062 // 27. Mai - I

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Am nächsten Morgen mache ich mir gar nicht erst die Mühe, direkt nach dem Aufwachen auf mein Handy zu schauen. Ich bin viel zu trotzig und enttäuscht dazu und ärgere mich ziemlich darüber, verspüre aber auch keine große Lust heute an meiner Persönlichkeitsentwicklung zu arbeiten. Zwischendurch darf man sich auch mal in seinen fiesen Seiten gehen lassen. Ich bleibe noch einige Minuten mit halb geschlossenen Augen im Bett liegen und lausche den Vögeln, die vor dem Fenster aus vollem Halse singen. Die Morgensonne sucht sich verstohlen einen Weg unter den Vorhängen hindurch und taucht die Teppichränder in ein warmes rot-braunes Licht. Ich dämmere noch einmal für einige Minuten weg, schlage dann aber die Decke zurück und tapse ins Badezimmer, wo ich – ungeachtet der Tatsache, dass ich das letzte Mal am Abend geduscht habe – in die Dusche trete und mir das warme, fast heiße Wasser sehr lange über den Kopf laufen lasse. Normalerweise kann ich ganz gut damit umgehen, von meinen Liebsten getrennt zu sein, weil ich immer viel zu tun habe. Aber jetzt bin ich vollkommen allein, nicht einmal die Hunde sind zur Ablenkung da und das bedeutet, dass ich mich nur mit mir und meinen Gefühlen beschäftigen kann. Leider komme ich darüber so ins Grübeln, dass ich schließlich dabei lande, meine vergangenen Beziehungen zu analysieren und versuche herauszufinden, was sie alles an mir verändert und geprägt haben. Als ich mich schließlich von den ganzen Erkenntnissen vollkommen erdrückt fühle, versuche ich mich mit den kommenden Aufregungen des heutigen Tages zu beschäftigen. Es muss bei so vielen Gästen und diesem Anlass einfach alles perfekt laufen! Ich gehe noch einmal im Kopf meine Ansprache durch und plane eine Stunde für Telefonate mit Ennio di Zerrato, dem Leiter der Eventplanungsgruppe, ein, der mir gestern sicher noch die grobe Musikauswahl auf das Diensthandy geschickt hat. Wir haben einen DJ gebucht, der relativ freie Hand bei der Gestaltung des musikalischen Rahmenprogramm hat. Allerdings sind uns einige Lieder wichtig, die in Zusammenhang mit der Standortortgründung in Oxford, der Firmengeschichte an sich und den vielen Erinnerungen des letzten Jahres stehen.

Als ich aus der Dusche gestiegen bin, ziehe ich mir den flauschigen Bademantel an, der auf dem Badewannenrand gelegen hat. Ich rucke die Vorhänge zurück und lasse die warme Morgenluft hinein. Ich atme tief durch und genieße den Ausblick auf den sattgrünen Garten. Zwei Gärtner holen gerade Wasserschläuche aus dem Schuppen und rollen sie aus. Im Anschluss beginnen sie emsig damit die vielen Blumen und Ziersträucher zu wässern. In einiger Entfernung kann ich einen jungen Mann ausmachen, der von rechts kommend die Stufen zu der kleinen Plattform hinaufsteigt, von der aus Treppen in alle Himmelsrichtungen abgehen. Er trägt etwas vor sich her, ist aber zu weit weg, als dass ich erkennen könnte, sowohl was er trägt als auch welcher der vier Davies Söhne es ist. Ich kann die Familienzugehörigkeit nur anhand der überaus geraden, selbstbewussten Haltung und des dunklen vollen Haares ausmachen. Nach einigen weiteren Augenblicken wende ich mich ab und will gerade frische Kleidung aus meinem Koffer holen, als es an der Tür klopft. Ich schaue an mir herab und überlege, ob ich um einem Moment Geduld bitten soll, damit ich mich umziehen kann, entscheide mich aber dagegen und öffne stattdessen im Bademantel die Zimmertür.

Eine zierliche Angestellte mittleren Alters steht mit einem Servierwägelchen im Flur und lächelt mich höflich an. „Guten Morgen, Ms. Karlson. Haben Sie gut geschlafen?"

Ich schaue auf ihr Namensschild. „Guten Morgen, Mary. Ja, das habe ich", sage ich und es ist nur eine halbe Lüge, denn bis auf die durchheulte nächtliche Stunde habe ich tatsächlich gut geschlafen. Ich trete ein Stück zur Seite und sie schiebt sofort den Servierwagen herein.

„Möchten Sie auf der Loggia frühstücken?" Ich nicke. Mary deckt den kleinen, dunkelroten Bistrotisch aus Metall ein, dessen Tischplatte mit floralen Mustern verziert ist. „Ich hoffe, wir haben mit der Auswahl Ihren Geschmack getroffen", meint Mary und gießt mit eine große Tasse Kaffee ein.

„Ganz sicher. Vielen Dank dafür."

„Guten Appetit. Lassen Sie einfach alles stehen, wenn Sie nachher das Zimmer verlassen", sagt Mary noch und zieht sich dann auch schon zurück.

HENRY | .•° Eine Henry Cavill Fanfic °•.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt