[44] Contredanse, pt. 1

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Ein Dröhnen sog Kasimir aus dem Schlaf. Es hörte sich an wie ein Akkuschrauber, der direkt an seinen Schädel angesetzt wurde. Schmerzen inbegriffen.

Zermürbt drückte er sein Gesicht tiefer ins Polster, wollte sich das Kissen über den Kopf ziehen - aber da war keins. Ebenso keine Decke. Und die Matratze war viel zu hart für ein Hotelbett.

Kasimir blinzelte, erkannte die cremefarbene Tapete des Etagenflures, einen stahlgrauen Hotellift. Daneben stand eine Zimmertür offen, die von einem Reinigungswagen versperrt war; aus diesem Raum drang der Lärm.

War er auf der Couch vor den Aufzügen eingeschlafen?

Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Sein Kopf hämmerte, und das lag nicht am Staubsaugerlärm. Als eine Decke samt Kissen aus dem Raum flogen und neben dem Putzwagen landeten, stützte Kasimir sich am Sofapolster auf und trat konzentriert langsam durch den Gang vor seine Zimmertür, griff in seine Hosentasche und hielt die Schlüsselkarte an den Öffner. Als der Riegel nicht zurückschnappte, versuchte er es noch einmal. Ohne Erfolg.

Stirnrunzelnd betrachtete er die Karte. Als sich der Kopfschmerz zurückmeldete, presste er seufzend die Lider aufeinander und klopfte an. Es vergingen Sekunden, ehe die Klinke herabwanderte und die Tür nach innen aufschwang. Kasimir wich reflexhaft zurück, stand plötzlich einem mit Unterhosen bekleideten Mann gegenüber.

Definitiv nicht dem, den er erwartet hatte.

🎵🎵🎵

Kasimir lag rücklings auf dem Teppichboden, drückte sich einen kühlen, feuchten Waschlappen an die Stirn und starrte zur Decke. Sein Jackett war verschwunden, sein Handy war tot, er hatte einen Filmriss und keine Ahnung, wieso. Bis die Schmerztablette wirkte, wollte er es auch nicht wissen.

»Hättest ruhig weniger abgestoßen dreinschauen können.« Dawids Stimme drang durch die halboffene Badtür ins Zimmer. »Ich bin fett, aber ich hab auch Gefühle.«

Kasimir seufzte, drückte den Lappen fester gegen seine Stirn. »Ich war nicht abgestoßen, ich hab nicht mit dir gerechnet.«

»Wieso? Hab doch gesagt, ich mach' den Kerl klar.«

Die Klospülung plätscherte, offenbar besaß Dawid nicht den Anstand, in fremden Zimmern während des Geschäfts die Tür zu schließen. Zumindest hatte er sich seiner Hose bemächtigt, als er aus dem Bad trat. Sein Scheitel saß gewohnt akkurat, um seinen Körper schwirrte eine Wolke Ozeanparfüm. Kasimir fragte nicht, was letzte Nacht zwischen ihm und seinem eigentlichen Zimmerpartner abgelaufen war. Die Vibes sexueller Zufriedenheit umgaben Dawid wie ein Lichtbogen.

»Wo ist Elias?«, murmelte Kasimir, während er seine Schläfen massierte.

»Vor 'ner halben Stunde raus.« Dawid ließ sich aufs Bett sinken, verschränkte die Finger ineinander, betrachtete sie nachdenklich. »Wollte zum Frühstück.«

»Okay ... dann ist er an mir vorbei, ohne mich zu wecken.« Seufzend stützte Kasimir sich an den Unterarmen in den Schneidersitz. Er durfte nicht darüber nachdenken, dass der Tag der Show angebrochen war. Keine Ahnung, wie er die Generalprobe überstehen sollte. »Wie viel hab ich gestern getrunken?«

Er sah hinüber zu Dawid, der seinen Blick kurz erwiderte und anschließend wieder auf seine Hände auswich. Es war eine seltsame Gestik. Zurückhaltend.

»Sag mal ...« Er lehnte sich mit angewinkelten Armen nach vorn. »Weißt du noch, was gestern Abend passiert ist?«

Kasimir schüttelte den Kopf. Seine letzte Erinnerung war der Moment, als er Leonhard in seinem Zimmer umarmt hatte. Der Rest des Tages verschwamm in einer trüben Gedächtnisbrühe.

All Eyes On Us [3]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt