047 // 11. Mai - III

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Als ich vor meiner Wohnungstür stehe, stoße ich einen leisen Seufzer aus. Der Tag hatte mich ziemlich geschafft. Ich stecke den Schlüssel ins Loch und trete in meinen Hausflur. Als ich meine Schuhe ausgezogen und meine Handtasche auf die kleine Bank im Flur gestellt habe, gehe ich zu den Hunden ins Wohnzimmer und lege mich zu ihnen auf das Hundebettchen. Ich schließe meine Augen und kraule den beiden die Köpfe. Ich atme den pelzigen Geruch ihres Fells ein und Nubby leckt mir über die Wange. Nach einigen Minuten erhebe ich mich langsam, ziehe mir eine gassitaugliche Hose an und rufe die Hunde zu mir in den Flur.

Nur wenige Minuten später verlasse ich meine Wohnung und steuere den Park an. Die nachmittägliche Mailuft ist noch warm, so viel zum verregneten englischen Wetter. Ich drehe als erstes eine Runde durch den großen Park, um den Kopf freizubekommen und mich einfach zu bewegen. Ich fokussiere mich auf mich, nehme die Umgebung nicht so richtig wahr. Ich lasse meinen Blick aber immer mal wieder schweifen und er fällt auf Krähen, die über die Wiese hüpfen, auf spielende und lachende Kinder, auf zwei Senioren, die an einem steinernen Tisch Schach spielen und auf ein Pärchen, dass sich auf einer Parkbank küsst. Besonders diese Szene versetzt mir einen Stich und mir wird wieder bewusst, wie sehr ich Henry vermisse. Ich nehme mir deshalb vor, ihm zu schreiben und mich nach seinem heutigen Pressetermin zu erkundigen, sobald ich wieder zu Hause bin. Hinter mir nehme ich plötzlich wieder das etwas schrille Bellen wahr und muss sofort meinen Blutdruck beruhigen. Anubis wirft einen prüfenden Blick über die Schulter. Ich schnalze mit der Zunge und er sieht mich an. Als ich mit dem Kopf schüttle, setzt er seinen Weg unbehelligt fort. Skadi spannt sich hingegen merklich neben mir an. Die Stimmungsübertragung bei uns ist ganz fein eingestellt, zu fein. „Lass es, Skadi", sage ich zu ihr und versuche, weiter meinen Puls unter Kontrolle zu kriegen. Ich muss gerade nicht sonderlich glaubhaft auf sie wirken, aber sie gibt mir einen Vertrauensvorschuss. "Gutes Mädchen!" Mein Finger streicht eines ihrer kupierten Ohren. Das Gekläffe kommt immer näher – ich mutmaße, dass der Dackel die vollen zehn Meter seiner Flexileine nutzt und Herrchen gemütlich hinterhertrottet. Wer vorne läuft, der führt, erinnere ich mich schlagartig an eine Aussage von Clara, die diese beim Leinenführigkeitstraining mit ihren Kunden immer unzählige Male wiederholt, bis es auch der Letzte verstanden hat.

Ich weiche ein paar Schritte aus, um Halter und Hund überholen zu lassen, damit ich das Dauergebelle nicht für die restliche Runde im Rücken haben muss. Anubis nutzt direkt die Gelegenheit, um sich im Gras zu wälzen und ich stelle mich schützend – mit dem Rücken zu ihm – vor ihn. Skadi schiebt sich zwischen meine Beine und setzt sich hin. Sicherheitsstufe zwei. Der Mann kommt unendlich langsam angewatschelt. Sein Hund steht schon vor uns und bellt die ganze Zeit. Ich greife in meiner Hosentasche nach meinem Haustürschlüssel. Tut der Dackel noch mehr Schritte auf uns zu, werfe ich sie ihm vor die Füße. „Eh!", sage ich laut in seine Richtung und mache mich groß. Der Hund hält für einen Moment verdutzt inne, schaut sich nach seinem Halter um, der ihm keine Unterstützung zuteilwerden lässt und fängt wieder zu bellen an, was er dieses Mal mit einem gelegentlichen Knurren flankiert. Anubis wälzt sich hinter mir immer noch und schenkt dem überforderten Tier keine Beachtung. Skadi schaut zu mir hinauf und ich fokussiere den Hund. Der Schlüssel klingelt zwischen meinen Fingern. Endlich kommt auch der Halter auf unserer Höhe an und wirft mir aus seinen schwammig-wässrigen, blassblauen Augen seinen typisch abwertenden Blick zu.

„Hauptsache zwei so große Köter haben, aber sich dann nicht an anderen Hunden vorbeitrauen", spuckt er mir förmlich entgegen. Ich würdige ihn keiner Antwort und kraule Skadis Kinn. Er will gerade einen Satz hinterhersetzen, um mich endlich zu einer Reaktion zu provozieren, als von vorne eine junge Frau mit einem massigen Schäferhund auf ihn zukommt. Der Dackel hat sein nächstes Opfer gefunden und wendet sich dem Schäferhund zu, der so aussieht, als würde er dem Dackel gleich eine mit seiner großen Pfote verpassen. Seine Halterin gibt ihm ein Kommando und er setzt sich neben sie.

„Na, Harold, beglückst du uns wieder mit deiner guten Laune?", fragt sie ihn scharf.

„Auch noch eine zweite von der Sorte...", blubbert der Halter vor sich hin und geht überhaupt nicht auf ihre Frage ein. Er verpasst stattdessen seinem Hund einen unerwarteten Ruck, als er den Knopf betätigt, um die Flexileine aufzurollen. Ich hole tief Luft, am liebsten würde ich ihm die Leine aus der Hand treten. Im nächsten Moment setzt er sich schwerfällig wieder in Bewegung und zieht seinen Hund noch einen Moment hinter sich her, ehe dieser wieder vorrennt und versucht, sich auf eine Ente zu stürzen, die es sich gerade im Gras bequem gemacht hat. Ich sehe, wie der Arm von Harold, wie diese Ausgeburt der Sonne offenbar heißt, nach oben gerissen wird, als sich die Leine spannt. Der kleine dicke Dackel steht durch die Spannung nur noch auf den Hinterpfoten und knurrt die Ente an, die sich verstört schnatternd zurückzieht. „Tierschutzrelevant...", sage ich leise, während ich mit dem Kopf schüttle und mit Skadis Ohr spiele. Anubis taucht derweil neben meinem rechten Bein auf und mustert den Schäferhund interessiert.

„Nehmen Sie es nicht so schwer", sagt seine Halterin. „Harold ist einfach ein unglücklicher Stinkstiefel."

„Danke! Mich hat er echt besonders gern", gebe ich zurück.

Sie schnieft. „Harold gerät ständig mit allen aneinander. Sie sind allerdings sein neuestes Opfer, das stimmt. Ich habe das schon ein paar Mal beobachtet, heute hatte ich ja sogar aus nächster Nähe die Freude."

„Schlimm ist ja nur, dass er mich ständig anpöbelt, aber seinen Hund selbst nicht im Griff hat."

„Ja, wem sagen Sie das..." Ihr Hund schaut zu Anubis hinüber, der neben mir mit den Pfötchen trippelt.

„Sieht so aus, als würden die beiden sich gerne kennenlernen", konstatiere ich.

Sie lacht. „Ja, scheint so. Wir kommen zwar gerade aus der Richtung, aber wir können ja zum Freilauf gehen?"

„Gerne. Ich bin übrigens Ida. Das sind Anubis und Skadi."

„Naraya und Jadoo", stellt sie sich und ihren Hund vor und wir gehen gemeinsam zum Freilauf.

„Tolle Namen!", sage ich zu ihr.

„Danke, mein Vater kommt aus Kolkata. Ihm war wichtig, dass wir traditionelle Namen haben. Du bist keine gebürtige Britin, oder?"

Ich überlege angestrengt, wo Kolkata liegt – Laos? Nepal? Indien, meine ich mich zu erinnern. „Ich komme aus Norddeutschland und arbeite hier in Oxford."

„Du sprichst super Englisch, aber man hört es noch ein bisschen an deinem Akzent", sie grinst und ich schließe mich ihr an.

„Mein Freund sagt, ich habe einen eisigen deutschen Akzent." Henry - mein Freund?! Ausnahmsweise ist das eine Situation, in der ich die nicht vorhandene Differenzierung des deutschen Wortes für Freund vermisse.

„So schlimm ist es nun wirklich nicht", sie lacht wieder.

„Danke, ich strenge mich an." Anubis möchte gerne seine Schritte beschleunigen, um schneller spielen zu können, aber Skadi stupst seine Brust mit ihrer Schnauze an. Ich winke dem Halter von Sammy, dem Beagle, zu, der sich gerade mit einer älteren Dame unterhält, die Sammy ganz begeistert anschaut. Er winkt zurück. Wir leinen die Hunde ab und Anubis und Jadoo begrüßen sich aufgeregt. Skadi hält Abstand und überblickt die Situation prüfend. „Geh schon, Mädchen!", sage ich zu ihr und sie läuft zu Sammy herüber, der schwanzwedelnd auf sie wartet.

„Ah, du sprichst Deutsch mit den Hunden?" Naraya kichert, ihr rot geschminkter Mund offenbart ein schönes Lächelnund kleine, sie umso sympathischer machende Fältchen um die Augen zeichnen sichauf ihrer bronzefarbenen Haut ab. Sie versinkt für einen Moment in ihrenGedanken, während sie die Hunde beim Spielen beobachtet, ich tue es ihr gleich. 

HENRY | .•° Eine Henry Cavill Fanfic °•.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt