[69] Soirée, pt. 2

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Leos Atem stockte, als Kasimir einen Schritt näher trat. An den Kniepartien seiner schwarzen Jeans hafteten Spuren von Erde, auch seine Finger sahen schmutzig aus. Er umklammerte die Stiele der Blumen, als vermittelten sie ihm Sicherheit. Es dauerte fast eine Minute, bis er endlich etwas sagte.

»Ich ... hab' mit Dawid telefoniert. Er hat mir erzählt, was passiert ist ...« Er wechselte den Strauß auf die andere Hand, streckte die Finger seiner Linken, als schmerzten sie vom krampfhaften Festhalten. »Ich weiß, ich sollte dich bis nach dem Auftritt in Ruhe lassen, aber ...«

Kasimir zögerte. Seine Brille saß schief auf seinem Nasenrücken, das Weiß seiner Augen war von feinen Äderchen durchzogen, als hätte er sich zu oft mit den Händen darüber gerieben. Als ihm Leos Aufmerksamkeit bewusst wurde, hob er zaghaft den Strauß.

»Die sind aus Adèles Garten. Ich wollte nicht ohne was herkommen, aber die Fahrt war lang ... die meisten Blüten sind abgefallen ...«

Er legte die Blumen vorsichtig ans Fußende der Matratze und verbarg die Hände in den Taschen, sah beiseite. Schien nicht zu wissen, wie er weitersprechen sollte.

Leo drückte das Bettlaken zwischen seinen Fingern zusammen. Er fühlte sich mindestens genauso überfordert mit der Situation, doch er hatte das Bedürfnis, Kasimir entgegenzukommen. Irgendwie.

»Bist du Zug gefahren?«, wisperte er.

Kasimir sah auf. Dann schüttelte er den Kopf.

»Alain hat mich gefahren. Wir sind mittags los, er ... die Zimmer in diesem Hotel sind alle belegt, er versucht, irgendwo in der Nähe etwas für uns zu orga...n-nisieren ...« Seine Stimme flackerte. Er brauchte einen Moment, um sich zu sortieren, hielt jedoch den Blickkontakt aufrecht. »Ich soll dir gute Besserung wünschen.«

»Oh. Okay. Danke.«

Erneut kehrte Stille ein. Sie zwang Kasimirs Fokus zu Boden, und auch Leo schaffte es nicht, den Blick von seiner Bettdecke zu lösen. Sein Herz klopfte wie wild, doch sein Kopf war leer. Ihm fehlten Worte, Gedanken, Gefühle. Er wusste nicht, wie er reagieren sollte.

»Ist dein Kopf okay ...?«, fragte Kasimir leise. Leos Finger wanderten unwillkürlich an sein Pflaster, touchierten die Klebelaschen. Seine Kopfhaut darunter war empfindlich.

»Denke schon. Die Ärztin meinte, ich kann morgen auftreten.«

»Okay. Gut ...«

Kasimir senkte den Blick, ballte sanft die Hände. Leo sah ihm an, dass er mehr sagen wollte, doch er haderte mit sich. Das war so er.

»Leo, ich ...«, wisperte Kasimir, ohne aufzusehen, löste die linke Faust. »Ich will dir nicht zur Last fallen. Ich will bloß etwas sagen ... es dauert nicht lange. Okay?«

Leo nickte, wurde nervös, als Kasimir in seine Hosentasche griff und einen gefalteten Umschlag hervorzog.

»Eigentlich wollte ich es dir schicken. Du solltest es in Ruhe lesen, aber ... v-vielleicht lese ich es einfach vor.« Kasimir drückte die Lasche des Umschlags zwischen seinen Fingern zusammen, wisperte. »Wenn du willst.«

Endlich blickte er auf, doch nun hielt Leo ihm nicht stand. Seine Handflächen begannen zu schwitzen, sein Mund wurde trocken. Er nickte in der Hoffnung, dass Kasimir es sah. Hielt den Atem an, als er das Knistern von Papier hörte, das hohle Geräusch einer auseinandergefalteten Seite. Sein Blick klebte am weißen Stoff des Lakens, als Kasimir sich leise räusperte.

»Leo«, begann er. Seine Stimme klang rau, Unsicherheit flimmerte darin. »Ich hoffe, es geht dir gut. Mir geht's okay. Es ist ruhig in Alains Dorf, das Wetter ist gut. Ich habe viel Zeit, um nachzudenken. Darüber, was ich gemacht habe ... und warum.«

All Eyes On Us [3]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt