. Angst. Doch es war kein Mann, der da sprach. Es war eine Frau.

„Ava und Chloe“, antwortete Ava und versuchte den Oberkörper nicht zu regen. Obwohl noch nicht entladen wurde, fürchtete sie sich.

„Und die da?“ Die Frage galt eindeutig Hailey.

„Hailey.“ Man hörte das Schnalzen einer Zunge und dann kurzes Schweigen.

„Was ist mit ihr?“

„Das ist ihr Haus und da unten sind ihre Eltern.“ Die Waffe wurde von Avas Haut genommen, aber sie wusste, dass sie immer noch auf sie gerichtet war.

„Legt sie hin!“ Chloe und Ava trauten sich nicht zu antworten und taten, was man ihnen befahl. Chloe konnte in der spärlichen Beleuchtung des Zimmers einen kurzen Blick auf sie erheischen. Dennoch konnte sie nicht sprechen oder Ava konsultieren. Hinter ihnen wurde ein Schalter und damit die Deckenlampe betätigt. Hailey stöhnte leise auf, als sie auf ihrer Matratze lag. Langsam drehten sich die zwei Mädchen um und konnten sie nun ansehen. Sie stand an der Tür, die Arme vor der Brust verschränkt. Ihr an den Seiten kurz rasiertes Haar war oben dafür relativ lang. Wie ein Männerhaarschnitt, aber durch das überdurchschnittlich helle Blond, was aber sehr echt aussah, glich sich das wieder aus. Ihre Gesichtszüge wirkten fein, aber gezeichnet. Die schmale aber schöne Nase, die hellen Augen und die gut proportionierten Verhältnisse. Es wirkte stimmig. Einzig eine kleine Narbe über der linken Augenbraue zeugte von Menschlichkeit. Sie sagte nichts, das lud Ava ein an ihr herab zu sehen. Zu auffällig, aber dennoch. Sie schien auf Eindringlinge nicht gefasst zu sein, aber darauf, schnell aufbrechen zu müssen. Die sportlichen Beine in dunklen Hosen, die Füße steckten in derben Boots. Schlichtes Oberteil, der Bequemlichkeit halber. Dennoch hingen ihr die vielleicht zehn Zentimeter langen Haarsträhnen ungewollt in die Stirn und das zeugte davon, dass sie vor Kurzem noch geschlafen haben musste.

„Passt auf, ich mache euch einen Vorschlag: Ich gehe, suche mir was Neues und wir haben uns niemals kennengelernt.“ Ihr Blick streifte Ava. Ungewollt, aber definitiv sichtbar.

„Okay“, stockte Chloe irgendwann und das Mädchen zog die Augenbrauen leicht hoch. Sie trat an Ava vorbei und hob einen Rucksack auf, in dem sie auch ihre Waffe verstaute.

„Schönes Leben noch.“ Und damit war sie weg. Es dauerte einige Sekunden, bis Ava begriff. Sie brauchten sie. Sie konnte definitiv mit Pistolen umgehen und war offensichtlich allein. An niemanden gebunden und somit frei. Ava stürzte ihr hinterher und die Treppe herab, wo sich gerade die Tür schloss. Sie war so schnell, dass sie nicht mal den modrigen Geruch warhnahm. Sie riss die Klinke herab und nur einige Meter vor ihr, stand sie. Gerade dabei die Stufen herab zu laufen.

„Hey, wo willst du jetzt hin?“, keuchte Ava und sie drehte sich verblüfft um.

„Irgendwohin, wo ich leben kann.“

„Bleib doch, wir könnten uns zusammen schließen.“ Das Mädchen lachte leise auf.

„Süße, mach nicht auf Teamwork. Kauft dir keiner ab. Und die, die es tun würden sind genau so tot, wie Mommy und Daddy deiner kleinen Freundin.“ Ava schluckte, die Worte trafen sie ziemlich hart. Das sah das Mädchen und wendete sich wieder ab.

„Wir waren im Orden“, platzte es aus Ava heraus. Sie wusste nicht, was sie sonst hätte sagen können. Irgendetwas, um das Mädchen zu überzeugen. Die hielt inne und drehte sich wieder.

„Ich wusste es“, kam ein leises Knurren aus ihrer Kehle und ohne ein weiteres Wort zu verlieren, schob sie sich an Ava vorbei und zurück ins Haus.



Die SoldatinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt