[18] Fantasie, pt. 2

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Kasimir bombardierte das efeuüberwucherte Hochhaus mit Rauchgranaten. Die gequälten Schreie erstickender Zombies fluteten sein Headset und übertönten sogar Cecilies Genörgel.

»Hatten wir nicht gesagt, wir gehen strategisch an die Säuberung des Hauptquartiers?«, seufzte sie, während eine Horde Untoter aus dem verfallenen Gebäude auf dem Bildschirm stürmte. Ohne zu antworten, eröffnete Kasimir das Feuer und beobachtete mit starrem Blick, wie ein Großteil der Feindesarmee auf den kontaminierten Boden sank. Es tat gut, seinen angestauten Frust am Joystick auszulassen, und es erforderte weit weniger Denkleistung als Klavierspiel.

»Bist du sauer?« Cecilie war in sein Himmelfahrtskommando eingestiegen. Allein das Babygeschrei im Hintergrund erinnerte Kasimir daran, dass hinter seiner Kampfpartnerin im Endzeitepos ein realer Mensch steckte.

»Nö. Wieso?«

»Du spielst besser als ich. Irgendwas stimmt nicht mit dir.«

»Hab 'nen guten Tag.«

»Klingst aber nicht so.«

Kasimirs Daumen wurde unter dem endlosen Schussbefehl allmählich taub. Eine Pause täte ihm gut, doch er wollte seiner Schwester nicht von seiner schlaflosen Nacht berichten. Geschweige denn von der Enttäuschung, als er seinen Freund am Morgen friedlich schlummernd auf der Wohnzimmercouch vorgefunden hatte.

»Keine Ahnung, was du meinst«, murrte er und seufzte, als der letzte Feind sein Leben aushauchte. Nun konnte er sich nicht mehr hinter dem Videospiel verstecken. »Vielleicht hast du im Mutterschutz Skills eingebüßt.«

»Im Gegenteil. Du bist plötzlich risikobereit. Bei der Killrate wechselt Tommy freiwillig in dein Team.«

»Danke, verzichte«, sagte er. Die wöchentlichen Gaming-Dates mit seiner Schwester waren ihm heilig. Er würde sie niemals durch eine Phrasenschlacht mit ihrem prolligen Ehemann eintauschen. Aber dem fehlte ohnehin die Zeit für Videospiele, seit er begonnen hatte, seinen Traum vom Einfamilienhaus in die Tat umzusetzen. »Ist er zuhause?«

»Ja, auf der Baustelle gerade Land unter dank Dauerregen. Füttert gerade Fridolin.«

»Euren Kanarienvogel?«

»Deinen Neffen«, erwiderte Cecilie so düster, dass Kasimir trotz seiner miesen Laune grinsen musste. »Aber schön, dass dich unser Alltag erheitert. Du sitzt vermutlich alleine in deinem muffigen Wohnzimmer.«

Das Lächeln auf seinen Lippen schwand und sein Blick glitt zur Wanduhr. Es war fast acht, genau wie gestern viel zu spät für Leonhards Heimkehr.

»Bestimmt macht er auf der Straße Werbung für den Vorentscheid«, mutmaßte Cecilie, während ihr Avatar Munitionsreste aufsammelte. »Er setzt eine Menge Hoffnungen in dich und die Pianovision.«

Während sie sprach, zuckten Kasimirs Fingerspitzen; der Controller in seiner Hand begann zu beben. Er schloss die Augen und atmete tief durch, dankbar, dass Cecilie seine Stressreaktion durchs Headset nicht sehen konnte.

»Je mehr Leute von deiner Qualifikation wissen, desto mehr schalten beim Vorentscheid ein und rufen für dich an«, fuhr sie fort. »Wäre ein guter Zeitpunkt, deine Wettbewerbskomposition auf deinem Kanal vorzustellen.«

»Geht nicht.«

»Wieso?«

Kasimir steckte ein neues Magazin in seine halbautomatische Waffe und lief voran, um Cecilies Aufmerksamkeit auf das Spiel zu lenken. Leider erfolglos.

»Du hast noch nichts geschrieben«, traf sie es auf den Punkt. Sofort wallte sein schlechtes Gewissen auf, und sein Blick streifte das vernachlässigte Klavier. Cecilie seufzte. »Wieso fragst du nicht mal deinen Vater um Rat? Alain komponiert auch. Er hilft dir bestimmt gerne.«

All Eyes On Us [3]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt