[43] Valse fatale, pt. 4

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Lautlos erklomm der Fahrstuhl die fünfte Etage, hielt nicht zwischendurch. Gespenstisch, wie rasch sich die Hektik der Gala im Vakuum verlor.

Kasimirs Lider waren schwer. Er betrachtete Elias' Hand, die seine umschloss. Sein Daumen streichelte sanft über Kasimirs Handrücken, als habe er seine Leidenschaft eingefroren. Als höbe er sie für den Moment auf, wenn sich die Zimmertür hinter ihnen schloss.

Als der Fahrstuhl hielt, geriet Kasimir aus dem Gleichgewicht. Elias stützte ihn, legte die Hand an seine Hüfte, während sie dem Gang folgten. Kasimir konnte die Augen kaum offen halten, die Wände wurden abwechselnd enger und breiter. Sein Kopf pochte schmerzlos, aber beharrlich; ihm fehlte jegliches Zeitgefühl. Genau wie das Verständnis, was richtig war. Und was falsch.

Mitten im Gang blieb Elias stehen, sicherte Kasimirs Körper mit der einen Hand und zog mit der anderen seine Schlüsselkarte aus der Hosentasche. Während er die Tür aufschob, glitt Kasimirs Blick zum Ende des Flures. Zur letzten Tür links. Dort, wo ...

Ein Zug am Ärmel zwang ihn einen Schritt in den Rahmen, er prallte an Elias' Körper. Seine feste, starke Brust.

»Komm.« Elias flüsterte, seine Hände strichen über Kasimirs Taille, seine Lippen über seine Ohrmuschel. Kasimir senkte seufzend den Kopf. Da war es wieder, das Drängen seines Körpers nach Nähe, nach Halt. Aber warum? Er liebte Elias nicht, sehnte sich nicht nach ihm. Seine Berührungen bedeuteten ihm nichts. Sie waren nicht wie ...

Kasimir hob den Kopf, blinzelte. Sein Blick wanderte herunter, fokussierte den offenen Schlips, sein verschwitztes Hemd. Wo war sein Jackett?

»M-meine Jacke ...«

»Schh«, machte Elias, küsste sich über seinen Hals. »Wir holen sie morgen.«

»Aber ...« Kasimir verstummte, blinzelte stärker. Er durfte sie nicht irgendwo liegenlassen, brauchte sie zum Auftritt. Was, wenn sie schmutzig wurde? Leonhard würde ihn zur Rede stellen. Er würde ... halt.

Leonhard. Leonhard.

Kasimir hielt den Atem an. Erinnerungen, Eindrücke prasselten auf ihn ein. Allem voran die Gewissheit, dass sein Freund fünf Zimmer weiter in seinem Bett lag und schlief.

Sein Freund. Sein Partner.

Kasimirs Hand schnellte an seine Stirn, er trat einen wackeligen Schritt zurück. Was war das? Was tat er hier?

»Worauf wartest du?«

Elias musterte ihn. Auch er trug kein Jackett, hatte den Knopf seiner Hose geöffnet. Seine dunklen Locken waren unordentlich, als hätte jemand darin gewühlt ... nein. Nicht jemand.

»Ich ... oh Gott ...«

Kasimir taumelte rückwärts, doch Elias hielt ihn an der Knopfleiste seines Hemdes fest. Es fühlte sich anders an als im Fahrstuhl, nicht sichernd.

»Vorsichtig«, wisperte Elias. »Du bist nicht ganz bei dir.«

Nein, das war er nicht. Sonst läge er an der Seite seines Freundes, zöge Leonhards Körper an sich. Stattdessen warf er sich in fremde Hände, küsste einen Mann, den er kaum kannte. Das war verkehrt, völlig verkehrt.

Kasimir drückte kraftlos die Handflächen gegen Elias' Brust, kam nicht von ihm los. »Elias, l-lass mich, ich ... Leo ...«

»Er schläft.« Elias' Stimme war ruhig, sein Blick der stille, mitternächtliche Ozean. »Du störst ihn nur.«

Vollkommen egal. Kasimir musste zu Leonhard. Er drückte die Hände fester gegen Elias' Körper, doch der zog ihn näher zu sich, schlang die Arme eng um seine Taille. Es war ein Leichtes für ihn, Kasimir zu fixieren, ihm Küsse aufzudrängen. Ihn Schritt für Schritt in den Raum zu ziehen.

Kasimirs Herz pochte wie verrückt. Das war der falsche Weg. Er verlor die Kontrolle.

»N-nicht ...«, zischte er, presste die Lider aufeinander. »Nein ... «

Es gelang ihm nicht. Er war zu schwach, zu verwirrt. Die Türschwelle lag bereits hinter seinen Fersen. Er sah verschwommen das Bett vor sich, nahm Elias' Lippen auf seinem Schlüsselbein wahr. Spürte, wie Verzweiflung in seinem tauben Körper aufwallte.

Und plötzlich einen groben Ruck an der Schulter.

Kasimir stolperte rückwärts, verlor das Gleichgewicht und krachte mit dem Rücken gegen die Wand des Hotelgangs. Ein scharfer Schmerz zog durch seinen Hinterkopf, er hielt sich mit zusammengekniffenen Augen den Schädel.

»Was zur Hölle ist hier los?«

Ein Schauer schnitt durch Kasimirs Körper. Er kannte diese Stimme.

»Er war müde.« Elias' Worte klangen beiläufig, unbeteiligt. »Ich habe ihn begleitet.«

»Du hast ihn abgeleckt

Endlich gelang es Kasimir, die Augen zu öffnen. Er erkannte Dawids Statur, seinen silbrig schimmernden Anzug. Die angespannten Gesichtsmuskeln.

Elias weilte im Türrahmen, lehnte sich gegen die Holzverkleidung. »Sein Abend war ein Desaster. Er brauchte Zuwendung.«

»Er hat einen festen Freund, verdammt nochmal.«

»Tatsächlich?« Elias' Blick streifte Kasimir. Ein Schmunzeln strich über seine Lippen, dann sah er wieder zu Dawid. »Ist mir nicht aufgefallen.«

Dawid zischte, wandte ebenfalls den Blick über die Schulter. Kasimirs Atem flachte ab. Er hatte ihm noch nie so angewidert ins Gesicht gesehen.

»Sein Partner liegt krank auf seinem Hotelzimmer.« Dawid drehte sich zu Elias, zeigte mit ausgestrecktem Arm den Gang hinunter. Seine Mimik war hart. »Dieser Idiot hat Jahre darauf gewartet, mit ihm zusammen zu sein. Denkst du, diese Beziehung ist ein Scherz?«

»Das geht mich nichts an.«

»Sollte es aber.«

Dawids Frust sprach aus seinen Worten. Er wandte sich von Elias ab, bückte sich zu Kasimir herunter und zog ihn mit einem kräftigen Ruck auf die Beine. Kasimirs Kreislauf streikte unter der Aktivierung, doch Dawid drückte ihn so fest an den Schultern gegen die Wand, dass seine Knie sein Gewicht hielten.

»Du hörst mir jetzt zu, Schwachkopf«, zischte Dawid so scharf, dass Kasimir schlucken musste. In seinen stahlblauen Augen funkelte Wut. »Du gehst eine Etage höher, sprichst mit niemandem auf dem Weg. Mit niemandem, kapiert?« Er löste die linke Hand, zog eine Karte aus seiner Brusttasche und steckte sie in Kasimirs Hosentasche. »Zimmer 423. Dort legst du dich hin und schläfst deinen gottverdammten Rausch aus. Und wag es nicht, deinen Freund zu wecken.«

Mit rauem Druck ließ er Kasimir los. Sofort wurden seine Beine weich, doch er hielt sich an der Wand. Sein Puls hämmerte in der Schläfe, die Szene vor seinen Augen flimmerte. Er sah, wie Dawid Elias grob an der Brust ins Zimmer stieß, hörte unartikuliert seine bedrohliche Stimme - und dann fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss.

Kasimir starrte auf die Zimmernummer, sekundenlang. Sein Brustkorb hob sich schneller, stärker, Dawids Worte bohrten sich in sein Bewusstsein wie rostige Nägel. Er berührte die Karte in seiner Tasche, sah den Gang hinunter, suchte einen Weg zum Lift, zum Treppenhaus.

Blieb an dieser Tür haften.

Kasimir presste sich die Hand an die Stirn, blinzelte. Dann tastete er sich an der Wand entlang, konzentrierte sich aufs Atmen, verdrängte alle Gedanken. Hielt durch, Schritt für Schritt, kämpfte.

Bis er Leonhards Tür erreichte.

Wie auf Knopfdruck wich die Spannung aus seinen Beinen. Er verlor den Halt, fiel auf seine Knie. Der Schmerz brannte, doch er biss sich auf die Lippen und kroch vorwärts, bis seine Fingerspitzen die Tür touchierten. Sein Atem stockte, seine Brust pulsierte. Er legte die Hand an die Oberfläche, lehnte seine heiße Stirn dagegen.

Leonhard. Leonhard.

»Leo ...«, wisperte er, presste die Augen fest zusammen. Etwas Heißes rann über seine Wange, tropfte von seinem Kinn, versickerte im Hotelteppich. Doch er war dankbar.

Dankbar dafür, dass diese Tür den Menschen, den er liebte, von dem trennte, den er am meisten hasste.

All Eyes On Us [3]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt