[42] Valse fatale, pt. 3 (M)

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Die nächtliche Brise umspielte Kasimirs Haarspitzen. Er stützte die Unterarme auf das Geländer der Plaza und beugte sich nach vorn. Sah den Fluss vor sich, das dunkle Funkeln der Wasseroberfläche unter den Hafenscheinwerfern. Kurzzeitig fühlte er sich entkoppelt der Gala, verborgen vor wertenden Blicken. Ein Schatten, dessen Existenz der Welt egal war.

Ein grelles Lachen im Hintergrund zuckte scharf durch seine Ohren, er hielt sich stöhnend den Kopf. Er hatte sich in die finsterste Ecke der Terrasse zurückgezogen, konnte sich der Veranstaltung aber nicht entziehen. Auf seinem Zimmer fände er Ruhe, doch er brauchte frische Luft. Die Hitze im Saal, seine zehrende Aufregung - ihm war so warm, dass er am liebsten sein Jackett über die Balustrade werfen und hinterher springen würde. Vielleicht wäre es das Beste nach der Show, die abgezogen hatte.

»Dachte mir, dass ich dich hier finde.«

Kasimir drehte langsam den Kopf über die Schulter. Im Halbdunkel stand ein Mann, seine Silhouette kaum mehr als ein Schatten. Seine Stimme reichte tiefer als der Fluss, der die Elbphilharmonie umarmte.

Kasimir schloss die Augen, wandte sich wieder um und lehnte die Stirn gegen die Brüstung. Er wollte allein sein. Aber darauf hatte Elias nie Rücksicht genommen. Er trat vors Geländer, sah hinüber in den Hafen. Kasimir bedachte seine Annäherung mit einem Seufzen.

»Brichst du ... m-mir jetzt die Nase?«, wisperte er. Elias' Lachen sandte einen Schauer durch seine Brust.

»Elise hat mir nicht verraten, was im Konzertsaal passiert ist. Aber die Presse tut es morgen.«

Kasimir richtete sich auf, suchte Elias Blick. Die Lichter des Hafens spiegelten sich in seinen blauen Augen, brachten seine Wangen zum Schimmern. Kasimir hielt dem Anblick nicht lange stand, sah ebenfalls zu den Schiffskränen am gegenüberliegenden Ufer.

»Warum ... bist du hier ...?«

Statt einer Antwort griff Elias in seine Hosentasche und holte eine Schachtel Zigaretten hervor, zog eine heraus und ließ die Packung wieder verschwinden. Kasimir beobachtete, wie er die Kippe zwischen den Fingern drehte.

»Ich wurde gestern ermahnt. Es ist verboten, auf der Plaza zu rauchen. Aber hier ist niemand, der mich verpfeift, stimmt's?« Elias rückte näher. Die sanfte Flussbrise wehte einen Hauch seines Parfüms in Kasimirs Gesicht. »Keine Sorge. Ich stecke sie in deiner Gegenwart nicht an.«

»Ist mir egal ...« Kasimir betrachtete ein festlich beleuchtetes Restaurantschiff, das soeben von den Docks ablegte. Versuchte, den maritimen Duft seines Gesprächspartners auszublenden. »Ich werd' sie dir nicht aus der Hand reißen ...«

»Sicher? Du bedienst dich offenbar gern bei anderen.«

Kasimir blinzelte. Das Bild vor seinen Augen waberte, doch er erkannte, dass Elias sich die Zigarette zwischen die Lippen schob.

»Dir ist heiß. Du hast Kopfschmerzen«, stellte dieser fest, ohne Kasimir ins Gesicht zu sehen. »Wahrscheinlich ist dir morgen übel. Das gibt sich über den Tag.« Elias atmete die Seeluft durch seinen Zigarettenfilter ein, dann löste er sie von seinen Lippen und betrachtete sie im Schein der Flutlichter. »Das waren meine Symptome, als ich mit der Behandlung begonnen habe. Vor allem war ich müde, tagsüber, nachts. Immer.«

Kasimirs Lider weiteten sich. Als Elias ihm das Gesicht zuwandte, wich er seinem Blick aus, nestelte an seinen Manschettenknöpfen herum. »Nein, ich ... ich hab zu viel getrunken ...«

»Die Tabletten und Alkohol verstärken ihren Wirkungsgrad. Das ist nicht ungefährlich. Sag besser die Wahrheit.«

Erstmals, seit er den Konzertsaal verlassen hatte, meldete sich Kasimirs Nervosität zurück. Er verschränkte die Hände ineinander, konzentrierte sich auf seine Fingerknöchel. Kaum zu glauben, wie schnell Elias ihn durchschaut hatte.

All Eyes On Us [3]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt