[7] Gefrorene Flammen, pt. 1

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Der Speisesaal der Mensa war gedrungen voll. Normalerweise mied Kasimir die Stoßzeiten um die Mittagsstunde; die Hälfte seiner Pause hatte er an die Warteschlange vor der Ausgabetheke verschenkt. Allerdings zog er seine Verabredung bereitwillig dem Komfort bei der Nahrungsaufnahme vor, wenn er dadurch ein paar Minuten Zerstreuung fand. Gegenüber dem, was ihm in zwei Tagen bevorstand.

Er pflückte ein Basilikumblatt von seinem angetrockneten Pizzastück und kaute darauf herum, während sein Blick durch die Tischreihen wanderte. Dabei streifte er immer wieder die Gesichter von Studenten, deren Fokus auf ihm ruhte; vorwiegend Kommilitoninnen seiner Fakultät. Als eine von ihnen seine Aufmerksamkeit bemerkte, sah sie verstohlen beiseite, und auch Kasimir widmete sich beklommen seinem Teller. Er würde sich vermutlich nie an das Interesse gewöhnen, das ihm durch seine Medienpräsenz zuteilwurde. Wenigstens ertrug er die Blicke mittlerweile, ohne sich gesenkten Hauptes davonzustehlen. Zumindest, solange sie wohlwollend waren.

»Kasimir!«

Er sah auf, als sich eine junge Frau in Hektik seinem Platz näherte. Auf ihren Händen balancierte sie ein Tablett, die Spitzen ihrer glatten schwarzen Haare trieben auf der Oberfläche ihrer Apfelschorle. Kasimir beobachtete, wie sie sich zu ihm vorkämpfte und sich bei jedem Mensagast entschuldigte, den sie versehentlich streifte. Sie war zu einer quirligen Konstante in seinem Leben geworden, seine geschätzte Leidensgenossin auf dem Weg zum Akademieabschluss - und seine einzige Freundin.

»Tut mir leid! Ich war rechtzeitig hier, aber die Schlange war so lang«, beteuerte Paula Schuhmacher, manövrierte ihr Tablett auf den Tisch und ließ sich mit einem tiefen Seufzen an der Gegenseite nieder. Die nassen Haarspitzen hinterließen einen dunklen Fleck auf ihrer fliederfarbenen Bluse. »Entschuldige, ich hätte dir Bescheid sagen müssen ...«

»Kein Problem«, erwiderte er und nickte auf seinen Pizzafladen, der auch nach zehnminütiger Betrachtung nicht appetitlich aussah. »Hab noch nicht angefangen.«

»Okay ... ich hoffe, du hast nicht zu lange gewartet ...«

Sie verstummte, ihr Blick wanderte vom Tellerrand zu seiner Hand. Ihre Augen weiteten sich, je länger sie sie betrachtete, und Kasimir wurde mulmig zumute.

»Was ist?«, fragte er, worauf Paula leicht verschreckt aufsah, den Kopf schüttelte und sich erneut seiner Hand widmete.

»Nichts ... i-ich meine ... ich freue mich! Er hat also wirklich ...? U-Und du hast ... ja ...?«

Sie verhaspelte sich, und der Groschen in Kasimirs Kopf fiel erst, als sie zaghaft auf seinen Ringfinger tippte. Leonhards Geburtstagsgeschenk war offenbar ein Quell für Missverständnisse.

»Das ist kein Verlobungsring ...«, murmelte er und strich mit der Fingerkuppe über die zierliche Notengravur. Er hatte den Ring seit seinem Geburtstag nicht abgelegt, fühlte sich über ihn verbunden mit Leonhard.

»Oh, verstehe ... aber er ist so schön wie einer.«

Paulas schwärmerischer Ton kribbelte in Kasimirs Brust. Es gefiel ihm, wie offen sie sich für ihn und Leonhard freute, obwohl ihre Beziehung einst an Leonhards Gefühlen für ihn zerbrochen war. Dazu trug sicher die harmonische Einheit mit ihrem heutigen Freund Pavel bei.

»Ihr funktioniert so gut zusammen, du und Leo«, sagte sie und stützte ihr Kinn auf die Handballen. »Er geht auf in seiner Rolle als dein Agent, und du spielst noch wundervoller, seit ihr zusammen seid ... ich bin jedes Mal glücklich, wenn ein neues Video von dir online geht.«

»Danke«, erwiderte Kasimir und schob seine Pizzaecke auf die andere Seite des Tellers; die Verlegenheit glühte auf seinen Wangen. »Könnte in Zukunft ruhiger auf dem Kanal werden. Im Moment fehlt mir die Zeit für neue Uploads.«

All Eyes On Us [3]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt