Kapitel 17

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Ein monotones Kreischen der Monitore rüttelte Mar aus ihrem Schlaf. Ihr Kopf schmerzte. Blinzelnd sah sie sich um. Rechts neben ihr saß Morgan und hatte die Augen geschlossen. Vorsichtig fasste sie sich an die Stirn und ertastete einen Stoffverband. Doch das war es nicht, was sie aufschrecken ließ. Es war die dünne Nadel, die in ihrem Unterarm steckte und der damit verbundene Schlauch. Ihre Finger zitterten. Sie dopten sie wieder. Ignorant und unbelehrbar. Sie, Maryann Westminster war selbst für ihren Grad an Rauschaktivitäten zuständig und niemand anderes. Selbst in dieser Schwäche. Und jetzt verstand sie, wie schwer es Hailey gefallen sein musste, sich aus dieser atemraubenden Umklammerung von Tabletten und Infusionen zu lösen. Denn sie spürte nun auch jeden einzelnen Knochen ihres Körpers schmerzen und ihre Muskelmasse schien sich drastisch reduziert zu haben. So kam es ihr jedenfalls vor. Noch einmal blickte sie zu Morgan, der immer noch döste und sah dann zur Decke. Suchend tastete sie die weißen Wände ab, bis sie fand was sie suchte. Grinsend hob sie den Arm und zeigte der Kamera in der rechten Zimmerecke den Mittelfinger, bevor sie die Nadel packte und ruckartig aus ihrer Vene riss. Der brennende Schmerz trieb ihr die Tränen in die Augen und ein leiser Fluch entfloh ihren Lippen. Laut genug um Morgan zu retten. „Babe, was…“ Er stoppte und seine Augen weiteten sich, als er das Blut sah, das nun ihren Trizeps hinab jagte. Die Blutstropfen veranstalteten Wettrennen. Irrsinnig stieg jeder von ihnen in ein Rennauto und waren binnen Sekunden an ihrem Ziel angelangt. Wunderschöne rote Blumen bildeten sie auf den Bettlaken und Mar keuchte auf. „Was tust du denn da?“, fragte Morgan erschrocken und presste ein Stück Bettlaken auf ihre geöffnete Vene. „Vertrau mir!“, flüsterte Mar und küsste ihn mit blutigen Zähnen auf die Stirn. Bevor er etwas erwidern konnte wurde die Tür regelrecht niedergewalzt und in Weiß uniformierte Leichen kamen herein. Die Gesichter aschfahl, der Mund stimmenlos. Die Augen gesteuert von der höheren Macht. Ärzte. „Morgan, lass Maryann‘ s Arm los. Wir kümmern uns um sie!“, flötete einer. „Nicht!“, flüsterte Mar flehentlich. Doch tausend Hände zogen Morgan fort und abertausende Finger drückten Mar‘ s Extremitäten auf die Matratze. Klickend fuhren Fesseln aus den Federn und umschlossen Mar‘ s Hand- und Fußgelenke. Sie schrie laut auf, doch man presste ihr nur eine Maske auf den Mund und ein süßlicher Duft stieg ihr penetrant in die Nase und den Mund. Ihr wurde schwindelig. Nur noch mit flackernden Gesichtsrändern hörte sie das Knallen und Tosen von Schlägen und sah einen aufgebrachten Morgan wieder neben sich erscheinen. Doch Morgan konnte ihr nicht mehr helfen. Denn sie war schon bewusstlos, bevor er sie aus den Fängen der Zombies entschweben lassen konnte.

Dreizehn Uhr fünfundzwanzig betraten Hailey und Adam die Halle und sahen bereits einige Mitschüler auf dem kalten Boden sitzen und sich unterhalten. Chloe und Ava standen neben den unangerührten Wasserflaschen und redeten ebenfalls. Als Adam und Hailey auf sie zukamen verstummten sie und lächelten. „Na, auch schon Besuch von Liverpool, Coach bekommen?“, grinste Adam. „Die Alte hat sie doch nicht mehr alle? Wie alt ist die denn bitte? Bestimmt schon richtig alt. Was ist mit Morgan?“, meckerte Chloe, und das Lachen der zwei Verliebten erstarb bei ihrer Frage. „Was ist los?“, fragte nun auch Ava nervös. „Mar liegt auf der Krankenstation!“, wisperte Hailey, sie wusste selbst nicht so genau warum. Sie waren mindestens zehn Meter von den anderen entfernt und dennoch fühlte sie sich beobachtet. Die entgleisten Gesichtszüge ihrer Freundinnen beantwortete sie daher ebenso knapp. „Sie ist angeblich im Kraftraum gestürzt und hat sich den Kopf aufgeschlagen.“ Hailey sah an den Blicken der beiden, dass sie ebenfalls kein Wort dieses vorsätzlichen Unfalls glaubten. „Und was…“, begann Ava, doch sie wurden von Liverpool, Coach unterbrochen: „Rodriguez, Ava; Cadence, Chloe; Air, Adam; Rose, Hailey. Bin ich im Recht mit der Annahme, dass auch Sie sich am Training der motorischen und kampftechnischen Fertigkeiten beteiligen wollen?“

Schwitzend sank Hailey zu Boden. Liverpool, Coach hatte sie kein bisschen geschont und über ihr mehr oder weniger verheiltes Bein hatte sie nur gelacht und von ihrer zehnfach gebrochenen Wirbelsäule und den zerfetzten Nervenbahnen ganz nahe dem Gehirn erzählt. „Na ob das nur nahe am Oberstübchen war, weiß ich nicht!“, hatte Hailey gemurrt und war weiter gerannt. Nach mittlerweile zwei vergangenen Stunden reinster Tortur und unglaublichem Spaß hatte Liverpool, Coach ihnen eine Pause genehmigt. Chloe war kurz davor eine Flasche Wasser vom Tisch zu ergreifen, doch Ava hielt sie gerade noch zurück. Nicht mal fünfundzwanzig Sekunden waren vergangen, als Liverpool, Coach sie wieder zusammen pfiff. „Sie, meine Damen und Herren, werden heute von mir in die Fertigkeiten mit den ersten materiellen Waffen eingeführt!“ Hailey durchfuhr eine Gänsehaut. „Ich werde Ihnen zunächst kleine Messer aushändigen. Zahnstocher!“ Das letzte Wort knurrte Liverpool, Coach abwertend. „Ich möchte, dass Sie Paare bilden und sich gegenseitig attackieren.“ Sprachlose Gesichter verformten ihren ebenfalls etwas missratenen Mund zu einer leichten Aufwärtsbewegung. „Natürlich zu reinen Übungszwecken. Mit diesen Rouladenspießchen können Sie keiner Fliege was zu Leide fügen. Zumindest nichts Lebensgefährliches.“, murmelte sie den letzten Satz. „Air!“, schrie sie plötzlich und Adam sprang ruckartig und kerzengerade auf. Fast wäre ihm ein „Aye Sir!“, herausgerutscht. „Sie werden ein Manöver mit mir zusammen demonstrieren.“ Kriechende Angst breitete sich in Hailey‘ s Mark aus und sie presste die Finger fest zusammen. Adam schluckte bitter und lächelte dann gequält. Wortlos ging er auf sie zu. Liverpool, Coach reichte ihm eine viel zu kräftige Hand und trat dann einen Schritt beiseite. Hinter ihr offenbarten sich zirka ein Duzend silberne Koffer. „Öffnen!“, grinste sie. Adam beugte sich herab und tat wie ihm Liverpool, Coach geheißen. Sprachlos starrte er auf den Inhalt des Koffers. „Das nennen Sie einen Zahnstocher?“, entfuhr es ihm. Keine Antwort. Fassungslos hob er eine mindestens dreißig Zentimeter lange Klinge heraus und richtete sich auf. Mit einem Zischen zog auch Liverpool, Coach ein „Stöckchen“ aus ihrer Schwertscheide am Gürtel. „Stellen Sie sich auf Air!“, brüllte sie ihn an und trat mehrere Schritte von ihm weg. „Abtreten!“, kommandierte sie die anderen. Wortlos gehorchten diese und Hailey wurde schlecht. Chloe und Ava mussten sie wegziehen und ihre Hände festhalten. „Sie wird ihn kaltmachen!“, purzelte es aus ihr heraus. Entgeistert musterte sie den starren Gesichtsausdruck von Liverpool, Coach und dann die unsicheren Augen von Adam. „Lassen Sie uns Spaß haben, Air!“, lachte sie nun und Hailey kreischte laut auf, als die beiden aufeinander zustürmten und das erste laute Klirren ertönte.

„Dieses verfluchte Miststück!“, fauchte Hailey. Adam saß auf ihrem Bett. Er hatte sein halb zerfetztes Shirt auf die Erde geschleudert und Hailey, Chloe und Ava waren damit beschäftigt seinen mit mehr oder weniger tiefen Schnittwunden übersäten Körper zu reinigen und notdürftig zu verbinden. „Das darf sie doch gar nicht!“, meckerte die völlig endzürnte Hailey weiter. Adam kicherte leise. „Das ist nicht witzig. Dieses…dieses Weib hätte dich fast umgebracht!“ Gespielt eingeschnappt verschränkte Adam die Arme, ließ sie dann jedoch sofort wieder sinken, als der spannende Schmerz ihn durchzuckte. „Ich sag es ja. Die ist doch unzurechnungsfähig!“, regte sie sich weiter auf. „Hey, ich lebe noch. Alles in Ordnung!“, lachte er. „Aber sie…“ Doch Air, Adam unterbrach Rose, Hailey, indem er seine weichen Lippen auf ihre drückte.

Die SoldatinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt