Kapitel 87

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„Nein!“ Chloe schrie das eine Wort immer und immer wieder und presste beide Hände gegen die Schläfen.

„Er ist zusammengebrochen und du“, sie trat an Adam heran und drückte ihm den Zeigefinger auf die Brust „hast nichts unternommen?“ Ihr Atem ging hektisch und ihre Finger zitterten. Tränen stiegen ihr in die Augen und das, obwohl sie noch nicht mal das komplette Ausmaß der Dinge kannte.

„Wie konntest du nur?“, schluchzte sie dann in sich hinein und Hailey legte ihre Hand auf Chloes Schulter.

„Es geht ihm bestimmt gut“, versuchte sie zu beruhigen. Chloe sah sie an und hielt dann ihren Blick fest.

„Und wenn nicht?“ Was, wenn nicht? Ihr Zorn war kaum zu bändigen und mit stampfenden Schritten verließ Chloe Cadence das Wohnzimmer, um dann wie ein wütender Teenager nach oben zu hasten. Sie war gerade mal siebzehn, aber die Umstände hatten sie schon jetzt zu einer Frau reifen lassen. Sie alle hatten erwachsen werden müssen. Es gab keinen Platz für Kindheit, auch wenn der Resistentia-Orden darauf baute. Egal ob man ihm angehörte oder nicht – man war nicht länger im Körbchen des Welpenschutzes.

„Oh Gott“, murmelte Hailey in sich hinein und lief in die Küche. Adam folgte ihr.

„Hailey“, sprach er ihren Namen aus, doch sie reagierte nicht.

„Ich muss jetzt Morgan helfen, okay?“, antwortete sie nur und befeuchtete mehrere Tücher.

„Eine Sekunde.“

„Sie stirbt sonst“, schrie Hailey plötzlich fast und zuckte zusammen. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und der Schweiß rann ihren Rücken herab. Woher kam auf einmal diese Aggression, diese Angst? Sie und Adam hatten nur zwei Minuten mit Chloe geredet, damit diese wusste woran sie war, bevor sie zu Scarlett gehen würden und dennoch nahm sie das schrecklich mit.

„Hey, es wird nicht gut, aber es wird besser“, flüsterte Adam und Hailey fiel in seine Arme. Sie zitterte an seiner Brust und er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Es war das erste mal, dass sie seine Zärtlichkeit vollkommen zuließ und für eine Sekunde genießen konnte, seit sie sich wiedergefunden hatten.

„Und jetzt retten wir Scarlett“, bließ er gegen ihr Haar und sie nickte schwach. Er nahm ihr die nassen Handtücher ab und sie liefen aus der Küche, am weggetragenen Leichnam ihres Vaters und am fortgewischten Blut ihrer Mutter vorbei, um das einer so fremden Freundin zu trocknen.

Doch Scarlett würde nicht einfach so genesen. Sie war bewusstlos und das seit Stunden. Ihr Körper bereitete sich auf seinen Tod vor und der Ausbilder in ihr kämpfte dagegen an. Und dann war da noch Maryann Westminster, tief in Scar verborgen und wusste nicht, ob sie resignieren sollte oder nicht. Morgan war da ganz anders. Er konnte nicht behaupten, diese vor ihm verblutende Frau zu lieben und dennoch verband ihn etwas mit ihr. Sie durfte nicht gehen, sie durfte einfach nicht. Seit gefühlten Stunden drückte er den völlig mit Blut vollgesogenen Lappen gegen die Stelle, in der eine Axt eingebrochen war. So schlimm war es noch nicht mal gewesen, als sie angefahren worden war. Morgan wusste, dass sie zwar um einiges robuster waren, als andere, aber so etwas, konnte niemand auf Dauer durchstehen. Und daher fasste er einen Entschluss, noch ehe Hailey und Adam nach einem Klopfen ins Zimmer kamen.

„Ich bring sie fort von hier.“

„Wohin?“

„Zurück. Hier wird uns niemand helfen. Ich muss es versuchen.“

„Was heißt zurück?“ Morgan drehte sich zum ersten Mal seit es passiert war von Scarlett weg und betrachtete Hailey. Er sah unglaublich alt und müde aus.

„Zum Resistentia-Gelände. In Bromley.“ Hailey hatte geahnt, dass er so planen würde und dennoch wusste sie nun nicht, was sie antworten sollte. Dunkelrote Suppe fraß sich in ihr Bettlaken und die Uhr tickte. Scarlett hatte keine Chance und wenn sie hierbleiben würde, läge diese im negativen Bereich. Sie konnten nur verlieren. Sie verstand nicht, warum Morgan so an ihr hing, aber sie verstand, dass er deswegen etwas tun musste.

„Du brauchst ein Auto“, stellte Adam fest. Morgan nickte und ergriff Scarletts Hand.

„Wir besorgen dir eins und dann rettest du sie. Wir packen das hier und du rettest sie.“ Morgan nickte noch einmal, ein Zeichen des Dankes diesmal und Adam schob Hailey aus dem Zimmer.

„Warum tut er das?“, murmelte sie, während sie die Treppe herab trotteten und nach den Mänteln griffen.

„Er liebt sie. Er will sich das nicht eingestehen wegen Mar, aber er liebt sie.“ Hailey zog den Reißverschluss bis zum Kinn herauf und stülpte die Handschuhe über. Sie versuchte zu verstehen, doch jetzt mussten sie ein Auto besorgen, damit ihr Freund seine Liebe wegbringen konnte, um sie an einem anderen Ort, womöglich mitten auf der Autobahn sterben zu lassen. Die Straßen waren leer, welch Wunder, die Luft war staubtrocken. Ihr Atem war kurz davor zu Schneeflocken zu perlen. Sie griff nach Adams Hand und er gab ihr ein wenig seiner Wärme, seiner Zuversicht ab. Er war einfach da und das war unglaublich tröstlich in einer Welt, in der das Morgen nicht sicher war.

„Wie zur Hölle sollen wir eigentlich ein Auto finden? Die Leute sind doch alle weg gefahren und die Karren, die hier noch stehen kann man doch vergessen.“

„Sei mal nicht so pessimistisch. Ist ja nicht so, dass du Recht hast“, entgegnete Adam.

„Tja, dann beklauen wir halt die Offiziere.“ Hailey schüttelte den Kopf.

„Vergiss es, da kommen wir nicht ran.“ Und wieder hatte sie Recht. Mittlerweile waren sie am Ende der Straße angelangt und Hailey blieb ruckartig stehen. Sie schlug sich gegen die Stirn und Adam beobachtete sie verwirrt.

„Was ist?“

„Also falls die Mörder meiner Eltern keine langen Finger hatten, steht unser Wagen noch in der Garage.“

Die SoldatinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt