[68] Soirée, pt. 1

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Die letzten Sonnenstrahlen zeichneten ein orangerotes Muster auf der Zimmertapete. Leo beobachtete ihr Spiel mit halb geschlossenen Augen von seinem Bett aus, die Lichtstreifen wanderten allmählich in Richtung Decke. Sobald die Sonne unterging, würden sie von ihr verschluckt. Dann herrschte nichts als Dunkelheit in diesem Raum.

Ein leises Piepen zog seinen Blick zur Zimmertür. Als sie sich nach innen öffnete, hellte sich Leos Stimmung auf. Francesca trat ein, balancierte ein bis zum Rand gefülltes Glas in der Hand. Leo rutschte mit dem Rücken in sein Kopfkissen und kniff die Augen zusammen, als ein spitzer Schmerz durch seinen Hinterkopf schoss. Aus dem Lidwinkel erkannte er, wie sich Francescas Miene verhärtete.

»Du sollst liegen blieben«, murrte sie und reichte ihm das Getränk in die Hand. »Bitteschön. Apfelschorle mit Eis, aber nicht zu viel Eis

»Super, danke.«

Er schloss die Finger um das kalte Glas und schob sich unter Francescas wachsamem Blick den Strohhalm zwischen die Lippen. Ihr Haar war zum Dutt gebunden, saß jedoch nach diesem aufregenden Tag alles andere als perfekt. Ihre Lider waren noch leicht geschwollen und das Make-up verschmiert.

»Wie geht's dir?«, wisperte sie, strich ihm sanft mit den Fingern durchs Haar. Nah vorbei an der Stelle, die ihm vor wenigen Stunden kahl rasiert worden war. »Tut es sehr weh?«

»Geht. Ich glaub', das Schmerzmittel wirkt noch.« Leo sog an seinem Trinkhalm. Francesca presste die Lippen aufeinander, sah zum Hotelfenster hinaus. Die Abendsonne brachte einen glasigen Film über ihren moosgrünen Augen zum Leuchten. Leo seufzte. »Franna, ich bin okay. Ehrlich.«

»Ich kann es einfach nicht glauben.« Sie drehte sich wieder zu ihm, Ärger verdrängte ihre Melancholie. »Der Kerl ist nicht mal in Untersuchungshaft. Wofür ist diese Gendarmerie eigentlich gut?«

»Beruhig' dich. Ich bin gestolpert und gegen die Treppenkante geknallt. Es war ein Unfall.«

»Du wärst aber nicht gestolpert, hätte er nicht versucht, dich grün und blau zu schlagen.«

Sie quetschte den Stoff seiner Bettdecke zwischen ihren Fingern zusammen, die Partien um ihren Mund spannten sich an. Leo verzog die Lippen, berührte das Pflaster auf seinem Hinterkopf.

»Ist nur eine kleine Platzwunde.«

»Nur? Leo, du musstest genäht werden!«

»Ja, ja ... das verheilt im Nullkommanichts.« Er reichte ihr das zur Hälfte geleerte Glas und ließ sich in sein Kissen sinken. »Dawids Auge sah viel schlimmer aus.«

»Ist das ein Wettbewerb?« Francesca kam aus dem Kopfschütteln nicht heraus. »Du bist derjenige, der ins Krankenhaus musste, Leonhard. Ich verstehe nicht, warum sie dich nicht über Nacht dort behalten haben.«

»Weil es nicht so schlimm ist?«

Leo schürzte die Lippen, als Francesca ihn stechend fokussierte. Er durfte ihre Sorgen nicht kleinreden, immerhin hatte sie recht. Elias hatte ihn angegriffen, nachdem Leo auf seine Provokation eingestiegen war; das Wortgefecht war eskaliert. Wäre Dawid nicht dazwischen gegangen, läge er jetzt auf der Intensivstation.

»Dieser Kerl ist eine tickende Zeitbombe. Er gehört in Behandlung.«

»Er ist in Behandlung ...«, murmelte Leo, worauf seine Freundin mit den Augen rollte. »Aber du musst zugeben, dass er sich anschließend richtig verhalten hat. Er hat einen Krankenwagen gerufen und unsere Wunden versorgt.«

»Ja, nachdem er seinem Freund beinahe die Nase gebrochen hat.«

»Wenn man's genau nimmt, hat Dawid ihn zuerst geschubst.«

»Verteidigst du ihn jetzt?« Francesca wandte sich blinzelnd zum Fenster. Im Licht der untergehenden Sonne sah Leo, dass sie mit den Tränen rang. Er seufzte leise.

»Nein ... tut mir leid.«

Francesca schwieg einen Moment, dann entwich auch ihr ein Seufzen und sie blickte ihm wieder ins Gesicht. Trübsal umrahmte ihre Lider.

»Dir muss überhaupt nichts leidtun.«

»Nein, aber ... ich hätte etwas sagen können. Ich bin einfach aufgestanden und gegangen.«

Leo spürte, wie sein Herz die Szene noch einmal durchlebte. Inklusive des Moments, der Elias' Wutausbruch katalysiert hatte.

»Wieso wolltest du die Probe überhaupt verlassen?«, fragte Franna deutlich gesetzter. Leo sah ihr am Blick an, dass sie sich die Antwort selbst geben konnte. Sein Fokus verlor sich an der Decke, Wehmut drückte auf seine Brust.

»Ich wollte mit ihm reden ... nur kurz am Telefon. Ich wollte seine Stimme hören.«

Darauf antwortete Francesca nicht. Womöglich verurteilte sie seine Beweggründe, doch sie hielt sie ihm nicht vor. Weil sie ihn kannte.

»Wie dem auch sei, Elias Arendt ist ein Gewalttäter.« Sie stand auf, trat zu einer Vintage-Stehlampe neben der Zimmercouch und knipste das Licht an. Leos Herz beruhigte sich, da die Dunkelheit zurückwich. »Ich werde meinen Anwalt kontaktieren. Dieser Psychopath bekommt eine einstweilige Verfügung.«

»Franna, nicht. Er ist Elises Bruder ...«

»Sehe ich aus, als ob mich das interessiert?«

Ihre Entgegnung wurde begleitet von einem leisen Klopfen. Leo und Francesca wandten die Köpfe zur Tür, dann trafen sich ihre Blicke und Leo zuckte ratlos mit den Schultern. Für seine Eltern war es zu früh, ihr Flieger landete erst gegen Mitternacht auf dem Charles de Gaulle.

»Vielleicht Elise?«, mutmaßte er, als Franna leise fluchend zur Tür stöckelte.

»Sie kommt besser ohne ihren kriminellen Zwilling ...«

Sie verstummte, als sie die Tür aufzog. Leo richtete sich ein klein wenig auf, konnte jedoch nicht an ihr vorbei in den Gang spähen.

»Franna, lass sie bitte rein. Ich will noch mit ihr über morgen sprechen ...«

Leos Stimme wurde leiser, bis sie gänzlich verstummte, als Francesca einen Schritt zurücktrat und die Sicht freigab. Sein Atem stockte, sein Herz machte einen Stolperschritt; er blinzelte und glaubte doch nicht, was er sah.

Sekundenlang herrschte Schweigen. Dann zog Francesca die Tür weiter auf, nickte ins Innere des Raumes. »Na los. Komm rein.«

Leo schluckte, als sein Besucher ins Zimmer trat. Kurz hinter der Türschwelle zögerte er, drückte den Strauß Wildblumen in seiner Hand fest zusammen. Genervt von seiner Zaghaftigkeit ließ Francesca die Klinke los und zwang ihn damit, näherzutreten. Als der Riegel ins Schloss fiel, stand er genau auf halber Höhe zwischen Zimmertür und Leos Bett. Wirkte verloren, wie er auf seine Schuhe blickte.

Wie ein Stern, der sich zu dunkel für den Himmel fühlte.

Francesca verschränkte die Arme vor der Brust und musterte ihn von Kopf bis Fuß. Vermutlich wollte sie sichergehen, dass Leo nicht erneut Gefahr drohte. Kasimir überstand ihre Prüfung. Als er den Blick hob und ihr ins Gesicht sah, zischte sie leise und trat an Leos Bett, griff ihre Handtasche vom Nachttisch. Sie strich Leo ein letztes Mal mit dem Fingerrücken über die Wange, wandte sich ab und hielt auf die Tür zu. Im Vorbeigehen raunte sie Kasimir etwas zu, doch Leo verstand nicht. Sie sprach zu leise. Oder er war zu geschockt. Oder beides.

Sie verließ den Raum ohne ein Wort des Abschieds. Die Tür klackte in die Verriegelung, der Hall ihrer Absätze drang dumpf durch die Wand.

Und plötzlich war alles still.




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PS: Das nächste ist mein persönliches Lieblingskapitel 🥰

All Eyes On Us [3]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt