Kapitel 4

11.4K 877 37
                                    

 4.

Schreiend stürzte Hailey zu Boden. „Oh mein Gott, Hailey!“, japste Chloe und stürmte zu ihr. Hailey‘ s Schrei verwandelte sich schlagartig in ein Schluchzen. Sofort stoppten alle das Training und eine Traube aus Schülern versammelte sich um Hailey, die stöhnend zu Boden lag. „Chloe, was ist passiert?“, fragte Mar und hockte sich neben Hailey. Erst dann sah sie Hailey‘ s verletztes Bein. „Ich hab vergessen, dass sie…dass sie…“ Sie brach ab. „Lasst mich durch Leute.“, forderte Morgan und kämpfte sich zu Hailey durch. Er betrachtete kurz ihr Bein. Aus den mit Tränen verschleierten Augen sah Hailey Adam, der schockiert neben ihr hockte. Ihre Freunde waren um sie versammelt. „Es ist gebrochen. Sie muss sofort auf die Krankenstation.“, sagte er und hob Hailey hoch. Die stöhnte noch einmal auf, als ihr Bein sich bewegte und langsam wurde ihr schwarz vor Augen.

Etwas piepte, als Hailey wieder zu sich kam. Sie lag in einem weißen Bett auf der Krankenstation. Ein dünner Schlauch war an ihrem Arm befestigt und ihr linkes Bein war eingegipst und hochgelegt. Der Schlauch führte zu einem Monitor und ein anderer zu einem Infusionsbeutel. Eine Kurve auf dem Monitor zeichnete ihren Herzschlag ab. Erstaunlich schnell pochte er. Die Tür ging auf und eine schmale Frau im weißen Kittel kam herein. „Ah gut, du bist wach. Wie fühlst du dich?“ Hailey musste sich räuspern. „Müde!“ Die Frau nickte und löste kurz den Schlauch vom Infusionsbeutel. Dunkelrotes Blut floss durch den Schlauch und sie fing es mit einem Röhrchen auf. Dann verband sie es wieder mit der Infusion.                                „Solange du noch geschwächt bist behalten wir dich auf der Station. Morgen oder übermorgen darfst du dann wieder in dein Zimmer. Es klopfte noch einmal an die Tür. Mar, Chloe und Ava kamen herein. Der skeptische Blick der Krankenschwester durchbohrte die Drei. „Wir beeilen uns.“, sagte Mar und verdrehte die Augen. „Sie braucht Ruhe, also rate ich es euch auch. Fünf Minuten.“, mahnte sie und verließ das Zimmer. „Wie geht’s dir?“, fragte Chloe und setzte sich zu Hailey. „Gut!“ Hailey wusste, dass es zu keiner Zeit Chloe‘ s Absicht gewesen war sie zu verletzen. Nur deshalb log sie. „Die pumpen dich voll, hm?“ Mar klang vorwurfsvoll. Angewidert betrachtete sie den Infusionsbeutel. „Du glaubst nicht ernsthaft, dass das Päd2 oder sowas ist, oder?“ Hailey sagte nichts. Sie wusste, dass Mar wütend werden konnte, wenn man ihr zustimmte. „Diese Scheiße kotzt mich an. Diese Arschlöcher schleppen uns hier her, fordern unser Leben und machen uns high. Was für ein abgefucktes Leben ist das?“ Mar wurde lauter. „Mar, sei still!“, zischte Ava. „Halts Maul Ava. Es ist doch so! Die geben einen Scheißdreck auf uns. Denen ist nur ihre fuck Mission wichtig. Und nicht mal das ist wahr. Dem König sollen wir dienen!“ Mar spuckte auf die Erde und gab ein abschätzendes Lachen von sich. „Ich hasse diesen Knast! Ich hasse ihn! Und du solltest das auch tun! Du solltest dir das nicht gefallen lassen!“ Die Tür ging auf. „Geht jetzt!“ Die Krankenschwester war distanziert. „Das waren nicht mal zwei Minuten!“, zischte Mar. Ihre Haltung symbolisierte einen Vulkan vor der Explosion. „Mar, bitte beruhige dich!“ Mehrere Pfleger kamen herein. Sie alle trugen das Siegel. Zwei packten Mar am Arm. Die ihr bekannte Schwester trippelte zu Hailey und setzte eine Spritze an ihrem Arm an. Unter langsam schwindendem Bewusstsein sah Hailey, wie ihre Freunde von ihr gezerrt wurden.

„Hat sie irgendetwas mitgekriegt?“ Langsam wurde Hailey wieder wach, doch als sie die Stimmen hörte ließ sie die Augen geschlossen. „Ich glaube nicht. Ich konnte sie rechtzeitig betäuben.“ Betäuben? Sprachen sie von Hailey? „Diese Maryann ist eine Gefahr. Sie stört noch die ganze Mission!“ „Wir brauchen sie. Morgan setzt viel auf sie und sie ist die beste Kämpferin!“ Hätte sie gewusst, über was die Personen noch alles sprechen hätten können, hätte sie wohl noch länger die Augen zugekniffen. „Hailey, wie geht es dir? Hast du Schmerzen?“ Hailey schüttelte den Kopf. „Wir verlegen dich jetzt auf dein Zimmer. Erst mal bist du vom Training freigestellt.“ Bevor Hailey etwas erwidern konnte löste die Schwester die Infusion und ein Mann hob sie in einen Rollstuhl. „Hey, jetzt warten Sie doch mal! Sie können mich doch nicht einfach so…“ „Ganz ruhig Hailey, wir wollen dir nur helfen!“, unterbrach der Mann sie und legte eine Decke auf ihren Unterkörper. Ihr verbundenes Bein stach unter der Decke hervor. Auf dem Weg zu ihrem Zimmer kam Hailey kein einziger Schüler entgegen. Als sie ankamen lag Mar auf ihrem Bett und hörte Musik. Sie würdigte die Pfleger keines Blickes. Nachdem Hailey auf dem Bett saß verschwanden die Leute aus dem Zimmer. „Na, haben sie dich eingewickelt?“ Mar klang verachtend und sehr sehr wütend. „Was hab ich denn gemacht?“, fragte Hailey empört über so wenig Verständnis. „Die haben dich gedoped. Haste s nicht gecheckt?“ Hailey schüttelte den Kopf. „Ich hab mir das Bein gebrochen. Was soll ich denn tun?!“ Mar sprang auf und setzte sich zu ihr. „Uns vertrauen und nicht denen!“ Hätte Hailey mehr Bewegungsfreiheit gehabt wäre sie aufgesprungen und hätte Mar das womöglich erste und einzige mal die Meinung gegeigt. Doch sie war nun mal gezeichnet und konnte nicht aufstehen. „Tut mir leid. Werde mir demnächst überlegen ob ich mir das Bein durchbrechen lasse. Okay? Verdammt Mar, glaubst du ernsthaft ich wollte das hier alles? Ich hasse es hier zu sein. Ich hasse diese Heimlichtuerei und ich hasse Blau!“ Und es war das erste mal, dass Hailey Tränen zuließ seit ihrer Anreise. Nun ja, Anreise konnte man es nicht nennen. Dafür war es nicht einvernehmlich genug. „Hey, ist ja gut. Du hast ja Recht.“ Kam das wirklich aus Mar‘ s Mund? Hailey überlegte, ob sie Mar von dem Gespräch erzählen sollte. „Mar?“, fragte sie leise. „Was gibt’s?“ Jetzt war sie schon deutlich freundlicher und wärmer. „Ich hab da was gehört, was ziemlich krass ist. Als ich ohnmächtig war, haben diese uniformierten Typen unterhalten!“ Mar nickte. „Du meinst die Offiziere!“ Hailey nickte auch. „Sie meinten, du gefährdest etwas!“ Mar wurde hellhörig. „Ich hole die anderen!“, quetschte sie hervor.

„Sie meinte, dass Mar irgendeine Mission gefährdet.“, erzählte Hailey noch einmal. „Und warum schmeißen sie mich dann nicht raus?“ Mar war beleidigt. „Weil du die beste Kämpferin bist!“ Wütend sprang sie auf. „Ich sag‘ s doch. Die Schweine benutzen uns nur!“ Chloe saß neben Hailey. „Woher willst du das wissen?“, fragte sie leise. „Man Chloe. Mach doch die Augen auf! Wir sind hier zum Kämpfen und wenn wir schlecht sind müssen wir gehen. Ist doch klar was hier passiert!“ Da klopfte es in Mar‘ s Wut hinein. „Ja?“ Eine Krankenschwester kam herein. „Hallo Hailey Rose. Du bekommst noch ein Schmerzmittel von uns!“ Mar zog die Augenbrauen hoch. „Aber warum denn, mir geht’s gut!“ Die Krankenschwester zückte eine Spritze. „Reine Vorsichtsmaßnahme, damit du gut durch die Nacht kommst. Zum Abendessen nimmst du die gewohnten Tabletten, ja?“ Und ehe Hailey antworten konnte piekte die Krankenschwester sie in den Arm. „Ich schau in den nächsten Tagen nochmal vorbei wegen deinem Bein. Solange benutzt du den Rollstuhl.“ Sie wand sich ab. „Achso und Ava, du hast heute Morgen deine Tabletten vergessen zu nehmen!“, lächelte sie und drückte ihr 3 weiße Perlen in die Hand. Ava lächelte bemüht. „Na frag dich mal warum!“, murmelte Mar. „Was hast du gesagt, Maryann?“ Mar zeigte ihr Zähne und die Krankenschwester verschwand. Endlich. Sie fing an diese Schule zu hassen. Oder was auch immer das war.Sie wusste es nicht. Und sie war sich nicht sicher, ob sie es überhaupt erfahren wollte. Nochmals klopfte es und Amelia trat ein. „Leute, es ist spät! Ihr kennt die Regeln.“ Stumm verließen alle das Zimmer, bis auf Mar und Hailey. Als die beiden im dunklen Zimmer lagen und ihrer beider Atem lauschten durchbrach Hailey die Melancholie. „Mar?“ Sie wartete nicht auf eine Antwort. „Du hast mal gesagt, dass wir im Haus Pugna sind. Gibt es noch mehr Häuser?“ Eine Weile antwortete Mar nicht und Hailey dachte schon, dass sie eingeschlafen war, doch dann sprach sie leise: „Es gibt noch zwei weitere Internatsschülergebäude. Haus Defensio und Haus Regenerationis.“ Hailey übersetzte stumm in Verteidigung und Regenerierung. „Wo stehen die Häuser?“ „Irgendwo hinter der Turnhalle. Die Verteidigungsfront hat eine eigene Waffenschmiede und der Regenerierungsteil einen Kräutergarten und so eine komische Fabrik. Stellen unser Dope und den ganzen Scheiß her. Das gesamte Gelände ist wie ein Wald. Ich weiß nicht wie groß, aber verdammt groß. Wenn ich joggen gehe, schaffe ich es nie bis zur Grenze.“ Sie brach ab. „Ich glaube, das schafft niemand.“ Ihre Stimme war nicht viel mehr als ein schmerzvolles Wispern. „Wenn wir kämpfen, dann lassen sie uns vielleicht frei. Wenn wir nicht kämpfen, dann kommen wir hier mit Sicherheit niemals raus. Vielleicht töten sie uns dann. Keine Ahnung. Alles Dreckskerle.“ Hailey schüttelte den Kopf, bis ihr einfiel, dass Mar sie nicht sehen konnte. „Und warum wehrst du dich dann so? Du sagst doch immer, dass die das nicht mit uns machen können. Dass du nur aus Langeweile trainierst.“ Mar lachte leise auf und ihr Atem war geschwängert von herbem Sarkasmus. „Ich kämpfe, um freizukommen, Hailey Rose. Ich hasse diese Anstalt und ich hasse diese scheiß Offiziere. Aber glaubst du echt ich sterbe einfach so? Lasse mich kampflos ermorden? Wir, Hailey, wir sind der wichtigste Teil. Das prioritärste Haus. Die anderen sind nur unsere Vorboten und Nachsorger. Die Verteidiger stellen unsere Schwerter her, die Regenerierer versorgen unsere Wunden und lecken unser Blut. Und wir, wir kämpfen Hailey. Ich habe nicht eine Sekunde geglaubt, dass wir für König Charles kämpfen. Für seine Wiederaufnahme seiner Macht. Vielleicht, vielleicht kämpfen wir ja sogar gegen ihn.“ Sie lachte. „Ich weiß es nicht. Und solange ich mir nicht sicher bin, auf welcher Seite ich stehe, werde ich nie mit hundertprozentiger Kraft kämpfen. Ich werde so kämpfen, dass es ausreicht, mich nicht auszuschalten. Sie sollen nicht merken, dass ich ihnen nichts abkaufe. Aber ich werde niemals einer unbekannten Macht angehören. Und wenn ich rausfinde, für wen ich kämpfe, werde ich mich entscheiden.“ Sie erwartete nichts in ihre kurze dramatische Sprachpause hinein. „Das werden wir alle, Hailey. Chloe, Ava, Adam, Morgan und ich.“ Und obwohl sie Hailey nicht sah, antwortete sie auf die Fragezeichen in ihrem Kopf. „Ja, auch Morgan. Er tut das auch nur, damit er nicht stirbt. Er war anfangs auch nur ein Schüler, dafür aber zu begabt. Jetzt bildet er uns zu Soldaten aus, zu Kampfmaschinen.“ Und dann sagte sie sehr lange nichts mehr. Kurz bevor Hailey einschlief flüsterte sie noch einen letzten Satz: „Wir kämpfen doch alle nur, um zu überleben.“

Die SoldatinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt