Kasimir hetzte das Treppenhaus hinauf, nahm immer zwei Stufen auf einmal. Der Takt in seinem Kopf trieb ihn voran, die Melodie zerschoss jeden Zweifel. Er hatte sie.
Er hatte sie, verdammt nochmal.
Vor der Wohnungstür angekommen, fummelte er sein Schlüsselbund aus der Jackentasche. Sofort flammte Alains Allegorie vor seinen Augen auf, brachte seine Kreativität zum Glühen.
Ein Schlüssel. Die Versinnbildlichung dessen, was ihn festhielt und befreite. Kaum zu glauben, dass ihn ausgerechnet ein Gespräch mit seinem Vater auf die Lösung des Problems stieß. Warum war er darauf nicht früher gekommen?
Er schob die Tür auf, warf seine Tasche neben den Kleiderständer, behielt seine Straßenschuhe an. Er musste ans Klavier. Je mehr Zeit verging, desto eher würden die Töne in seinen Ohren verblassen, sein Schlüssel vor der Kerkertür liegen bleiben. Das durfte er nicht riskieren. Also zog er voller Tatendrang die Tür zum Wohnzimmer auf - und hielt inne, als er seinen Freund mit Leonie auf der Brust auf der Couch dösen sah.
Kasimir beobachtete die Szene einige Sekunden. Leonhard lag mit geschlossenen Augen auf dem Rücken, die Finger über dem Bauch ineinander verschränkt, Kasimirs Hasenkopfhörer über den Ohren. Er schien zu dämmern; zumindest machte es ihm nichts aus, dass das Zwergkaninchen am Kapuzenband seines Pullovers knabberte. Es war ein so friedliches Bild, dass alles in Kasimir sich davor sträubte, es mit seiner Ungeduld zu übertünchen. Aber er brauchte diese Kopfhörer, brauchte Ruhe und Zeit, um das, was in seiner Seele brodelte, zu Papier zu bringen.
Vorsichtig trat er näher und streichelte zuerst seinem Kaninchen, dann Leonhard über die Wange. Als dieser verschlafen blinzelte, begann Kasimirs Herz zu flimmern.
»Hey ...«, wisperte er noch nicht ganz bei sich, schob sich die Kopfhörerschalen von den Ohren und rieb sich über die Augen. »Wie lange bist du schon da?«
»Bin eben rein.« Kasimir fuhr ihm sanft mit den Fingern durchs Haar. »Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe.«
»Nein, nein ... ich wollte gar nicht einschlafen. Ich hab auf dich gewartet und Musik gehört ...«
Er richtete sich am Polster auf, das Kasimir derzeit als Schlafplatz diente. Aber das würde sich bald ändern. Vorausgesetzt er brachte das Lied, das in ihm feuerte, schnell auf die Tasten.
»Ich war in Eriks Praxis«, gestand Kasimir und musste sich ein Schmunzeln verkneifen, als Leonhard überrascht die Brauen hochzog.
»Im Ernst? Was hat er gesagt?«
»Dass ich gesund bin. Bereit, mich allen Herausforderungen zu stellen.«
Kasimir strich sich mit den Händen über die Oberschenkel; seine plötzliche Eloquenz machte ihn verlegen. Unfassbar, was ein Motivationsschub in so kurzer Zeit mit ihm anstellte.
»Oh. Okay ...«, erwiderte Leonhard deutlich weniger enthusiastisch, als Kasimir erwartet hatte. Er senkte den Blick, inspizierte seine Finger, während sie zärtlich über Leonies Fell strichen. Kasimir ergriff kurzentschlossen sein Handgelenk und drückte es mit sanfter Zuversicht.
»Das ist gut, Leo. Ich kann mich ganz der Wettbewerbsvorbereitung widmen.«
»Ja, das ... kannst du wohl ...«
Leonhard stoppte seine Streicheleinheit und seufzte leise, dann sah er Kasimir mit seinen goldbraunen Augen ins Gesicht. Es war eigenartig. Für gewöhnlich waren sie mit Heiterkeit gefüllt, strahlten voll Zuneigung. In diesem Moment erkannte Kasimir keine dieser Emotionen. Vielmehr lag etwas in ihnen, das ihm eng um die Brust werden ließ.
»Kasi, ähm ... hast du meine Nachricht gelesen? Die ich dir heute Nachmittag geschickt habe?«
»Ja«, erwiderte Kasimir betont ruhig, schottete sich ab von der Verzweiflung, die ihn in diesem Moment überfallen hatte. »Du wolltest mit mir reden.«
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All Eyes On Us [3]
Romance🎼 Abschlussband der Reihe "All Eyes On Me"! 🎼 *abgeschlossen* #leomir 🐰🏳️🌈🩷 [Achtung - SPOILER für Band 1 & 2] . . . Kasimir und Leo haben sich für eine gemeinsame Zukunft entschieden. Als sein Agent setzt Leo alles daran, die Musik seines Fre...