Wie zu erwarten waren sie mit den zwanzig Litern nur verhältnismäßig wenige Kilometer voran gekommen. Somit waren sie aber wenigstens vorbereitet gewesen, als der Wagen zum zweiten Mal begann zu rattern und am Straßenrand geparkt werden musste.
„Wir können ja trampen“, scherzte Hailey und Chloe lachte trocken auf. Ava presste die Lippen aufeinander und stützte das Kinn in die Hände.
„Klar, lass uns ein paar Jahre mit ausgestrecktem Daumen hier stehen bleiben. Ist ja nicht so, dass hier keine Sau mehr lang fährt. Selbst meine Tante, die seit Jahrhunderten in London gelebt hat, ist abgehauen, bevor es richtig los ging“, meinte Chloe.
„Jeder ist abgehauen. Jeder“, murmelte Ava in sich hinein. Und sie hatte Recht. Die Einwohnerzahl Londons hatte sich seit dem Sturz des Königs auf ein Zehntel reduziert. Die meisten Leute mit Kindern waren sogar von der ganzen Insel runter, nur die älteren und kinderlosen waren geblieben. Und natürlich die Außnahmen. Doch auch die wurden immer weniger, seit Kinder geholt wurden. Und jetzt, jetzt saßen drei junge Frauen in einem fast leer gefahrenen Transporter und verzweifelten fast. Eine Zeitlang saßen sie schweigend da und keiner wagte sich zu regen.
„Tja“, platzte es dann aus Ava heraus. Sie stand auf und kletterte aus dem Wagen. Energisch öffnete sie die hinteren Türen und stemmte die Arme in die Hüften.
„Was ist? Wollt ihr hier versauern?“, fragte sie, als Chloe und Hailey ihr ungläubig nach blickten.
„Du hast nicht ernsthaft vor zu laufen, oder?“, kam es von Hailey.
„Also ziehen tut uns voraussichtlich niemand.“
Chloe zuckte mit den Schultern und kletterte durch den Wagen nach hinten. Dabei schob sie ihre Reisetaschen nach vorne, doch stolperte sie bei Ava' s regelrecht, so schwer war diese.
„Was zur Hölle ist da drin?“, ächzte sie, während sie die Tasche beim zweiten Versuch nach vorne hiefte.
„Essen, was sonst?“, antwortete Ava ihr selbstverständlich.
„Du hast was zu Essen mit?“
„Klar, glaubst du, ich hab das nicht vorher mit Morgan geplant?“
Ava fühlte sich schon fast etwas überlegen. Stolz präsentierte sie ihren Tascheninhalt. Zwischen Dosenravioli und Kartoffelsuppe fanden sich Linsen, Nudelsuppe und einige Wasserflaschen. Bestimmt lud sie diese nun zum Teil in Chloe' s und Hailey' s Taschen um. Die beiden beobachteten sie skeptisch.
„Was? Als ob ich das alles alleine trage“, schnippte sie und schulterte ihre Tasche. Sie begannen ihren Marsch die M25 entlang und hatten nicht die geringste Ahnung, wie lange sie brauchen würden, um überhaupt irgendwo anzukommen.
Morgan war der erste, der sich rühren konnte, obwohl er noch kurz zuvor völlig benebelt gewesen war. Fluchend sprang er aus dem Transporter und fand vor dem Wagen im grellen Scheinwerferlicht eine reglose Schöne liegen. Morgan blieb der Herzschlag weg, sie sah aus wie sein Mädchen, seine Liebe. Sie sah aus, wie das Kind, das im Sarg gelegen hatte. Sie sah aus, wie sein Herz. Jegliche Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. Ihr linkes Bein stand in einem unnatürlichen Winkel ab und an ihrer Stirn floss stetig Blut aus einer Kopfwunde.
„Scheiße, Scar“, keuchte Morgan. Er hatte dieser Frau schon einmal das Leben retten müssen, doch diesmal schien alles so viel dramatischer. Er warf sich vor ihr auf die Knie und legte vorsichtig sein Ohr auf ihren Brustkorb. Ihr buschiges braunes Haar wurde von Blut getränkt und färbte sich groteskerweise in einem leichten Rotstich.
„Hör scheiße nochmal auf so zu denken“, schrie er sich selbst an und lauschte weiter. Nichts. Gar nichts. Nichts hob, nichts senkte sich. Kein gleichmäßiger Rhythmus ließ ihre Rippen pochen. Nichts.
„Sie atmet nicht“, murmelte er und begann sie zu reanimieren. Fassungslos wankte Adam aus dem Transporter und hockte sich neben ihn. Lauren starrte stumm auf die grausame Szenerie herab.
„Komm schon, Scar“, knurrte Morgan immer und immer wieder.
„Warum heilt sie sich nicht selbst?“, flüsterte Lauren.
„Weil sie scheiße nochmal tot ist. Ihr Herz muss schlagen“, brüllte Morgan und drückte weiter ihren Brustkorb. Hart presste er seine Lippen auf ihre und flößte ihr lebenswichtige Luft ein.
„Komm schon, Mädchen. Komm schon!“
Doch Scarlett rührte sich nicht. Scarlett Silverstone war soeben zum zweiten Mal gestorben.
Du Hure, jetzt atme endlich, verdammt! Du darfst jetzt nicht aufhören, scheiß Miststück! Kämpf verdammte Scheiße! Kämpf! Hier geht es nicht nur um dich, du Egoistin! Wenn du jetzt aufgibst, dann sterben wir beide.
„Morgan, scheiße, Morgan. Hör auf. Es ist vorbei.“
Scar, ich bitte dich, Scar!
„Morgan...“
Bitte. Ich verspreche dir, wir schaffen das! Du wirst alles verstehen. Ich verspreche es dir. Du musst leben, du musst einfach!
Lauren und Adam legten ihre Hände auf Morgan' s Arme und lösten vorsichtig seine Versuche von der Toten. Seine blutigen Hände zitterten, sterbendes Fleisch vermischte sich mit bittersalzigem Wasser. Sein Körper bebte, der Geist brach. Er sah sie, sie wie sie gebettet war. Umrahmt von feurigen Flammenlocken. Schneeweiß.
Bitte
Vorsichtig legte Morgan seine Arme in die Kniekehlen und den Nacken der Schönen. Alles geschah wie in milliarden von Jahren. Doch etwas ließ den Erdboden zertrümmern, aufgehen, barsten. Und Morgan, Morgan schrie vor Erleichterung laut auf, die Nacht echote. Es war der erst schwache und dann immer stärker werdende Herzschlag zweier Seelen.
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Die Soldatin
FantasyMisstrauisch blickte Mar aus dem Fenster. Ihr Atem schlug an das kalte Glas. Ruckartig zog sie die Vorhänge zu. „Okay, pass auf. Ich erzähle es dir einmal und dann nie wieder, verstanden?“ Hailey nickte. „Wir wurden her gebracht um zu kämpfen.“ Verw...