Als Morgan aufwachte, saß er auf einem Stuhl, die Beine auf Scarlett' s Bett gelegt und die Arme verschränkt. Er hatte beschlossen diese Nacht auf sie aufzupassen. Die Verletzungen des Unfalls waren ziemlich übel gewesen und er hoffte inständig, dass sie die letzten wenigen Stunden genesen konnte. Nachdem sie fast gestorben war, fühlte er sich verantwortlich und er konnte sie einfach nicht alleine lassen. Als er jedoch auf die Matratze blickte, sah er nicht wie vorhin noch das ohnmächtige Mädchen. Er musste mehrmals blinzeln, um sich zu vergewissern, dass er richtig sah. Doch da hörte er auch schon das leise Wasserrauschen und atmete auf. Sie duschte. Er beschloss sie jetzt sich selbst zu überlassen und verließ ihr Zimmer, um dann auf sein eigenes zu gehen. Gähnend zog er die zu kleine Uniform aus, die er seit letzter Nacht trug und verschwand im Bad. Er hatte nicht mehr viel Zeit und frühstücken musste er auch noch. Nachdem er sich gewaschen, die Zähne geputzt und angezogen hatte, machte er sich auf den Weg. Beim Klopfen gegen Scarletts Tür, erhielt er keine Antwort und lief somit alleine zum Speisesaal. Scarlett saß bereits an einem Tisch und rührte in einer Tasse Tee. Während Morgan sein Tablett belud, schielte er immer wieder verstohlen zu ihr rüber. Sie sah gut aus. Etwas blass und müde vielleicht, aber vom Weiten konnte er keinen größeren blauen Flecken oder Ähnliches sehen. Sie sah auf, als er sich zu ihr setzte und trank einen Schluck.
„Morgen“, murmelte sie etwas verwirrt. Morgan überlegte sie zu fragen, ob sie noch wusste, was passiert war, aber sie kam ihm zuvor.
„Ich war tot, oder?“ Stumm nickte er und sie tat es ihm gleich, als müsse sie ihn bestätigen.
„Ich wollte euch helfen“, versuchte sie sich zerknirscht zu erklären und Morgan sah von seinem Teller auf, den er noch nicht angerührt hatte. Obwohl er schrecklichen Hunger hatte.
„Woher wusstest du es?“ Er traute sich nicht alles auszusprechen und sah sich um. Der Saal war noch ziemlich leer, nur hier und da aßen schon einige Ausbilder oder Frühaufsteher.
„Rosehill hat mit einem Seargent geredet. Hab sie zufällig gehört.“ Sie wollte eigentlich weiter sprechen, aber Morgans warme Hand, die sich auf ihre legte hinderte sie daran und ein kleiner Stich sog sich ihre Haut herab.
„Danke.“ Sie nickte wieder, die Kehle trocken.
„Ich denke Lauren und Adam werden nachher nicht kommen“, informierte er sie nach einer Zeitlang schweigen und essen.
„Die Zimmer werden kontrolliert. Sie müssen“, antwortete Scarlett ihm und Morgan zog verwundert die Augenbrauen zusammen. Woher wusste sie das? Scarlett legte die Tasse an die Lippen und nippte in kleinen Schlucken. Noch einmal griff sie nach dem letzten Stück Vollkornbrot und steckte es sich in den Mund. Sie spülte mit dem Rest Tee nach und räumte dann alles zusammen.
„Hat mir die Frau an der Essenstheke erzählt. Sie hat gesagt, dass man ihr davon erzählt hat“, zuckte sie mit den Schultern und stand auf. Morgan wollte sie erst noch fragen, ob sie sofort in die Turnhalle wollte, aber dann ließ er es bleiben. Wenn ja, dann würde er sich gedrängt fühlen und das wäre unvorteilhaft. Schließlich hatte er ja Hunger. Im Laufe des Frühstücks kamen zu seinem Missfallen mehrere Uniformierte in den Saal und stellten sich rechts und links an die Tür. Mit dunklen Mienen beobachteten sie und führten anscheinend eine Strichliste, denn bei jedem Schüler, der hinein kam, kritzelten sie etwas auf ein elektronisches Klemmbrett. Morgan war mehr als satt und brachte sein Geschirr weg, bevor er zur Turnhalle lief. Auch dort wurde er schon von jungen Männern in Blau empfangen, die ihn den Rest des Tages kontrollieren würden.
Unbehaglich trat Hailey durch den Flur. Nur schwaches Licht fiel durch die Fenster ins Haus und erst als sie den Schalter betätigte, konnte sie wieder ordentlich sehen. Ava und Chloe folgten ihr stumm, als sie an der Treppe nach oben vorbei lief und der Küche und dem Wohnzimmer immer näher kam. Ein erstickter Schrei entfuhr ihr, als sie dunkle Flecken auf dem Teppich erkannte und immer mehr Gewissheit erlangte. Jeglicher Zweifel wurde ihr genommen, als sie durch die geöffnete Tür in die Küche kam und ihr ein Inferno der Zerstörung entgegen sprang. Umgefallene Stühle, Scherben, eine dunkle Kruste in einer verkommenen Lache. Hailey schlug beide Hände vor den Mund und taumelte mehrere Schritte rückwärts, als sie das breite Rinnsal zum Ausgangspunkt des Blutes sah. Sie versuchte gar nicht erst den Würgereiz abzuhalten und übergab sich gleich auf die kalten Fliesen des Bodens. Die Stimmen ihrer Freundinnen hörte sie nicht, sie spürte nicht ihre fangenden Hände, sie sah nur noch die Gebeine ihrer Mutter, die Gebeine ihres Vaters. Ein tiefer Basch hämmerte gegen ihren Schädel und sie wusste, dass sie nicht mehr lange halten würde. Wie in Trance wankte sie nach vorne. Ihre Eltern waren bis zur Unkenntlichkeit verottet. An den bereits leicht gräulichen Knochen fetzte dunkles Fleisch. Das Blut war seit Monaten getrocknet und schon längst nicht mehr sattrot. Hailey roch bereits nicht mehr die schwere Süße, die Chloe den Atem und Ava die Fassung raubte. Sie nahm nichts mehr war. Nur noch die Kleidung und das Haar waren seit dem Mord unverändert geblieben. Sie konnte noch nicht mal weinen, noch nicht mal mehr schreien. Etwas krampfte sich tief in ihrer Brust zusammen und sie hockte bereits auf den Knien. Die Schläge ihres Kopfes wurden immer massiver und sie kämpfte mit der Atmung. Stumm formte sie unzusammenhängende Worte, die für sie doch so logisch waren. Namen, Daten, irgendwas, das sie zurück holen könnte. Sie merkte gar nicht, wie sie in eine tiefe Erinnerung rutschte.
Farblose Wände. Belanglose Mienen. Abstrakt. Blaue Uniformen.
„Hailey, Hailey lauf. Flieh!“
Schrei. Barstende Knochen. Ohrenbetäubende Schüsse. Gedämpfter Atemzug. Ende.
„Ihr verfluchten Wichser. Ihr Bastarde, ihr niederträchtigen Maden.“ Schneller werdender Herzschlag. Fallende Worte.
„Ihr glaubt, ihr seid dem Tode mächtig? Ihr glaubt, ihr könnt das Schicksal bestimmen?“ Zorn.
„Ihr nehmt einer Tochter den Vater. Ihr nehmt ihr die Mutter. Ihr nehmt ihr das, was sie glauben ließ.“ Flüsternde letzte Worte.
„Ihr habt mir alles genommen.“ Nahezu Stille.
„Aber ich sage euch etwas.“ Blicke nach rechts und nach links, ein provozierender Handwink.
„Ihr werdet bereuen, die Mörder von Julia und Matthew Rose zu sein.“ Aufwallende Erregnung, Blutlust.
„Flieht.“ Ein bedrohliches Flüstern hatte sich in Hailey' s letzte Worte geschlichen, ein düsteres Lachen legte sich auf ihre Lippen, eine schwarze Decke umhüllte sie und sie sank zu Boden, neben die sich schwelgenden Maden. Ava und Chloe hasteten zu ihr, versuchten die Leichen nicht zu visieren und schleppten die Freundin aus der Küche. Ohne ein Wort brachten sie das Mädchen die Treppe herauf und sahen sich um. Am oberen Flur gingen mehrere Türen ab und Ava schluckte fest, als sie an einer den kindlichen Schriftzug „Mommy und Daddy“ und an der nächsten ein „Hailey“ lesen konnten. Das „e“ war falsch geschrieben. Gespiegelt. Wie alt war sie da wohl gewesen? Ava überkam ein Schauder und sie hielt die Arme Haileys noch greifender fest. Chloe trug ihre Beine und Ava stolperte rückwärts zu der „Hailey“-Tür und drückte mit dem Ellbogen die Klinke herab. Der Gestank verfolgte sie noch immer und sie versuchte weitestgehend durch den Mund zu atmen. Auch sonst blendete sie so gut wie alles aus, konzentrierte sich auf das Öffnen der Tür. Es quietschte leicht, typisch für den Altbau und sie machte genau zwei Schritte nach hinten. Genau zwei Schritte, vielleicht ein Meter oder anderthalb. Mehr konnte sie nicht überwinden, denn die harte Mündung einer Walther P1 drückte sich in ihren Nacken und ließ sie in ihrer Bewegung erstarren.
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Die Soldatin
FantasíaMisstrauisch blickte Mar aus dem Fenster. Ihr Atem schlug an das kalte Glas. Ruckartig zog sie die Vorhänge zu. „Okay, pass auf. Ich erzähle es dir einmal und dann nie wieder, verstanden?“ Hailey nickte. „Wir wurden her gebracht um zu kämpfen.“ Verw...