[53] Elegie, pt. 3

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Während das Freizeichen ertönte, sah Kasimir zum Fenster hinaus, betrachtete die vorbeiziehenden Wolken. Irgendwann brach das Tuten ab. Er hielt den Atem an, fokussierte den Bildschirm.

0:01, 0:02 ... 0:08 ...

Sekundenlang lauschte Kasimir ins Rauschen der Verbindung. Glaubte, undeutliche Gespräche im Hintergrund wahrzunehmen. Sein Herz schlug schneller, seine Lippen wurden trocken. Irgendwann wog die Stille so schwer, dass er das Smartphone dicht vor seinen Mund hielt, tief durchatmete.

»Leo?«

Das Rauschen blieb konstant. Die Gespräche setzten fort. Kasimir legte den Kopf in den Nacken, senkte die Lider.

»Leo ... hörst du mich?«

»Ja.«

Er öffnete die Augen, sah auf das Display. Brachte plötzlich kein Wort mehr über die Lippen. Erst, als eine verzerrte Durchsage ertönte, fand er seine Stimme wieder.

»Sitzt du im Zug ...?«

»Ja«, wiederholte Leonhard.

»Okay ... nach Hause?«

Leonhard antwortete nicht, und Kasimir biss sich auf die Unterlippe. Es war das erste Mal, dass er während eines Telefonats mit ihm das Gespräch führen musste.

»Du, ähm ... du wolltest wissen, wo ich bin ...«

»Hat sich erledigt. Alain hat mir geschrieben. Er sagt, du kannst bei ihm bleiben.«

Kasimir schluckte. Das klang nicht, als wollte Leonhard ihn in nächster Zeit wiedersehen. »Bist du gerade ... ich meine, sitzt du ...«

Er kam nicht weiter, fühlte sich mit jedem Wort, das seine Lippen verließ, elender. Dennoch verstand Leonhard.

»Elise sitzt neben ihrem Bruder. Ich bin alleine.«

»Okay ...« Kasimir drückte das Smartphone in seiner Hand zusammen, betrachtete die Teppichkante. »Leo, es ... tut mir leid, was passiert ist.«

Auf der anderen Seite blieb es still. Kasimir legte sich bereits seine nächsten Worte im Kopf zurecht, als Leonhard schließlich doch antwortete.

»Was tut dir leid?«

Kasimirs Atem stockte. Er hatte mit vielem gerechnet, nicht aber einer Rückfrage.

»Dass ich ... abgehauen bin«, begann er, kratzte mit seinen Fingernägeln über den Teppich. »Dass ich die Gala vermasselt habe. Dass ich ...«

... einen fremden Mann geküsst habe.

Kasimirs Kehle zog sich zu. Er blinzelte die Wand an, Schmerz blockierte seine Zunge. Er konnte es nicht aussprechen.

»Das Interview, das du vorgestern gegeben hast, wurde von allen Online-Plattformen entfernt«, erwiderte Leonhard, ohne auf seine Worte einzugehen. Seine Stimme klang monoton, als läse er von einer Vorlage ab. »Elise hat sich für dich eingesetzt. Sie hat darauf bestanden, dass die Aufnahmen ohne deine Zustimmung gemacht wurden.«

»Sie hat ... was?«

»Gegen die Videos, die auf Social Media veröffentlicht wurden, lässt sich nicht so leicht vorgehen. Ich werde die entsprechenden User in den nächsten Tagen persönlich darum bitten, sie zu entfernen. Wenn nötig, mit rechtlichen Schritten.«

Er sprach klar, fokussiert. Während Kasimir kaum ein Stammeln zusammenbrachte, konnte Leonhard seine Gedanken genau artikulieren. Wie es ein professioneller Manager tat.

All Eyes On Us [3]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt