Kapitel 2

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2.

Als Hailey wieder aufwachte lag sie auf einem Bett in einem großen Zimmer. Sie versuchte sich aufzusetzen, doch ihre Hände waren an das Bett geschnallt und ein Gürtel drückte sie an der Taille auf die Federn. „Hallo?“ Ihre Stimme zitterte. „Na endlich!“, hörte sie jemanden sagen. Eine Tür ging auf. „Dornröschen ist wach!“, rief die Stimme. Es dauerte nur wenige Sekunden, da kam jemand zu Hailey Rose. „Hailey? Geht’s dir gut?“ Hailey nickte. Eine junge Frau beugte sich über sie. Sie trug wie die Männer einen blauen Blazer und blaue Hosen. Ihr Tattoo war zart Blau und nicht so ausgeprägt wie das der anderen. „Mein Name ist Amelia. Ich schnalle dich jetzt ab, okay?“ Hailey war noch nicht in der Lage zu antworten. Die Frau mit den langen dunklen Haaren löste ihre Schnallen. Vorsichtig setzte sie sich auf. „Ist dir übel?“ Hailey schüttelte den Kopf. „Wo bin ich hier?“ Ein Mädchen mit langen roten Locken kam ins Zimmer. „In der Hölle!“, grinste sie trocken. Sie hatte ein schönes herzförmiges Gesicht mit zarten Sommersprossen. An ihrem Hals zeichneten sich schwache Konturen eines Rs ab. „Maryann, du sollst den Neuen nicht solche Angst machen!“ Maryann’ s grüne Augen funkelten. „Nenn mich nicht Maryann. Mein Name ist Mar!“, fuhr sie Amelia an. Die zeigte sich allerdings wenig beeindruckt von Mar‘ s Wutanfall und reichte Hailey ein Glas Wasser. „Hailey, das ist Mar. Sie ist deine Zimmergenossin.“ Die Frage von Hailey umging sie geschickt und einen Moment vergas Hailey es. „Hey Dornröschen!“ Mar zog die Augenbrauen hoch und ging an ihren Schrank. „War es das jetzt, Amelia?“ Amelia lächelte und streichelte noch einmal beruhigend Hailey‘ s Schulter. „In einer halben Stunde gibt es Abendessen. Am besten ziehst du bis dahin etwas Bequemes an. Deine Uniform kriegst du morgen früh.“ Mit diesen Worten verschwand sie. Mar stand noch immer am Kleiderschrank und öffnete ihn. „Endlich ist die Alte weg!“, seufzte sie theatralisch. „Wer ist sie?“ Mar zuckte mit den Schultern. „Psychodock. Damit wir nicht bekloppt werden.“ Sie zog sich ihr Hemd über den Kopf aus. Sofort glitten Hailey‘ s Augen zu Mar‘ s Oberkörper. Mar hatte mehrere Tattoo‘ s. Ein großes schlang sich von ihren Rippen die Seite herab in provokanten Schnörkeln und Windungen. „Stehst du auf Frauen oder was?“ Erschrocken starrte Hailey weg. „N…nein. Natürlich nicht.“ Mar lachte und zog sich ein schwarzes Shirt über. „Gut. Hab keine Lust mich jeden Abend im Waschraum um zu ziehen.“ Sie wies auf einen Schrank neben ihrem. „Das da ist deiner!“ Verwirrt blickte Hailey auf das weiße imposante Möbelstück. „Na los! Mach schon. Ich hab Hunger und heute gibt‘ s Nudeln. Zwar nur so ne Vollkornscheiße aber wenigstens sind die Tomaten in der Soße echt.“ Ängstlich öffnete Hailey den großen Schrank. Säuberlich gestapelt befanden sich all ihre Klamotten in den Schubladen. „Wer…?“ Mar zuckte mit den Schultern und warf sich auf ihr Bett. „Keine Ahnung. Als ich her gebracht wurde haben sie mir erzählt, meine Eltern hätten eine Tasche gepackt. Ich glaube ihnen das nicht. Meine Mom kümmert sich einen scheiß um mich!“ Hailey zog ihr Lieblingsshirt und eine Jogginghose aus dem Schrank. Mit Verwunderung stellte sie fest, dass jemand auf beides ein kleines R eingestickt hatte. Mar bemerkte ihren Blick. „Gewöhn dich dran! Auf meine Festival-Shirts haben sie auch welche gemacht.“

Hailey folgte Mar die langen Korridore entlang. „Merk dir den Weg.“, befahl Mar Hailey. Sie wagte nicht zu fragen warum und lief neben ihr her. „Wo sind wir hier?“, flüsterte sie Mar zu. „Im Haus Pugna. Den Rest erkläre ich dir später!“, flüsterte die zurück und öffnete eine große schwere Tür vor ihnen. Hailey hätte nicht erwartet, dass Mar so kräftig war. Vor ihnen befand sich ein riesiger Saal voller Tische und Stühle. Zentral gelegen war eine riesige Salat-Theke und links gab es eine Essensausgabe. „Bist du magersüchtig?“, fragte Mar. „Nein. Natürlich nicht!“, antwortete Hailey entsetzt. „Dann empfehle ich dir nicht den Salat.“ Hailey verstand Mar nicht ganz, folgte ihr aber nickend, als die sich ihre Vollkornnudeln abholte. Die lächelnde Dame an der Ausgabe betrachtete ihre Figur. „Neu?“ Sah man ihr das an? „Heute angekommen.“, gestand Hailey. „Dann kriegst du 3!“, sagte sie und stellte ein kleines Döschen auf das Tablett. Verwirrt musterte Hailey den Inhalt. Drei kleine Tabletten lagen in ihr. „Nimmst du die Pille?“, flüsterte Mar. Hailey nickte. „Dann gewöhn dich dran sie nicht mehr zu nehmen. Ficken verboten!“ Mar grinste und ging auf einen Tisch zu an dem schon mehrere Mädchen und Jungen saßen. „Hey Leute, das ist Hailey.“, stellte sie Hailey vor und setzte sich. Zaghaft nahm auch Hailey Platz. „Das ist Ava!“ Mar wies auf ein Mädchen mit olivenen Teint. „Hey!“ Ava‘ s Zähne leuchteten als sie Hailey grüßte. „Sie ist nach mir am längsten hier. Zwei Monate.“ Ein Mädchen mit kurzen braunen Locken reichte Hailey ihre Hand. „Ich bin Chloe! Seit einem Monat hier!“ Es war als hätte sie eine Flat fürs Grinsen. „Ja und das ist Adam.“ Ein blonder Junge lächelte Hailey sanft an und nickte. „Wie geht’s Hailey?“ Hailey lächelte. „Gut. Besser.“ Er nahm sich das kleine Döschen auf Hailey‘ s Tablett. „Drei? Hab ich auch am Anfang gekriegt.“ Mar griff sich die Dose. „Die werden schön gesammelt!“, grinste sie und ließ sie in ihrer Hosentasche verschwinden. Unter dem Tisch reichten die anderen ihr deren Tabletten. „Die einzigen die uns vollpumpen sind wir selber!“, flüsterte Adam Hailey lächelnd ins Ohr. „Wo sind wir hier?“ Die Frage ließ den Tisch kurz verstummen. Mar blickte sich um. „Nicht hier!“, zischte sie und fing an zu essen. „Ich geh schlafen!“, kündigte Ava ihr. „Beeilst du dich?“, fragte sie in Chloe‘ s Richtung. Chloe nickte. „Zehn Minuten!“, antwortete sie. „Die beiden schlafen in einem Zimmer.“, erklärte Mar. Sie schob das Tablett von sich. Unglaublich wie schnell sie aufgegessen hatte. „Iss, ich will auch pennen gehen!“, forderte sie Hailey auf, zwinkerte ihr allerdings leicht zu. „Okay Mädels, wir sehen uns morgen!“, sagte Adam und stand auf. Er legte Hailey beiläufig die Hand auf die Schulter. War das ein Zeichen? Schon so schnell? „Bist du doch magersüchtig?“ Hailey schüttelte schnell den Kopf und fing an zu essen.

Misstrauisch blickte Mar aus dem Fenster. Ihr Atem schlug an das kalte Glas. Ruckartig zog sie die Vorhänge zu. „Okay, pass auf. Ich erzähle es dir einmal und dann nie wieder, verstanden?“ Hailey nickte. „Wir wurden her gebracht um zu kämpfen.“ Verwirrt runzelte Hailey die Stirn. „Für wen?“ Mar grinste düster. „Sie sagen für den König. Aber ich glaube ihnen nicht. Die bescheißen uns.“ Sie zuckte mit den Schultern und zog sich einen kurzen Schlafanzug an. „Und warum machst du dann mit?“, fragte Hailey verwirrt. „Mir ist langweilig. Furchtbar langweilig. Und ich steh auf Sport.“ Das sah man ihr an. „Wir werden ausgebildet um irgendwann zu kämpfen. Die sagen, unsere Eltern wüssten davon.“ Sie lachte laut auf und fuhr sich durch die roten Haare. „Ich kann das nicht einschätzen. Meiner Mom bin ich egal, also würde sie so oder so nichts machen. Die sitzt nur auf ihrem faulen Arsch zu Hause rum.“ Hailey schluckte. „Aber meiner Mom wäre es nicht egal!“ Mar zog die Augenbrauen hoch. „Du heulst jetzt aber nicht, oder?“ Ein Kloß steckte in Hailey‘ s Halt fest. „Weil du neu bist, klar?“, sagte Mar, setzte sich zu ihr und legte den Arm um sie. Und da begann Hailey zu verstehen. Verstehen wohin die Kinder verschwunden waren. Der Moment wo sie anfing bitterlich zu weinen. Der Moment, in dem ihr bewusst wurde, dass sie nicht das Geringste tun konnte.

Die SoldatinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt