-Interludium -
September
Nach einer Weile war es dann zu einem kleinen Vorfall gekommen, der mich dann doch sehr stark vermuten ließ, dass es sich tatsächlich um Henry Cavill handelte, denn ich hörte ihn plötzlich - wir spielten für den besten Sound gerne mit Headset - im Kampf, der ihm beinahe das Spielerleben kostete, mit diesem unwiderstehlichen britischen Akzent, der mich schon in Lilys Buchladen aus dem Konzept gebracht hatte, unflätig fluchen. Ich schrieb ihm über die Chatfunktion, dass er wohl seinen Charakter besser leveln müsse, um mit mir mithalten zu können. Ein halb gelachtes „Oh, sorry!" war die Antwort. Einen Augenblick später hatte er geschrieben, dass er in seiner Rage wohl den Knopf am Headset aktiviert hatte. Zwar machte dies die Wahrscheinlichkeit höher, dass es sich um den Henry handelte, aber durch die vielen Stunden des gemeinsamen Spielens hatte es ein wenig von seiner Abschreckung verloren.
Ich war zwischendurch auch noch einmal im Buchladen und bei einem der thematisch ausgerichteten Lesezirkel gewesen. Dabei hatte ich mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen und ein wenig mit dem sexy Barista geflirtet. Henry traf ich dort aber nicht mehr, sodass der Tag, an dem ich ihn dort das eine Mal gesehen hatte, langsam nur noch eine Erinnerung war.
Nach weiteren arbeitsamen Wochen, einem Trip nach Hause zu meinen beiden Hunden, weiteren Flirts mit dem Barista Collin, für den ich mich immer mehr erwärmte, war ich schließlich einem näheren Kennenlernen nicht mehr abgeneigt. Ich ging immer öfter zum Lesezirkel und verabredete mich schließlich mit Collin, um uns nach der Arbeit einen Drink in seiner Lieblingsbar zu genehmigen. Wir hatten dabei nicht die Augen voneinander lassen können ... Als ich nach meinem Whiskey on the Rocks gegriffen hatte, streichelte Collin mit einem Finger über meinen Handrücken und mich durchliefen Schauer, die er ganz sicher auch bemerkt hatte. Zur Verabschiedung hatte er mich in seine Arme und eine sehr sinnliche Umarmung gezogen. Wir verabredeten uns noch im selben Moment für das Wochenende, um unsere Gespräche zu vertiefen, wie Collin es mit gekräuselten Lippen formuliert hatte. Gwynbleidd geriet dabei beinahe in Vergessenheit...
Aber nur beinahe, denn als ich mich gerade für das nächste Date mit Collin fertigmachte, ging plötzlich eine Benachrichtigung über die Chatfunktion des Spiels auf meinem Smartphone ein. Während ich mir die Haare eindrehte und einige Sekunden auf das Piepen des automatischen Lockendrehers wartete, öffnete ich die Benachrichtigung und hätte mir durch das Überschreiten der Wartezeit beinahe die gesamte Strähne abgefackelt. Viel zu eingenommen und irritiert war ich von der Frage, ob ich nicht Lust hätte, das Handy nach der Arbeit mal beiseitezulegen und stattdessen einen Spaziergang im Waterperry Wood zu machen. Ich erinnere mich noch genau daran, dass ich fast hysterisch aufgelacht hatte. Ein Blind-Date im Wald - natürlich... Die Ted Bundys und Jeffrey Dahmers dieser Welt würden sich die Hände reiben, jemanden so einfach an einen abgelegenen Ort zu locken. Als ich mehrere Minuten nicht reagierte, mich stattdessen der Fertigstellung meiner Hochsteckfrisur widmete, kam die Information, die mich schließlich doch übermütiger, unvorsichtiger werden ließ -
„Ich bringe auch meine zwei Hunde mit."
Ich dachte, wie so oft in der letzten Zeit - Was soll's?!
Sollte ich am Treffpunkt merken, dass mir ein unbekannter Mann mit furchteinflößender Mörder-Miene und zwei wildgewordenen Terriern entgegenkäme, würde ich mich schleunigst wieder in mein kleines Firmenauto setzen und über alle Berge verschwinden - das wäre dann definitiv die ultimative Lehre fürs Leben! Wir verabredeten uns für den nächsten Freitag und mir ging der Termin auch noch im Kopf herum, als mir Collin mit glühenden Fingern beim Tanzen eine Strähne aus der Stirn strich.
Die gesamte Woche spielte ich sehr wenig. Aus Zeitgründen, nicht aus Desinteresse. Als der Tag schließlich da war, hätte ich am liebsten abgesagt. Ich war hin- und hergerissen zwischen der Angst, auf einen Unbekannten zu treffen - Collin konnte es von den im Laden Anwesenden definitiv nicht sein, in einem Gespräch hatte ich erfahren, dass er lieber Saxophon als Videospiele spielte - und der Aufregung, tatsächlich wieder vor dem Mann mit den schönen Augen zu stehen. Draußen hatte es seit dem Morgen ohne Pause geregnet. Jegliche Form ansprechender Kleidung fiel flach. Ich betrachtete mich kritisch in meinem knielangen Regenmantel und den hohen Gummistiefeln. Von Business zu Bauernhof ... Ich fuhr mit dem Firmenwagen extra zwanzig Minuten früher los, als ich von Oxford zum Waterperry Wood gebraucht hätte. Meine Hände hinterließen feucht-klebrige Spuren auf dem Lenkrad.
Als ich auf dem schottrigen Waldparkplatz angekommen war, sah ich schon einen größeren Geländewagen dort stehen. Das perfekte Auto für einen Kidnapper... Weit und breit war niemand zu sehen. Ich parkte, atmete durch und stülpte mir die Kapuze über den Kopf. Als ich ausstieg, sah ich einen groß gewachsenen, muskulösen Mann mit dem Rücken zu mir stehen und hörte ein schrilles Pfeifen, wie man es nur zustande bringen konnte, wenn man auf zwei Fingern pfeift. Es knackte mehrmals gefährlich im Unterholz, ich hielt den Autoschlüssel fest umklammert. Das Rascheln wurde lauter, ein weiß-braunes Fellknäuel schoss plötzlich hervor, hinten dran folgte eine tapsige French Bulldog. Ich hörte lobende Worte, schmunzelte und trat auf einen Stock, der auf dem Schotterweg lag. Plötzlich ruhten drei Augenpaare auf mir. Ich blickte hin, sah nur diese blauen Augen.
"Hi, Kalhela", sagte er und lächelte.
"Hi...bestes Wetter", antwortete ich und strich mir über die nasse Stirn, während ich immer noch den Autoschlüssel in der Hand hielt. Er schaute nach oben, die Kapuze tief in der Stirn und ließ sich einige Regentropfen auf das Gesicht fallen.
"Ja, bestes Wetter!", hatte er gesagt und es genauso gemeint.
Der Spaziergang war schön gewesen... und sehr lang. Er hatte mich schließlich nach meinem Namen gefragt. Er sprach ihn Eida aus, bemühte sich aber um das lange I. Ich lächelte jedes Mal, wenn er meinen Namen sagte. Der Spaziergang im Regen war so ungezwungen gewesen, dass das Schockgefühl, das sich im Buchladen sofort breitgemacht hatte, gar nicht erst aufkommen wollte. Ich schaute den Hunden beim Herumtollen zu, streichelte sie und ließ mich am Ohr abschlecken. Unsere Gesprächsthemen fanden sich ganz zufällig, er stellte interessierte Rückfragen, aber wir konnten auch Augenblicke des Schweigens aushalten. Irgendwie schaffte es mein Gehirn, Henry in diesen zwei Stunden nur als normalen Mensch wahrzunehmen, nicht als Schauspieler, nicht als seine variationsreichen Rollen. Es war einfach schön und ich erwischte mich dabei, wie sich meine Lippen bis zu den Ohrläppchen nach oben zogen, als ich nach dem Duschen vor meinem Badspiegel stand und mir die Haare trockenföhnte.
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HENRY | .•° Eine Henry Cavill Fanfic °•.
FanfictionIda Karlson ist beruflich in Oxford. Der Auftrag soll innerhalb weniger Wochen abgewickelt sein. Doch es kommt anders - ihr Aufenthalt wird verlängert und alles verändert sich, als sie eine kleine Notiz zugesteckt bekommt. Sie verliert sich in eine...