Langsam knöpfte Adam sein Hemd zu und nahm die Krawatte aus dem Schrank. Blau. Mar hasste blau. Angewidert feuerte er das Stück Stoff in die Zimmerecke und verfehlte dabei nur knapp den immer noch in Boxershorts gekleideten Lauren. Seine Finger zitterten und er spürte den kalten Schweiß in seinem Nacken die Härchen aufstellen. Fürchtete er sich etwa? Das durfte er nicht zulassen. Schließlich war Mar seine beste Freundin und er war verpflichtet ihre letzte Ehre nicht mit Abwesenheit zu beflecken. Das hätte sie ihm niemals verziehen. Was hätte sie wohl getan? Wie hätte sie reagiert? Sie hätte sie ausgelacht und auf dem Grabe getanzt. Sie wäre hoch erhobenen Hauptes zum Friedhof stolziert. Sie wäre Mar geblieben. Und deswegen musste Adam verdammt nochmal auch er selbst sein. Mar würde keinen polierten und barrikadierten Adam wollen. Sie würde den wahren Freund wollen. Und der würde er nun sein. „Beeil dich!“, forderte er Lauren auf. Immer noch nervös aber etwas entspannter sah er auf seine Uhr. „Noch zehn Minuten, Bruder!“ Lauren nickte stumm und war binnen Sekunden herausgeputzt. „Bereit?“ „Bereit.“ Auf dem Flur begegneten ihnen ihre Mitschüler. Prüfend sah Adam sich um und ein kleines Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Niemand trug die blaue vorschriftsmäßige Kleidung. Das „R“, darum kamen sie nicht herum, aber wenigstens diese winzige Geste zu Mar‘ s Ehren sandten sie in den Himmel. Und sie hatten das Gefühl, dass Mar ihnen einen Luftkuss zurück schickte. Vielleicht in Form einer Schneeflocke, eines Regentropfens oder eines Windhauches. Doch sie fühlten sich gesegnet und traten jetzt die mit schwersten Schritte ihres Lebens an. Für sie.
Formiert von Liverpool, Coach machten sich Hailey und ihre Freunde auf den Weg zum Friedhof. Bittere Kälte schlug sie wie eine Faust ins Gesicht und beißende Tränen stiegen ihr in die Augen. Nicht aus Trauer, schließlich war sie ja der festen Überzeugung, dass Mar lebte. Und das würde sie später noch sehen. Und wenn sie den Sarg aufreißen würde um zu beweisen, dass er leer war. Völlig egal. Eine Hand legte sich auf ihre Schulter. „Wirst du es schaffen?“ Adam‘ s warmer Atem schlug ihr in den Nacken und sie sog seinen Geruch ein. „Klar.“ Adam blieb immer noch bei ihr und hatte keinerlei Mühe im Rhythmus zu bleiben. „Du wirst sie sehen müssen. Es wird eine Totenwache geben“ Erschrocken blieb Hailey stehen und der komplette hintere Teil der Formation brach zusammen wie ein Kartenhaus. „Rose, Hailey? Was soll diese Aufruhr?“, fuhr Liverpool, Coach sie an und Hailey beeilte sich aufzustehen und sich der Gruppe wieder anzuschließen. Da sie alle fürchterliche Angst vor dem Kampfweib hatten funktionierte das erstaunlich gut. Sie schritten auf den Wald zu und bogen in einen breiten Weg ein. Mehrere Minuten schwiegen sie alle, bis plötzlich eine leise Melodie aus der schreitenden Masse erklang. Jeder, wahrlich, jeder erschauderte unter den hellen Klängen von Chloe‘ s Stimme. Sie summte Mar‘ s Lieblingslied. So wie sie es gewollt hätte. Und obwohl Hailey langsam zweifelte, ob ihre Vermutung, dass Mar noch lebte wirklich richtig war, stimmte sie mit ein. Die Äste schüttelten ihre hölzernen Muskeln unter der Geräuschkulisse, als ausnahmslos jeder Schüler anfing zu summen, zu murmeln, zu singen oder einfach im Rhythmus zu schnalzen. Liverpool, Coach zuckte zusammen und wollte erst anfangen zu brüllen und diese Gräueltat zu verbieten, als sie das Lied erkannte und heimlich mit den Fingern schnipste. Ein ganzer Ozean aus Tränen stiegen in den leuchtenden Irden auf und flossen zu Boden, wo sie die Wurzeln lockerten und die Bäume zum tanzen brachte. Überrumpelt lief Hailey in die Person vor ihr hinein, als diese plötzlich anhielt. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und dann begann sie unglaublich zu schlottern. Vor ihr tat sich ein Feld aus Gräbern auf, umrahmt von einem steinernen und dem Himmel geöffneten Tempel. Einer Königin wie Mar, war das allemal würdig. Die Einheit löste sich auf wie Zucker in Wasser und strömte in den kreisförmigen Abschiedsplatz hinein. Relativ zentral gelegen war ein tiefes Loch geschaufelt und mit blauem Samte ausgelegt. Alle zischten laut auf. Sie hasste blau. Und dann kicherten sie alle über diese Synchronität. Mar hätte auch gelacht. Da waren sie sich sicher. Eine Weile standen sie einfach so da und einige tuschelten leise. Hailey betrachtete den Tempel, oder zumindest den Teil, den man hinter all den Schülern noch erkennen konnte. Schwungvolle Skulpturen wachten über die Gräber und ein kleiner Springbrunnen spendete eisiges Wasser. Wie unnötig. Plötzlich spürte sie eine Hand in ihrer. Adam stand bei ihr und er hielt sie fest, denn nun, wo er ihr eröffnet hatte, dass eine Totenwache angeblich vorgesehen war, verunsicherte sie das noch mehr. Dunstiger Nebel stieg von ihren klappernden Mündern auf. Plötzlich verstummten sie alle, als eine Gruppe von Uniformierten Kriegern einen großen Sarg tragend den Tempel betraten. Keine wagte es, auch nur zu atmen. Beinahe schwebend trugen sie das Totenbett zu dem Loch in der Erde und ein idiotischer Gedanke kam in Hailey hoch. Lass sie fallen, damit sie hinaus klettern kann. Doch sie ließen Mar nicht fallen. Hailey wunderte sich, warum kein Priester oder wenigstens ein oberster Offizier über Mar sprach. Suchend sah sie sich um und erblickt zwischen komplett blau gekleideten Ausbildern Morgan im schwarzen Anzug. Sie lächelte und hoffte, er würde zu ihr sehen, damit sie ihm moralisch stützen könnte. Doch er sah nicht zu ihr. Sein Blick galt dem hölzernen Bette Mar‘ s. Immer noch sagte keiner etwas. „Warum spricht keine über sie?“, wisperte Hailey. Adam schüttelte den Kopf. „Das ist hier nicht üblich.“ Wie eine Faust in die Magengrube traf diese Information Hailey. Es war nicht üblich? Als ihre Großmutter verstorben war, gab es eine stundenlange Zeremonie und jetzt war das einzig gleiche dazu die dunkle Kleidung der Angehörigen. „Was ist mit der Totenwache?“ Hailey wollte Mar sehen. Sie wollte einen Beweis. „Ich weiß es nicht. Machen sie anscheinend doch nicht!“ Wütend schüttelte Hailey den Kopf. „Ich will sie sehen!“, entfuhr es ihr laut. Alle drehten sich zu ihr. „Na los!“ Verunsichert warfen sich die Uniformierten Blicke zu und setzten das Holz ab. „Kommt schon!“ Tränen rollten ihren Hals herab. „Ich will sie auch sehen!“, kam es plötzlich von irgendwo. Immer mehr schlossen sich ihnen an, bis ein grausamer Sprechchor entstand. Sie fühlten sich erschlagen von den lauten Rufen. Schließlich traten zeitgleich Morgan und Hailey nach vorne zum Sarg. Die Uniformierten sahen sich nervös um. Ein Offizier schüttelte den Kopf, doch Morgan handelte schneller und klappte die Platte hoch. Der Anblick der sich ihm bot, verschlug ihm die Sprach und Hailey spürte, wie ihr schwindelig wurde. Das kalte Holz umarmte eine schlafende Maryann Westminster. Ihre Haut war weiß und die Lippen blau angelaufen. Blau. Sie hasste blau. Um ihre Handgelenke legten sich rote Striemen. Seltsam. Hailey horchte angestrengt. Sie versuchte ihren Herzschlag zu erlauschen, doch es kam nichts. Es schienen Stunden zu vergehen, bis Hailey‘ s Beine nachgaben und sie mit dem dünnen schwarzen Kleid zu Boden ging. Zwei starke Arme umgriffen sie und drückten ihren zarten Körper an eine vertraute Brust. Und dann, dann löste sich der Mut von ihr. Die Gewissheit, die Furchtlosigkeit. Und in einem lauten Schrei entwich die Balustrade des Wassers und Hailey‘ s Wangen wurden von Tränen und tödlichem Schmerz überflutet.

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Die Soldatin
FantasyMisstrauisch blickte Mar aus dem Fenster. Ihr Atem schlug an das kalte Glas. Ruckartig zog sie die Vorhänge zu. „Okay, pass auf. Ich erzähle es dir einmal und dann nie wieder, verstanden?“ Hailey nickte. „Wir wurden her gebracht um zu kämpfen.“ Verw...