Es war ein Schaulaufen der Eitelkeiten. Alle Foyers des großen Konzertsaales wurden geziert von eleganten Roben und sektgefärbten Gesprächen. Das Barpersonal an den meterlangen Tresen hielt der Nachfrage nach Champagner und feinen Delikatessen kaum Stand. All das für achtzehn Klavierkünstler - und mindestens zehnmal so viele Menschen, die sich ihretwegen in Schale geworfen hatten. Selbst der weite Blick über den Hafen wurde von Menschen mit Häppchentellern blockiert.
Kasimir lehnte abseits des Trubels an der Wand neben der Garderobe. Er schwitzte in der drückenden Wärme, hielt die Arme dennoch vor der Brust verschränkt und beobachtete die Kellner, die sich geschickt zwischen den Stehtischen bewegten. Als er das Foyer in der 12. Etage vor einer halben Stunde betreten hatte, hatte einer von ihnen ihm mit strahlendem Lächeln einen Empfangssekt in die Hand gedrückt. Am Füllstand seines Glases hatte sich seitdem nichts geändert, allein die aufsteigenden Bläschen waren inzwischen verschwunden.
Er blinzelte, versuchte, sich auf eine Gruppe lachender Presseleute zu konzentrieren, doch sein Fokus schwamm von links nach rechts. Seit er das Hotelzimmer verlassen hatte, war ihm schwummrig; er brauchte die Wand in seinem Rücken als Stütze. Aber zumindest war neben der Energie auch seine Aufregung verschwunden.
Ein Blitzlicht von der Seite blendete ihn, das Dauerklicken eines überlasteten Kameraspiegels folgte. Kasimir hielt sich reflexhaft die Hand vors Gesicht, bis der Fotograf genug Schnappschüsse gesammelt hatte und wieder in der Menge verschwand. Kaum zu glauben, dass diese Leute nicht einmal den Anstand besaßen, ihn um sein Einverständnis zu bitten.
»Oha. Wenn du so eine Schnute ziehst, kommst du nicht auf die Titelseite, Hasi.«
Kasimir wandte den Blick zur Treppe, die in den Konzertsaal führte. Dutzende Menschen tauschten sich mit Schnittchen in der Hand über die Veranstaltung aus. Allerdings trug keiner von ihnen ein ganzes Tablett voller Köstlichkeiten herum - bis auf den österreichischen Pianovision-Kandidaten.
»Da... Dawid ...«, sagte Kasimir und stoppte, war irritiert von seiner schweren Zunge. Offenbar litt auch sein Sprachzentrum unter dem Schaukeln in seinem Kopf.
»Wa... was denn?« Dawid lehnte sich feixend neben ihn, stupste ihm mit dem Ellenbogen gegen den Oberarm. »Sag nicht, du bist schon breit. Die Party hat grad erst angefangen.«
Kasimir schüttelte den Kopf, während sich sein Gesprächspartner genüsslich ein Lachskaviar-Baguette genehmigte. Dawid trug einen silbergrauen Anzug, der zwischen den vielen schwarzen Sakkos herausstach wie eine Perle im Basaltsand. Anscheinend war die Gala auch für ihn eine Gelegenheit, seine Marke zu promoten.
»Wie geht's Leonie?«, wollte er wissen, während er sich einen Finger nach dem anderen ableckte. »Elias meinte, er schwelgt im Land der Träume? Schade eigentlich. Diese Nummer wäre genau sein Ding.«
»Elias ...?« Kasimir zog die Augenbrauen zusammen, suchte den Raum ab und entdeckte die Zwillinge an der Glasrückgabe. »Du redest mit ihm?«
»Klar. Ich werd' die Nacht ganz sicher nicht allein verbringen.«
Ein triumphierendes Lächeln wanderte über Dawids Lippen; er fokussierte ebenfalls das Geschwisterpaar. Elias war vertieft in ein Gespräch mit einem wild gestikulierenden Herren; eines der hohen Tiere im Organisationskomitee. Zu Kasimirs Überraschung lachte Elises Bruder regelmäßig auf, kein Vergleich zu seiner starren Mimik auf dem Hotelzimmer. Elise, die an seiner Seite stand, wirkte weitaus zurückhaltender, lächelte nur ab und an. Sie schien sich in ihrem langärmligen, smaragdgrünen Satinkleid nicht sonderlich wohlzufühlen.
»Die machen's richtig«, raunte Dawid und drehte demonstrativ mit seinem Schnittchen Kreise in die Luft, »umgarnen die Branchenvertreter. Solltest du auch tun. Selbst wenn du morgen versagst, kannst du zumindest mit dem ein oder anderen Engagement nach Hause gehen.«
»Ich versage schon nicht ...«
»Hört, hört. Peter Hase hat sich Mut angetrunken.«
»Ich bin nicht betrunken, Dawid, ich ... ich, äh ...«
Kasimir schüttelte den Kopf, doch der Nebel um seinen Verstand lichtete sich kaum. Dawid runzelte die Stirn und beugte sich nach vorn, um ihm in die Augen zu sehen.
»Alles klar? Schaust ein bisschen debil drein. Angesteckt bei deinem Betthäschen?«
Dawid trat sorgsam einen Schritt zur Seite. Kasimir verdrehte die Augen, nahm nun doch einen Schluck Sekt. Er musste nur seine Stunde Pflichtanwesenheit hinter sich bringen, dann würde er sofort aufs Zimmer gehen und komatös auf die Matratze fallen.
»Meine Herren, ein gemeinsames Foto?«
Eine blondierte Dame im roten Blazer positionierte sich lächelnd vor ihnen, hielt ihr Objektiv bereits auf Augenhöhe. Bevor Kasimir ihre Anfrage realisiert hatte, blitzte es so grell, dass er den Kopf zur Seite drehte. Dawid schien das spontane Shooting gelegen zu kommen.
»Aber sicher.« Er legte Kasimir den Arm um die Schulter, zog ihn nah an sich heran. »Der Ösi und der Ossi auf einem Bild, das können Sie fürs Finale in Paris recyclen.«
Die Dame hinter der Kamera lachte spitz auf, dann knipste sie unzählige Bilder aus verschiedenen Perspektiven. Kasimir verschwendete keinen Gedanken an seinen Gesichtsausdruck, während Dawid sein gesamtes mimisches Repertoire aufbot. Das fiel auch der Fotografin auf, sie nahm die Kamera kurz vom Gesicht. »Herr Hasenick, lächeln Sie bitte ein wenig.«
»Nein ...?«, entgegnete Kasimir, hielt kurz die Luft an, irritiert von seiner Unverfrorenheit. Auch die Fotografin wirkte für einen Moment überrascht, dann tanzte ein Lachen über ihre weinroten Lippen.
»Möchten Sie mit diesem Blick im Magazin erscheinen?«
»Gott bewahre«, antwortete Dawid statt seiner, lachte ebenfalls künstlich auf und zwickte Kasimir fest in die Schulter, dann widmete er sich wieder der Journalistin. »Etwas Nachsicht, ist sein erstes Mal. Als Wiedergutmachung gibt er später ein Interview. Stimmt's?«
Er sah Kasimir mit derart erwartungsvoll gehobenen Brauen an, dass der sich widerwillig ein Nicken abrang.
»Wunderbar. Ich komme darauf zurück.«
Die Dame verschwand wieder in der Menge. Als sie außer Sichtweite war, ließ Dawid mit einem tiefen Seufzen von ihm ab.
»Hör mal ... dein Schneid in allen Ehren, aber das kannst du nicht bringen.« Er deutete mit beiden Händen in den Raum. »Mindestens ein Drittel der Leute hier sind Reporter. Die warten nur darauf, dass jemand Stoff für eine kontroverse Story liefert. Wenn du dich vor laufenden Kameras wie ein Arsch verhältst, schadest du dir nur selbst.«
»A-aber ... sie hat sich mir gegenüber falsch verhalten.«
»Sie will aber morgen nicht zum Publikumsliebling gewählt werden. Eine schlechte Pressemeldung, und deine Chancen sind dahin. Du hast einen Ruf zu verlieren, Hasi.«
Kasimir zischte, schwenkte den letzten Schluck Sekt in seinem Glas und trank ihn in einem Zug aus. Er war hier, um Klavier zu spielen, nicht, um sich vor irgendwelchen Journalisten zu profilieren.
»Mein Lied ist ... gut genug.«
»Mag sein, aber für einen maulfaulen Griesgram ruft niemand an. Vielleicht drehst du besser 'ne Runde auf der Plaza, schnappst Luft.« Dawid klopfte ihm auf die Schulter, dann nickte er zu Elias und Elise, deren Gespräch soeben sein Ende fand. »Ich mache in der Zwischenzeit meinen Bettgenossen klar.«
Mit einem Zwinkern drückte er Kasimir sein leeres Tablett in die Hand und verschwand in Richtung Bar.
Seufzend stellte Kasimir Dawids Geschirr auf einen der Stehtische, nahm seine Brille ab und rieb sich die Augen, dann suchte er das Foyer nach dem Ausgang zur Außenterrasse ab. Es stimmte, er fühlte sich im Moment nicht besonders medientauglich. Wahrscheinlich würde Leonhard ihm die ganze Zeit über nicht von der Seite weichen, wenn er von seinem Zustand wüsste. Aber da ihm diese Unterstützung fehlte, entzog Kasimir sich besser jeglicher Aufmerksamkeit.
Das klappte. Zumindest in der Theorie.
»Kasimir, warte ...« Er spürte einen Zug am Ärmel, drehte sich um und erstarrte im Glanz des wolkenlosen Himmels. »Können wir reden?«
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All Eyes On Us [3]
Romance🎼 Abschlussband der Reihe "All Eyes On Me"! 🎼 *abgeschlossen* #leomir 🐰🏳️🌈🩷 [Achtung - SPOILER für Band 1 & 2] . . . Kasimir und Leo haben sich für eine gemeinsame Zukunft entschieden. Als sein Agent setzt Leo alles daran, die Musik seines Fre...