033 // 16. April - V

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Mich zieht es zu dem Stand, der die kostbaren, beinahe wie fließendes Öl aussehenden Schals und Tücher verkauft. Ich schiebe mir die Sonnenbrille ins Haar und steuere auf die erste Reihe Textilien zu. Die junge Frau reicht ihrem zurückhaltenden Begleiter, der einen wunderschönen, vermutlich aus Indien importierten Kashmiri-Schirm mit Boho-Bemalung in der Hand hält, den Schal, den sie zuvor anprobiert hatte. Er nimmt ihr diesen mit einer leichten Verbeugung ab und sie wirft sich im nächsten Moment schon den nächsten Schal, der ein Muster hat, dass an Meeresverwirbelungen erinnert, über die Schulter und begutachtet sich von allen Seiten. Sie trägt ein sehr teuer aussehendes thailändisches Gewand, das wie Perlmutt schimmert. Henry und ich treten an den Stand heran und ich weiß gar nicht, welches Schmuckstück ich mir als Erstes ansehen soll. Während ich den Blick schweifen lasse, fällt dieser zufällig auf einen sehr breiten Schal, der die Farbe von rosanen Süßwasserperlen hat, die im Licht verschiedene Nuancen präsentieren. Das Muster ist leicht verschnörkelt und ich assoziiere es unwillkürlich mit den feinen Verästelungen roter Korallen. Ich trete näher heran, um den Stoff in Augenschein zu nehmen. Der Händler wirft mir einen aufmerksamen, aber freundlichen Blick zu. Derweil hält der Begleiter der eleganten Thailänderin schon vier Schals über dem Arm. Ich befühle den Schal und es fällt mir schwer, die Empfindung zu beschreiben, die die Naturseide zwischen meinen Fingern hervorruft. Das Textil ist kühl, hauchzart und ohne jeglichen Makel, vollkommen glatt.

„Fühl mal!", sage ich zu Henry, der neben mich getreten ist.

Er hebt seine Hand und sein Zeigefinger streift den Stoff. Er nickt anerkennend. „Wirklich ein schönes Stück", stimmt er zu und richtet seinen Blick auf die anderen Modelle. Mir entgeht trotz seiner Sonnenbrille nicht, dass er seinen Kopf und somit auch seine Augen ganz leicht nach links wandern lässt, wo die anziehend schöne Thailänderin sich gerade in ihrem Perlmutt-Kleid um die eigene Achse dreht. Sie richtet im nächsten Moment ihre exklusive Aufmerksamkeit auf den Händler, der sofort zu ihr eilt und versucht, ihr den Wunsch von den Augen abzulesen, ehe sie auch nur den Mund öffnet.

„Den kaufe ich für Marleen!", hole ich mir Henrys Konzentration zurück, der meiner Idee zustimmt und ergreife den breiten Bügel, über dem der Schal zusammengefaltet ist. „Kannst du das mal halten?", frage ich ihn und er nimmt mir den Bügel sofort ab. „Imitierst du Madmoisell Papillon?", fragt er amüsiert und meint damit die andere Kundin, die vom Inhaber behandelt wird, als wäre sie der seltenste Edelstein, den die Welt jemals gesehen hat.

„Ach, du...natürlich nicht. Ich möchte mich nur noch etwas umsehen." Madmoisell Papillon, ich verkneife mir ein Schmunzeln. So einen Ausdruck würde mein Vater auch gebrauchen, denke ich, nur, dass es bei Henry wahrscheinlich das Maximum an Despektierlichkeit ist, die er sich gegenüber anderen Menschen erlaubt. Bei meinem kernigen, das Herz auf der Zunge tragenden Vater war das erst das Minimum, beinahe ein Kompliment. Als ich den Gedanken beende, wird mir deshalb kurz flau, weil ich daran denke, dass ich meinen Eltern heute Abend von Henry erzählen will. Ich schüttle den Gedanken ab und wende mich wieder den Schals zu, die alle gut sichtbar nebeneinander hängen, einige wenige liegen auf den Schultern von weiß bemalten Holz-Mannequins. Ich entdecke einen Schal, dessen Grundton ein sattes Türkis ist, das Muster darauf schimmert in einem intensiven Kupferton. Der nächste der mir zwischen die Finger kommt, ist einer, der dem benzol-schimmernden Schal der anderen Kundin ähnelt, er scheint das Licht bei Bewegung zu reflektieren und zeigt einen Farbverlauf von cyan über violett bis purpur. Der Händler trägt gerade ein in einem durchsichtigen Kleidersack verpacktes korallenfarbenes Gewand herbei, dass er vor der Thailänderin und ihrem Angestellten auspackt. Sie befühlt wertend den Stoff, hebt den Saum an und hält ihn gegen das Licht. Die Kundin nickt und nimmt ihm den Bügel ab. Er führt sie in Richtung eines Umkleidebereichs, der sich ganz im hinteren Bereich des Verkaufsstandes befindet. Sie zieht schwungvoll den schweren Vorhang hinter sich zu und lässt sich das Kleid von ihrem Begleiter anreichen. Ich bin - ohne richtig darauf zu achten - noch weitere feine kleinere Tücher und breite, teilweise einen Meter fünfzig lange Schals durchgegangen und halte gerade einen zwischen den Fingern, der einen hinreißend schönen Farbverlauf von dunkleren Erdtönen zu einem hellen Beige und goldene Einwebungen hat, die an Federn und exotische Pflanzen erinnern. Ich nehme den Schal vom Bügel und werfe ihn mir um den Hals. Er fühlt sich unglaublich anschmiegsam und ebenmäßig auf meiner Haut an. Ich trete vor den Spiegel und drehe mich erst nach rechts, dann nach links. Der Kontrast zu meiner braunen Haut und dem hellblauen Jumpsuit ist überaus ansprechend.

HENRY | .•° Eine Henry Cavill Fanfic °•.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt