Kapitel 72

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Scarlett hatte sich nach der Versammlung sofort schlafen gelegt. Die Einweisung hatte ihr ziemlich zugesetzt, dass der Resistentia-Orden so machtheischend war, wurde ihr dadurch einmal mehr bewusst. Alles wirkte nicht mehr so logisch und natürlich wie nach ihrem Unfall. An dem Tag, als sie aufgewacht war, hatte sie alles bedingungslos geglaubt. Von den Verletzungen, bis hin zum Gedächtnisverlust. Sogar, dass sie eine Ausbilderin war, hatte sie ihnen abgekauft. Doch mittlerweile waren da nicht mehr nur noch die immer stärker gelockten Haare, die seltsamerweise einen kleinen rostigen Schimmer annahmen, sondern auch die Pläne, die hier verfolgt wurden. Sie wollte dem Ganzen so gerne trauen, aber wenn selbst Morgan das nicht tat, wie konnte sie das dann tun? Immerhin war da irgendwas zwischen ihm und ihr. Sie wusste nicht was und ja, sie schämte sich auch dafür, weil er erst vor Kurzem seine Geliebte verloren hatte, aber gegen das, was in ihr geschah, konnte sie nichts tun. Natürlich konnte sie abstreiten, aber sich selbst zu belügen, schien auch keine Lösung zu sein. Und so kam es, dass sie trotz ihrer starken Müdigkeit immer noch mitten in der Nacht wach lag. Die Hände über dem Bauchnabel gefaltet und an die Decke starrend versuchte sie endlich Ruhe zu finden, doch es gelang ihr nicht. Ihr Kopf wollte sich einfach nicht lösen, ihr Geist war stetig beschäftigt. Wie durchwirbelter Rauch in einem klaren Glas. Er wollte sich einfach nicht beruhigen. Letztendlich beschloss sie, dass sie sich bei einer Trainingseinheit wohl besser abreagieren könnte, als nichtstuend in den mehr oder weniger bequemen Federn. Und so schwang sie die Bettdecke beiseite und sammelte ihre Sportkleidung aus dem Schrank. Draußen auf dem Flur war es still, alle schienen zu schlafen, da fiel ihr ein, dass sie etwas zu Trinken vergessen hatte. Das hatte sie immerhin gelernt – aus den gestellten Wasserflaschen zu trinken, war nicht ratsam und so drehte sie sich nochmal, um aus dem Badezimmer eine selbst aufgefüllte Flasche Wasser zu holen. Ihr Gefäß bestand aus einer leeren und ausgespülten Duschgelflasche, doch als sie wieder hinaus wollte, hörte sie durch die angelehnte Tür Stimmen. Mitten in der Nacht? Nun, ein Schüler konnte es nicht sein und somit stellte sie sich neugierig an den Türspalt um zu lauschen.

„Angenehme Nachtruhe, Leutnant Rosehill. Haben Sie Ihre Besorgungen alle erhalten?“, fragte eine etwas jüngere Stimme. Scarlett schätzte auf einen Krieger oder Soldaten.

„Das selbe wünsche ich Ihnen, Seargent, doch muss ich zugeben, dass Sie mich mit Ihrer Frage verwundern. Welche Besorgungen meinen Sie?“, antwortete eine ältere aber sehr eindringliche Stimme.

„Vorhin ist doch ein junger Seargent raus gefahren, um für Sie etwas zu erledigen und zu holen. Meine Schicht ist gerade zu Ende, aber ich dachte er würde vielleicht kurz nach mir wieder eintreffen und Ihnen alles überbringen.“

Scarlett stutzte bei dem Wortwechsel, wieso fühlte sie sich so angesprochen?

„Also ich habe niemanden veranlasst, für mich außerhalb zu fahren. Können Sie sich an den Namen des Seargents erinnern?“

Eine kurze Pause der Diskussion verriet, dass der junge Soldat anscheinend überlegte.

„Macklemore. Seargent Macklemore. Farbig und ziemlich jung, nur die Uniform hat ihm nicht ganz gepasst, hatte ich das Gefühl“, kam es nach kurzer Denkpause. Scarlett zuckte zusammen bei der Beschreibung.

„Ich werde jemanden kontaktieren, der auf das Eintreffen dieses Seargents“, er sprach das Wort mit einer besonderen und bedachten Betonung aus „warten wird. Mir ist er jedenfalls nicht bekannt.“

„Das tut mir leid, Leutnant, ich hätte mich vergewissern müssen“, kam es ziemlich zerknirscht vom Soldat.

„Wir werden sehen, was das für Konsequenzen mit sich bringt. Ich hoffe für uns beide, dass ich nicht Leutnant Messelwave kontaktieren muss. Ansonsten würde das fatale Folgen mit sich bringen. Gute Nacht, Seargent.“

Der Soldat murmelte noch ein höfliches aber schon nahezu ängstliches „Gute Nacht, Leutnant“ und dann hörte man ihre sich entfernenden Schritte. Scarlett wartete, bis sie nichts mehr vernehmen konnte, schnappte sich eine Jacke und stürmte eilig auf den Flur. Sie musste sofort an den Rand des Geländes. Wenn das wirklich Morgan gewesen ist, dann würde er jetzt ernsthafte Schwierigkeiten bekommen. Und was wäre, wenn er gar nicht erst wieder zurück könnte? Scarlett wusste nicht wie, aber sie musste ihm helfen. Und so verließ sie fluchtartig das Internatsgebäude und eilte durch die eisige Nacht auf den dunklen Wald zu.

Skeptisch betrachteten Ava, Chloe und Hailey den hinteren Raum des Wagens, während sie vor der geöffneten Tür standen. Sie hatten einen einzigen Kanister Benzin gefunden. Das waren gerade mal zwanzig Liter, würde sie also nicht gerade weit bringen, aber es war immerhin etwas. Kurzentschlossen ergriff Hailey den Sprit und kippte alles in den Transporter.

„Was kann da schon groß schiefgehen?“, murmelte sie.

„Was da schiefgehen kann? Na pass mal auf!“, antwortete Chloe ihr und setzte sich auf den Fahrersitz. Bei geöffneter Tür drehte sie den Zündschlüssel, doch es ratterte nur immer wieder erbärmlich. Der Motor hörte sich an wie eine kranke, sterbende Kuh mit Asthma.

„Das ist doch schädlich, wenn der komplett leer läuft. Sowas wie 'ne Warnanzeige konnten die Idioten ja auch nicht einbauen“, stöhnte sie und ging immer wieder ohne Reaktion auf das Gaspedal.

„Das Benzin muss doch erst wieder reinlaufen. Mach einfach weiter, funktioniert schon irgendwann“, meinte Ava und Chloe drehte immer wieder den Zündschlüssel. So verbrachten sie mindestens eine halbe Stunde in der klirrenden Kälte, bis Hailey sich auf den Beifahrersitz setzte und die Tür schloss. Ava quetschte sich zwischen sie und hoffte inständig, dass ihre Theorie stimmte. Als nach einer Ewigkeit endlich ein schwaches aber akzeptables Surren zu hören waren, atmeten sie alle auf und passierten wieder die M25. Jedoch wussten sie alle, dass sie mit zwanzig Litern nicht weit kommen würden. Aussprechen wollte das allerdings keiner.

Die SoldatinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt