[14] Poseidon und Hades, pt. 6

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Beifall hallte durch den Saal, als Kasimir die Bühne betrat. Wie eine Welle schwappte er durch die Reihen, flaute ab und schwoll wieder an. Kasimir spürte, dass es ewig so weitergehen würde. Doch er war nicht der Grund dafür.

Während er den Hocker zurechtrückte, ertönten euphorische Pfiffe. Viele im Publikum hatten ihre Köpfe Elise zugewandt, die den Gang entlang lief. Sie winkte ihnen mit einem offenherzigen Lächeln, nicht einmal Kasimir konnte sich davor verschließen. Wieso auch? Sie hatte den Applaus verdient, für ihre Worte, für ihre beeindruckende Leistung am Klavier. Und doch schwelte eine Flamme in seiner Brust, seit er dieses Funkeln in Leonhards Augen bemerkt hatte.

Was hatte er gefühlt, als er Elise beobachtet hatte? War er traurig gewesen? Wütend, dass sie tat, was er aufgeben musste? Oder hatten ihn ihre Noten tiefer ergriffen?

Als Elise die Saaltür erreichte, fiel sie zuallererst ihrem Bruder in die Arme. Kasimir erkannte, dass er ihr ins Ohr flüsterte, vermutlich mit derselben Tiefenruhe wie beim ihm. Die Erinnerung besänftigte das Brennen in seinem Herzen. Er atmete durch, spürte das wogende Rauschen des Ozeans, die Freiheit der offenen See.

Bis ein Blitz über den Horizont zuckte.

Kasimirs Mimik gefror, als Elise auf Leonhard zulief, lächelnd vor ihm stehenblieb - und ihn in die Arme schloss. Der Beifall des Publikums wurde lauter, anzügliche Pfiffe zischten durch die Reihen. In Leonhards Gesicht standen Überraschung und Freude, Glücksgefühle öffneten seine Augen. Er war anscheinend nicht nur fasziniert von Elises Auftritt.

Er war fasziniert von ihr.

Kasimir schob die Backenzähne übereinander, wandte sich der Klaviatur zu. Sein Puls pochte scharf in seiner Schläfe. Zwei Wochen hatte er auf diesen Moment hingearbeitet, für den Menschen, den er liebte - und Leonhard sah nicht einmal in seine Richtung. Wieso saß er an diesem verdammten Flügel? Er wollte nicht an dieser Show teilnehmen, fühlte sich beim bloßen Gedanken daran schlecht. Warum überließ Leonhard ihn jetzt, da er seine Aufmerksamkeit am meisten brauchte, sich selbst?

»Du wirst sie alle begeistern, Kasi.«

Bitterkeit kratzte an Kasimirs Selbstwert. Von wegen. Keiner in diesem Saal interessierte sich für seinen Vortrag. Er war allein auf der Bühne, allein mit dem Angsthasen, der in seiner Brust mit den Läufen klopfte. Warum? Waren all diese Menschen nicht seinetwegen hier? Wollten sie nicht unterhalten werden von dem Trugbild, dessen Videos sie gen Himmel lobten?

Zum Teufel mit dieser miesen Lüge.

Kasimir ballte die Fäuste, holte tief Luft, dann spreizte er die Finger wieder und fing an, seinem aufwallenden Frust eine Stimme zu verleihen.

Bereits beim Auftakt schoss die Hitze in seine Fingerspitzen, jede Tastenberührung setzte Notenfunken frei. Sie stoben auseinander, kollidierten und verliehen Chopins Prélude eine schmerzhafte Schärfe. Kasimir jagte sie über die Klaviatur, ließ sie dunkelrot aufleuchten, trieb sie bis zur Verzweiflung.

Immer schneller. Immer wütender.

Er war entflammt vor Enttäuschung, verbissen, Leonhards Blick auf sich zu fokussieren. Seine Finger tanzten mit dem Dämon, der seine Moral in die Tiefe zerrte, direkt vor das Tor zur Hölle. Er würde die Einladung annehmen. Bei Gott, er würde hinabsteigen in den Hades und alles niederbrennen, den Teufel aus seinem Reich verbannen und sich selbst auf den Thron setzen. Dieser Konzertsaal würde von seinem Flammenmeer überschwemmt, bis jeder Tropfen Wasser, den die Ozeanetüde hineingespült hatte, verdunstet war. Das hier war seine Bühne, seine Qualifikation, und die Aufmerksamkeit seines Partners gehörte ihm.

All Eyes On Us [3]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt