Kapitel 84

2.8K 324 89
                                    

Chrys stand an einem der großen Fenster und überblickte den großen Platz vor dem Palast. Das Licht war bereits gelöscht worden und sie konnte nicht schlafen. Wie spät es war, konnte sie nicht sagen und auch nicht wie lange sie schon so da stand.

„Du solltest schlafen gehen, Prinzessin“, raunte ihr plötzlich eine Stimme in den Rücken. Erschrocken zuckte sie zusammen und fuhr herum. Chris' Zähne blitzten amüsiert im schwachen Licht der Laternen.

„Morgen wird irgendwas passieren, glaub mir mal“, fuhr er fort. Chrys suchte nach Worten, doch fand keine. Diese Unannehmlichkeit wurde ihr auch abgenommen, als man draußen das Grollen von mehreren Motoren hörte. Zeitgleich starrten die beiden hinaus und beobachteten mehrere hundert Transporter, die wie ihre zuvor auch parkten. Nach und nach stiegen Gestalten aus und jeder für sich schien nach bekannten Gesichtern zu suchen. Für einen Moment hatte Chrys geglaubt ihre ältere Schwester finden zu können, doch sie irrte. Chloe war nicht unter ihnen. Ein Lichtstrahl warf sich plötzlich gegen das Glas und die zwei drehten sich um. Die Tür war einen Spalt breit geöffnet worden und warf nun den Spalt der Lampe rein.

„Los“, murmelte Chris und griff nach Chrystals Handgelenk. Diese stolperte immer wieder über die am Boden liegenden Schlafenden und löste einige knurrende Flüche aus. Chris musste sich ein Grinsen verkneifen und half ihr nun langsamer durch das labyrinthgleiche Lager. An einer freien Matratze angelangt drückte er sie sachte nach unten und suchte sich dann ein eigenes provisorisches Bett. Die Nacht über konnten beide nur schwer in den Schlaf finden und wurden dann viel zu früh geweckt. Der Morgen war mehr als unangenehm. Sie wurden zum Gang ins Bad aufgerufen und jeder bekam nur wenige Minuten für sich. Zeit für eine Dusche blieb da kaum, einige wurden ins Handtuch gewickelt hinaus gescheucht und brachen dabei schon die kurzen Intervalle der Folgenden an. Chrystal suchte vergeblich in dem Gedränge der sich fertig machenden nach einem bekannten Gesicht. Doch weder Chris, noch Lucy ließen sich blicken. Wahrscheinlich waren sie gerade an der Reihe oder einfach durch das Tohuwabohu nicht zu sehen. Doch Victoria tippte Chrys kurz darauf auf die Schulter und die beiden machten sich auf zur großen Tür. Dort warteten mehrere Uniformierte auf den Rest der jungen Leute, um sie dann allesamt durch die Korridore zum Innenhof zu bringen. Dort waren bereits mehrere Tische provisorisch aufgestellt worden. Ihnen wurde erklärt, dass an diesen Plätzen die Mahlzeiten eingenommen wurden, gemeinschaftlich und ohne Ausnahme. Und trotz der eisigen Kälte draußen, genossen alle das Frühstück, dass aus einer Schale Milch und einem warmen Brei aus Körnern bestand. Mit Zucker hatte man gespart, doch daran störte sich keiner. Nach einer nicht allzu langen Zeit, wurden sie wieder ins Gebäude gebracht und Chrystal kam gerade noch rechtzeitig an den großen Fenstern des Schlafsaales an, um die anfahrenden Transporter sehen zu können. Es mussten mehrere hunderte sein, der Platz vor dem Palast war fast komplett befüllt. Nur schmale Pfade wurden gelassen, damit die Insassen auch in das mächtige Anwesen gelangen konnten. Und unter ihnen waren Personen, die schon längst verloren geglaubt waren.

Es dauerte Stunden, bis Lauren wieder Gefühl in seinen Gliedern fand. Und auch dieser Prozess der Bewusstseinswiedererlangung brauchte seine Zeit. Seine Haut kribbelte, an einigen Stellen brannte sie. Insbesondere an den Hand- und Fußgelenken, wie er nach wenigen Minuten feststellte. Warum, merkte er genau da, als er seiner Lider wieder mächtig war. Mehrmals blinzelte er in das schwache Licht, suchte nach Orientierung und fand sich selber auf einem mehr als klischeebehafteten Stuhl wieder. Dort, wo es brannte, war er mit ledernen Riemen an den Lehnen und Stuhlbeinen fixiert. Er war aufgeflogen, natürlich war er das. Als er versuchte, sich zu regen, zuckte er unwillkürlich zusammen. Sein Brustkorb spannte und schmerzte unglaublich. Es war ihm, als würde er zerspringen. Man hatte ihn wohl aufgeschnitten und nun gab es ja keinen Grund mehr, mit ihm noch gnädig zu sein. Der Einlauf, den er in seinem Unterarm wiederfand, führte nirgendwo hin. Die Nadel steckte einfach in seinem Fleisch. Geknebelt war er nicht und somit blieb es ihm nicht verwehrt zu schreien. Was nicht zuletzt an den pochenden Flammen im gesamten Körper lag. Er spürte allerdings, dass er es damit nur verschlimmerte und konnte nur noch heiser Krächzen. Der Raum in dem er sich befand, sah aus, wie ein albtraummäßiges Zahnarztbehandlungszimmer. Metallen, steril und dann dieser schreckliche Stuhl. Er wusste, in welcher Lage er sich nun befand und es dauerte auch nicht mehr lange, bis eine Frau und der ihm bekannte Hamster zu ihm stießen. Die Frau war jung, für ihr Geschlecht unheimlich muskulös und kurzhälsig. Lauren musste sich eingestehen – er hatte Angst vor ihr. Zwar nicht so sehr wie vor Liverpool, Coach, aber dennoch.

„Lauren Lie?“, bellte sie ihn schon fast an. Der Angesprochene presste die Lippen aufeinander.

„Was vielleicht erwähnenswert und in unser beider Interesse ist: Zeigen Sie sich kooperativ, wird Ihnen das zu Gunsten kommen“, informierte sie ihn und erstach ihn fast mit ihrem kühlen Blick.

„Wir konnten feststellen, dass Sie körperlich völlig gesund sind und es keinen Anlass für Schmerzen oder derartige Anfälle gab.“ Lauren schwieg, was sollte er auch sagen?

„Wo halten sich Chloe Cadence, Ava Rodriguez und Hailey Rose auf?“ Er wollte Luft holen, ignorierte das unerträgliche Drücken im Brustkorb.

„Keine Ahnung, wieso Sie da mich fragen.“ Niemand verzog eine Miene. Die Unterhaltung wirkte wie ein höfliches Gespräch, vielleicht zwischen sich nicht sympathischen Arbeitskollegen. Nur das Lauren nicht mit den beiden zusammen arbeiten würde.

„Ihnen ist klar, dass wir somit keine weitere Verwendung mehr für Sie haben?“ Lauren unterdrückte die Tränen, die sich in seine Irden stehen wollten. Er musste jetzt stark sein.

„Ist mir durchaus bewusst, ja.“

„Sie haben jetzt noch einmal die Chance, Ihre Aussage zu revidieren. Wir wissen, dass Sie mit den besagten befreundet sind und ihre vorgetäuschte Krankheit Teil eines aussichtslosen Planes ist.“ Lauren wusste, dass die folgenden Worte, wenigstens ein Stück seines Stolzes wahren würden.

„Ich sagen euch kranken Pissern jetzt mal was: Ihr könnt mir gerne die Gliedmaßen einzeln rausreißen und eure beschissene Macht weiterhin ausnutzen, aber ihr irrt, wenn ihr glaubt, dass ich dann kusche. Egal was passiert, ich werde meine Freunde – nein, meine Familie nicht verraten. Ich weiß, was mich das kosten wird und ich weiß, dass ich euren Sturz nicht mehr miterleben werde, aber das kann ich nicht ändern. Ich habe alles getan, was in meiner Macht lag und ja, ich hätte noch mehr tun können, wenn ihr Schweine“, jetzt wurde er unendlich laut und musste sich beherrschen „mich nicht aufgeschlitzt hättet. Meine Fresse, das war echt unnötig! Ihr werdet von mir nichts hören, aber lasst euch eins gesagt sein: Es wird enden. Ihr werdet enden. Und Blau stinkt.“ Er schnappte hektisch nach Luft, Schweiß bildete sich auf seiner Stirn und der Brust. Er würde bald ohnmächtig werden, dem war er sich bewusst.

„Ruthy, Sie können“, war das letzte, was die Frau noch sagte, bevor sie den Raum verließ. Der Hamster seufzte geräuschvoll und verschwand aus Laurens Blickfeld. Es klapperte kurz und dann war sie plötzlich wieder bei Lauren und der Einlauf wurde mit einer Ampulle verbunden.

„Tut mir leid“, murmelte sie und der junge Held lachte leise. Die Flüssigkeit wurde in seinen Körper gedrückt und sein ohnehin schon schwankendes Bewusstsein neigte sich dem Ende der Kräfte. Langsam wich jegliches Gefühl aus ihm und eine irre Schüttelfrost überkam ihn. Das Blut rauschte in seinen Ohren und alles flatterte leicht, wie ein landender Schmetterling. Die fetten, wulstigen Backen des Hamsters schoben sich noch einmal in sein Blickfeld.

„Ist gleich vorbei.“ Er versuchte zu schlucken, aber er hatte keinerlei Kontrolle mehr über seinen Körper. Sein Rachen schien erst zu schwellen und dann zu verschwinden.

„Sie werden verlieren und wir, wir leben ewig“, waren die letzten Worte Lauren Lies, bevor er leise, aber bedeutungsvoll starb.

Die SoldatinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt