Kapitel 24

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Tief in der Nacht schritt die kleine Gruppe aus dem Gebäude und Richtung Wald. Den Fußabdrücken im Schnee folgend gingen sie dorthin zurück, wo sie vor wenigen Stunden noch eine Tote begraben hatten. Schweigend kondensierte die Luft vor ihnen und bildete kleine Rauchschwaden. Die sechs Männer und eine Frau liefen vollständig synchron und schienen zu einem Ungetüm zu verschmelzen. Lediglich die Frau lief mit einem klaren Bruch vor ihnen. Sie schien höher gestellt und als sie den Tempel schließlich erreichten lief sie zielstrebig auf das frische Grab zu. Das Loch war noch nicht zugebuddelt, man hatte den Schülern erzählt, dass es einige Tage offen bleiben würde, damit die Tote ein offenes Tor in Gottes Arme hatte. Und ausnahmslos jeder hatte es ihnen geglaubt, nicht zuletzt wegen dem einfältigen Mädchen und dem liebeskranken jungen Mann, die unverblümt den Sarg geöffnet hatten. Im Nachhinein hatte sich das ja als positiv herausgestellt, da nun keiner mehr an der Unlebendigkeit des Mädchens zweifelte. Die Frau lächelte leicht und verschränkte die Arme. „Na los, holt sie da raus! Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit!“, herrschte sie die Uniformierten an. Leichtfüßig sprangen die Männer hinab in die Grube und öffneten den Sarg. Die schlafende Maryann Westminster lag immer noch unbewegt da. Vorsichtig hoben sie die Schöne hoch und schafften es gleichzeitig aus dem Loch heraus zu klettern. Oben übernahm der Kräftigste das Mädchen und blickte die wartende Frau an. „Dann los!“, zischte sie und eilte zu dem plätschernden Springbrunnen. Sie krempelte den Ärmel ihres Wintermantels hoch und tauchte mit einer dünnen Hand ins kalte Wasser. Schnell hatte sie die kleine Vertiefung in dem Marmorbecken gefunden und fuhr mit der Fingerkuppe rüber. Sofort trat sie einen Schritt zurück und schüttelte das Wasser von der Hand, die sie schnell heraus gezogen hatte. Mit einem leichten Schaben rutschte der Springbrunnen zur Seite und eine Treppe in einen unterirdischen Tunnel offenbarte sich. Eilig huschten die Männer und die Frau hinein und folgten einem dunklen Gang. Hinter ihnen Schloss sich das geheime Portal wieder und ein Licht erleuchtete, als die Frau einen Schalter an der Wand drückte. Stumm passierten sie und kamen schließlich am Ende des Ganges an einer Treppe wieder nach oben an. Im Gleichschritt tänzelten sie hinauf und öffneten eine weitere Tür. Vor ihnen befand sich ein kleines Zimmer und wenn Mar wach gewesen wäre so hätte sie mit Sicherheit laut aufgeschrien, denn es war das Zimmer, in dem sie nun schon zwei Mal notgedrungen festgehalten wurde.

Der große Uniformierte legte Mar auf einem Behandlungstisch ab und sie alle verließen das Zimmer, außer die Frau. Diese stand noch einige Minuten bei der Löwin und betrachtete sie. Kurz bevor die Tür noch einmal geöffnet wurde und die Summerin eintrat entfuhr ihr ein kleines: „Es tut mir leid.“ Der Summerin folgten wiederum einige Männer in weißen Kitteln. Sofort wurde der Blutfluss des Mädchens überprüft und erleichtert atmeten sie auf, als sie feststellten, dass sie lebte. „Was haben Sie nun mit ihr vor? Warum haben Sie das arme Mädchen nicht einfach getötet?“ Ein älterer Arzt mit einer sonoren Stimme lachte leise auf. „Sie ist ein Geschenk. Betrachten Sie doch alleine ihren Körper. Sie ist die beste Schülerin die wir je hatten. Wäre sie nicht so widerspenstig hätten wir sie niemals für tot erklärt.“ Die Frau vom Friedhof schwieg und trat einige Schritte zurück. Jetzt war sie die Untergeordnete. „Wir werden so ein Geschenk nicht wegwerfen. Nur so verändern, dass sie uns keinerlei Probleme mehr bereiten kann.“, meinte die Summerin und strich über Maryann‘ s kühle Wange. „Was meinen Sie, Ginger, was können Sie da machen?“, fragte der Alte und die Summerin betrachtete Mar genau. Sie nahm ihre Haare in die Hände und zwirbelte sie leicht. Dann sah sie sich die Sommersprossen genauer an. Keine Miene verziehend öffnete sie ein Auge der Schlafenden und eine starre blaue Iris leuchtete ihr entgegen. Vorhin, als sie die Kleine gewaschen hatte, waren ihr auch die Tattoos aufgefallen. Prüfend hob sie ihren Arm an. „Die hier“, sie wies auf eine rote Locke „müssen weg!“ Alle nickten stumm. Mar‘ s Haare waren wohl ihr auffälligstes Merkmal. „Die Sommersprossen und das Tattoo kann man auf Zeit entfernen, aber wenn ich das richtig sehe, ist das eine dieser neueren Tattooarten.“ Sie rümpfte die Nase und alle anderen taten es ihr gleich. „Das geht nicht mehr komplett weg. Da müsste ich ihr schon die Haut von den Knochen ziehen!“ Ein Grinsen umspielte ihre Lippen, aber keiner lachte. „Und ihre Augen?“ Die Summerin tippte sich nachdenklich an die Stirn. „Kriege ich hin!“ Zufrieden lächelte sie und stemmte die behandschuhten Hände in die Hüften. „Und jetzt, meine Damen und Herren, lassen Sie mich bitte alleine!“, forderte sie. „Haben Sie alles was Sie brauchen?“, fragte ein jüngerer Kittler. „Ich denke schon.“ Mit schmalen Lippen und leeren Augen verließen die Ärzte das Zimmer, doch die Summerin hielt den Alten noch am Ärmel fest, bevor auch er in der Dunkelheit des Flures der Krankenstation verschwand. „Sie werden ihr Bewusstsein verändern müssen. Und zwar mehr als stark! So wie ich das mitbekommen habe, ist sie eine außerordentlich starrköpfige Person.“ Der Arzt richtete seine alten weisen Augen auf ihre und sie glaubte eine gewisse Traurigkeit darin zu erkennen. „Ich weiß. Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie mit ihrer Arbeit fertig sind. Ich werde dann einen Arzt schicken, der sich um ihr Herz und…“, er stockte „…und ihre Persönlichkeit kümmern wird.“ Die Summerin nickte bestimmt und der Arzt tat es ihr gleich. Dann verließ er sie und schloss die Tür hinter sich. Einmal atmete sie tief ein und aus und wandte sich dann der Herztoten wieder zu. Lächelnd krempelte sie ihre Ärmel noch einmal hoch und trat neben sie. „Dann machen wir mal einen neuen Menschen aus dir, meine Kleine!“

Die SoldatinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt