[3] Prélude, pt. 3 [M]

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Es war vereinnahmend. Die Zärtlichkeit, mit der Leonhards Hände über Kasimirs Rücken tasteten. So ungeduldig und doch kontrolliert, als wäre sein Körper eine hochwertige Klaviatur und Leonhard der Virtuose, der ihren Klang kennenlernen wollte. Seine Neugier war so empfindsam, dass Kasimirs Atem unter seinen Berührungen schwerer wurde. Die Dunkelheit des Flures ummantelte ihre Konturen, die Wärme ihrer Nähe ließ den Winter vor der Wohnungstür zurück, und doch wirkte die Zeit wie festgefroren. Angehalten im wertvollsten Moment.

Kasimir spürte, wie Leonhard langsam den Reißverschluss seiner Jacke aufzog. Seine Finger begannen zu zittern. Das, was als zurückhaltende Liebkosungen in der Straßenbahn begonnen hatte, pulsierte inzwischen durch seinen Körper; er ertrug Leonhards Sanftheit kaum. Am liebsten würde er seinen Gefühlen die Freiheit zugestehen, nach der es ihnen verlangte. Doch er wollte seine Zuneigung nicht unter der Lust erblinden lassen. Seine Seele wollte diesen Augenblick genießen.

»Dein Spiel war großartig«, flüsterte Leonhard, hauchte ihm einen Kuss auf den Hals, nachdem er ihm die Jacke über die Schultern geschoben hatte. »Ein bisschen bereue ich, den Rest deiner Show verpasst zu haben.«

»Nicht schlimm«, erwiderte Kasimir und schob seine Hände vorsichtig unter das wiesengrüne Leinenhemd seines Freundes. Leonhards Lächeln verstärkte sein Herzklopfen; er fühlte sich zunehmend eingeengt von seinem Verlangen nach mehr.

»Quäl' ich dich?« Leonhard strich ihm mit seiner gelähmten Hand über den Schoß, woraufhin Kasimir leise aufseufzte. »Wir hatten in den letzten Wochen nicht viel Zeit füreinander.«

»Nicht ... schlimm ...« Kasimir nestelte an seiner Gürtelschnalle herum, um sich ein wenig mehr Freiraum zu verschaffen. Leonhard küsste sich langsam über sein Schlüsselbein.

»Du kannst ehrlich zu mir sein, Kasi. Wenn es dir zu viel wird, vermittle ich dir weniger Jobs. Jana hat nichts davon, wenn ihr Starpianist auf dem Zahnfleisch kriecht.«

»Starpianist«, flüsterte Kasimir schmunzelnd, streichelte ihm über die Hüften. »Wenn ich das für dich bin, krieche ich gern auf dem Zahnfleisch.«

»Du bist viel mehr für mich als das.«

Leonhard berührte achtsam Kasimirs Kragen und begann, ihn Knopf um Knopf von seinem Hemd zu befreien. Seine Fingerspitzen hinterließen ein angenehmes Prickeln auf Kasimirs Brust. Der Duft seines Haars war so betörend, dass er sich allmählich betrunken fühlte von seiner Sehnsucht nach ihm.

Als Leonhard den letzten Knopf über seinem Hosenbund geöffnet hatte, schob er ihm sanft den Stoff von den Armen und lehnte sich gegen seinen nackten Oberkörper. Er küsste seinen Kehlkopf, seinen Unterkiefer und seine Schläfe, als wären es die verführerischsten Stellen seines Körpers.

»Ich habe mich nicht in deine Auftritte verliebt, Kasi«, flüsterte er. »Sondern in die Stille dazwischen.«

Kasimirs Herzschlag pulsierte in seinem Kopf. Er beugte sich zu Leonhard hinunter und küsste ihn, so gefühlvoll und innig, wie es seine flatternden Emotionen zuließen. Das war es, was diesen Valentinstag besonderer machte als alle vorherigen. Er musste nicht mehr davon träumen, mit dem Menschen, dem er alles von sich anvertrauen wollte, vereint zu sein.

Dieser Traum stand vor ihm.

Als er von seinen Lippen abließ, ging Leonhard schmunzelnd in die Hocke und begann, seine Schnürsenkel mit seiner rechten Hand zu lösen. Kasimir sah ihm einige Sekunden dabei zu. Die Mühe, die sein Freund in diese Nichtigkeit investieren musste, machte ihn beklommen.

»Soll ich dir helfen?«, fragte er, darum bemüht, nicht ungeduldig zu klingen. Leonhard zog kokett die Augenbrauen hoch.

»Wieso? Weil ich behindert bin?«

»Nein ...«

»Ich kann tolle Dinge mit dieser Hand anstellen, oder nicht?«

Kasimir senkte verlegen den Blick. Nachdem sich Leonhard seiner Sneakers entledigt hatte, erhob er sich und strich ihm mit seinen gelähmten Fingern über die Wange.

»Du musst nicht vorsichtig mit mir sein, Kasi. Ich nehm's dir nicht übel, wenn du aussprichst, was du denkst.«

»Ich weiß.«

»Dann sag mir, was du fühlst. Gerade, wenn's dir schwerfällt. Okay?«

»Ja ...«

»Gut. Das können wir gleich mal üben.«

Kasimir erhielt keine Chance auf eine Erwiderung, als Leonhard bereits hinter der Wohnzimmertür verschwand. Kurz darauf kehrte er mit einer kleinen schwarzen Schachtel zurück und drückte sie Kasimir in die Hand. Sein Lächeln wirkte wie festgepinnt, als Kasimir sie unschlüssig von allen Seiten betrachtete. »Was ist das?«

»Dein Geburtstagsgeschenk«, erwiderte Leonhard. »Ich weiß, du wolltest nichts. Aber ich kann's nicht zurückgeben, also mach's einfach auf.«

Kasimir verzog die Lippen, dann löste er die weiße Schleife um das Kästchen vorsichtig. Zum Vorschein kam ein schwarzes Samtkissen mit einem Edelstahlring, dessen polierte Oberfläche von einer filigranen schwarzen Gravur geziert wurde.

»Der 37. Takt von ›All Eyes On Us‹«, sagte Leonhard. »Die Stelle, an der ›All Eyes On Me‹ und ›All Eyes On You‹ ineinander übergehen. Mira hat mir beim Design geholfen. Die Kanten sind abgerundet, damit sie dich beim Spielen nicht stören.«

Das Schmuckstück war hervorragend verarbeitet und saß perfekt, als Kasimir es sich nach kurzem Zögern über den Ringfinger schob. Ihm wurde mulmig, als Leonhard seine Hand ergriff und mit dem Daumen über seine Finger streichelte.

»Und? Was empfindest du?«

Überwältigung. Dankbarkeit. Die Gewissheit, geliebt zu werden.

»Sieht gut aus ...«, antwortete Kasimir vorsichtig, strich mit dem Daumen über die Gravur. »Ich meine, er gefällt mir. Danke.«

»Freut mich.« Leonhard drückte seine Hand ein wenig fester. »Ich fand den Gedanken schön, dass du was von mir bei dir hast, wenn du spielst. Mehr steckt nicht dahinter. Versprochen.«

Kasimir senkte leicht schmunzelnd den Blick. Leonhard und er waren seit einem Jahr zusammen. Wie sich ihre Beziehung entwickelte, überließ er dem Lauf der Zeit, und was sich währenddessen ereignete, wollte er unvoreingenommen auf sich wirken lassen. Genau wie die Berührung von Leonhards Fingerspitzen, die in diesem Augenblick über seinen Unterarm wanderten. Oder das feine Kribbeln, das sich auf seine Lippen legte, als er ihm den Kopf entgegen neigte. Es war Wärme, die ihn erfüllte, wenn er diesem so geliebten Menschen nahekommen konnte. Eine flammende und doch friedliche Wärme.

»Bereit für dein Valentinsgeschenk?«, wisperte Leonhard ihm ins Ohr und legte seine Hand auf Kasimirs Brust. Wahrscheinlich wollte er teilhaben am rasenden Rhythmus seines Herzschlags.

Aber damit konnte er leben.

All Eyes On Us [3]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt