Kapitel 20

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Als Hailey aufwachte, lag sie noch immer auf der Erde, jedoch war ihr Oberkörper in Adam‘ s Schoß gebettet, der mittlerweile an die Wand gelehnt dasaß und auch eingeschlafen war. Eine Weile lag Hailey einfach so da und wusste nicht, warum. Ihr Kopf fühlte sich leer an, bis es ihr wieder einfiel. Mar. Sie war tot. Innerlich erschrak Hailey über ihre Eiseskälte. Warum schrie sie nicht? Warum weinte sie nicht? Warum zeigte sie keinerlei Reaktion? Ja, letzte Nacht hatte sie geweint, aber wenn sie ehrlich zu sich selbst war, dann eher weil Morgan‘ s herzzerreißende Trauer ihr so unfassbar leid tat. Mar war doch ihre Freundin. In letzter Zeit eine ihrer besten. Weil du alle anderen verloren hast, wisperte eine kleine Stimme in ihrem Kopf, wie ein Wurm im Apfel der im Fruchtfleisch schwelgte. Robyn, schoss es ihr durch den Kopf. Warum Robyn? Sie hatte gerade erfahren, dass ihre engste Vertraute gestorben war. Nicht mal zehn Stunden waren seither vergangen. Sie wünschte sich so sehr leiden zu können wie Morgan. Wo war der überhaupt? Sie schalt sich innerlich für diese belanglosen Gedanken. Wieso war sie so unkonzentriert und gleichgültig? Langsam klarte das Bild in ihrem Kopf auf und sie wusste es. Nach einer ganzen Weile Bedenkzeit zuckte sie mit den Achseln und flüsterte keine Miene verziehend: „Weil sie nicht tot ist.“

Morgan kam zu sich und sein erster Gedanke galt Mar. Er hoffte inständig, nicht erfroren zu sein, denn dann hätte er nicht beenden können, was sie begonnen hatte. Und das, das hätte er sich selbst im Tode nicht verziehen. Umso erleichterter war er, als er sich im kühlen Tränenmeer des Winters wiederfand. Da waren seine besonderen Heilungsmechanismen als Kriegsausbilder doch von Nutzen. Langsam richtete er sich auf und sah an sich herab. Das Gesicht verziehend fragte er sich, warum zur Hölle er sich ausgezogen hatte? Ach ja, da war ja was mit Verrücktheit. Kopfschüttelnd stand er auf und startete eine kurze, aber voraussehbar erfolglose Suche nach seinen Kleidern. Die Hose und das Shirt waren ihm egal, aber die Schuhe, die hatte er echt gemocht. Er erlaubte sich nicht zu lachen und stapfte schließlich durch den hellblauen Morgenhimmel auf das Schloss im Schnee zu. Auf dem Flur zu seinem Zimmer kamen ihm mehrere Stimmen entgegen und er huschte eilig hinein. Er war nicht besonders scharf darauf, in Unterhose gesehen zu werden. Zumindest nicht unter diesen Umständen. Das wäre wohl mehr als peinlich. Verblüfft stellte er fest, dass er es geschafft hatte bis gerade eben nicht an Mar gedacht zu haben. Mar. Seine Liebe. Seine Maryann Westminster. Seine Löwin. Ein stechendes Gefühl breitete sich in seiner Brust aus. Nein, es war die ganze Zeit da gewesen. Der Schnee hatte ihn nur betäubt und eingefroren. Doch nun war der Schnee weg und das ätzende Gift fraß sich durch sein Herz ohne Rücksicht auf Verluste. Arschloch. Als es klopfte erschrak Morgan ungeheuerlich und zerrte ein Handtuch aus dem Schrank, damit es so aussah, als hätte er gerade vor zu duschen. Vor der Tür stand Coach Alec. Morgan kannte ihn seit seiner Ausbildung zum Trainer. Alec war ein paar Jahre älter, aber keineswegs spießig oder überheblich gegenüber Morgan. Er war einer seiner besten Freunde. „Was gibt es?“ Morgan versuchte das Gift zu überspielen. „Es geht um Mar.“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren lief er mit großen Schritten an ihm vorbei und ließ sich auf dem einzigen Stuhl nieder. Morgan wusste nicht so genau, was er jetzt erwartete. Bestimmt nicht, dass seine Liebe wieder auferstanden war und genau hier und jetzt vor ihm stehen würde. Nein, wahrlich, Morgan war kein Anhänger von Märchen und eher realistisch veranlagt. „Sie wird heute Abend beigesetzt!“ Das Gift spritzte gegen Morgan‘ s Magenwand und bohrte ein Loch durch seine Bauchdecke. „Nein!“ Er presste das Wort zwischen den Zähnen hervor. Trotzdem hoffte er, dass sie niemals ankommen würden. „Nicht so schnell! Das kann nicht sein!“ Alec schüttelte den Kopf. „Was sollen sie mit ihr machen? Umso schneller es vorbei ist, desto besser!“ Morgan hatte Mühe, stehen zu bleiben, nicht abzustürzen. Falsch. Er flog schon. „Aber…“ Er versuchte Worte zu finden. Doch sein Verstand arbeitete nicht. Er konnte sich nicht jetzt schon von Mar verabschieden. Nicht mal vierundzwanzig Stunden waren vergangen, seit sie von ihm gegangen war. Nicht mal ein Tag. „Soll ich bleiben?“ Alec stand plötzlich vor ihm und legte eine Hand auf seine Schulter. Morgan schüttelte den Kopf. „Nein…ich…ich pack das.“ Alec nickte, obwohl er nichts wusste. „Dir wird ein Anzug gestellt.“, murmelte er. Für ihre Beerdigung. Alec wies auf einen Kleiderbeutel, der auf dem Bett lag. Warum sah Morgan den erst jetzt? Langsam schritt er auf ihn zu und öffnete den Reißverschluss an der Seite. Dunkelblauer Stoff schwamm ihm entgegen und er hätte am liebsten vor Wut und Hass laut aufgeschrien. „Nicht blau!“, knurrte er. „Es sind unsere Farben.“, meinte Alec. „Sie hasst blau.“ Und Morgan wollte jetzt nur noch eins. Er wollte gut für sie aussehen. Er wollte ihr gefallen. „Wird es eine…eine Totenwache geben?“, ächzte er. Alec nickte stumm. Und obwohl Morgan ihm den Rücken zugewandt hatte, kannte er die Antwort. „Dann kein blau!“ Alec nickte nochmals. „Ich lass dich jetzt alleine!“ Er nahm den Anzug und Morgan verharrte in seiner Bewegung. Als die Tür ins Schloss fiel stolperte Morgan in sein eigenes Badezimmer und stellte sich sofort unter die Dusche. Eisperlen prasselten seinen Rücken herab und das heiße Wasser verbrühte seine Schultern leicht. Es würde bis heute Abend verheilt sein. Für sie. Und dann, dann verlor er den halt. Er holte aus und schlug wild gegen die kalten Fliesen, in der Hoffnung sie würden nachgeben. Wenigstens sie, wenn schon nichts anderes so verlief, wie er es sich erträumte. Wenigstens die Wände sollten nachgeben. Als er auf die Armatur eindrosch platzte sein Muskel an der Hand auf und das Gift bahnte sich seinen Weg nach draußen wie gleißender Eiter. Es würde bis heute Abend verheilt sein. Für sie

Die SoldatinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt