[41] Valse fatale, pt. 2

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Die Beleuchtung im Saal war gedimmt. Wie Sterne am Abendhimmel besprenkelten die Deckenleuchten die Publikumsterrassen. Im Zentrum stand der schwarze Steinway, glänzte außerirdisch in den Lichtfragmenten des Klangreflektors.

»Wollen wir uns setzen?« Elise trat vor Kasimir in die Reihe und ließ sich auf einem der gepolsterten Sitze nieder; ihre Bewegungen glitten verschwommen vor seinen Augen. Sie klopfte auf den benachbarten Platz. »Geht es dir gut?«

»Bestens ...« Kasimir ließ sich abgespannt ins Polster sinken und schirmte mit seiner Hand die Augen ab. Die Reizbelastung war geringer als im Foyer, dennoch machten ihm Wärme und Geräuschkulisse zu schaffen. Seit dem Glas Sekt fühlte er sich endgültig ausgelaugt.

Elise schmunzelte. Ihr schimmernder Lidschatten verlieh den blauen Augen ein geheimnisvolles Leuchten, die Wimpern waren fein getrennt und so lang, dass ihr Blick noch offener wirkte. Dennoch strahlte sie Natürlichkeit aus, Warmherzigkeit. Das, was Leonhard an ihr schätze.

»W-worüber willst du ... reden?«, wisperte Kasimir, fokussierte seine Hände. Ihre Nähe machte ihn nervös.

»Über dich und mich«, antwortete Elise, drückte mit den Fingern den seidenen Stoff ihres Kleides zusammen. »Ich möchte dich um Verzeihung bitten.«

Ihre Worte überwanden Kasimirs Benommenheit. Ihm kam keine Rückfrage über die Lippen, aber Elise schien nichts zu erwarten.

»Ich bewundere dich, Kasimir. Dein Klavierspiel. Deinen Mut, dich diesem Wettbewerb zu stellen. Trotz der Umstände.« Sie hielt inne, ihre Lider zuckten. Es fiel ihr schwer, Blickkontakt zu halten. »Es tut mir leid, dass wir uns in dieser Situation befinden. Ich hätte Leo niemals von der Einladung zur Kandidatur erzählen dürfen ...« Sie zupfte an einer Kleidfalte, während Kasimirs Herz mit jedem Wort stärker klopfte. Sie sprach ruhig, überlegt. Als hätte sie sich lange auf diesen Moment vorbereitet. »Ich weiß, sein Zustand setzt dir zu. Mir geht es genauso. Lias mag das anders sehen, aber ... er nimmt nicht genug Rücksicht auf Leos Gesundheit. Deswegen ...« Sie legte unvermittelt ihre Hand auf Kasimirs, sah ihm tief in die Augen. »Ich will nicht, dass Leo sich quält. Genauso wenig will ich dir deinen Platz streitig machen. Wenn du möchtest, gehe ich zum Komitee und ziehe unsere Kandidatur zurück.«

Kasimir fühlte sich einen Moment wie festgefroren. Dann löste er langsam die Hand aus ihrer und verbarg sie in seiner Ellenbeuge. Seine Finger waren äußerlich ruhig, doch das Zittern streute in seinen Körper.

»D-das ... ist eure Entscheidung. Nicht meine«, antwortete er kühler, als er wollte. Ihre Worte berührten ihn, doch der Argwohn der letzten Wochen saß zu tief, um ihr blindlings Glauben zu schenken. Elise schien es ihm nicht nachzusehen. Sie betrachtete den imposanten Flügel im Herzen des Saales.

»Ich weiß ... ich will sie nicht auf dich abwälzen. Aber ich möchte mich dir nicht in den Weg stellen. Du bist der Pianist, der Deutschland in der Philharmonie de Paris vertreten sollte.« Sie suchte in seinen Augen nach Bestätigung. Kasimirs Brustkorb wurde enger, die Nervosität quetschte sich durch die Müdigkeit hindurch. Er spürte, dass sie es ernst meinte. »Ich wollte nie mit dir in Konkurrenz zu treten. Ich wollte Leo einfach diesen Wunsch erfüllen.«

»Welchen ... Wunsch?«

»Er selbst zu sein.«

Kasimir setzte einen Atemzug aus. Elises Wimpern senkten sich, Melancholie und Hoffnung schimmerten in ihren Augen.

»Ich habe es sofort bemerkt, als wir uns auf der Qualifikation begegnet sind«, wisperte sie, schien die Szene vor sich zu sehen. »Wie er zur Bühne geblickt hat ... diese Sehnsucht. Ich musste ihn ansprechen.«

Nun schmunzelte sie. Erinnerte sich an einen Moment, den Kasimir nicht miterlebt hatte. Einen besonderen Augenblick, den nur sie und Leonhard teilten.

»Während unserer Unterrichtsstunden ist er aufgeblüht, war so emsig und fröhlich ... vor allem, wenn er von der Pianovision erzählte. Er sprach so voller Stolz von dir, dass mir dieser Unterton erst nach einer Weile aufgefallen ist.« Elise schob sich eine Strähne ihres dunklen Haars hinters Ohr, betrachtete den Samtbezug des Vordersitzes. »Traurigkeit. Darüber, dass er nur von der Seitenlinie zusehen würde. Und als im Raum stand, dass du womöglich nicht antreten würdest, dachte ich ...«

All Eyes On Us [3]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt