046 // 11. Mai - II

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"Tagesordnungspunkt zwei", sage ich und betätige den Pfeilknopf auf dem Presenter, den ich in meiner rechten Hand halte. „Asilence." Alle Blicke sind auf mich und die Präsentation in meinem Rücken gerichtet. „Mr. Wagner übernimmt die Projektverantwortung." Ein Kollege klopft Aiden, der hinten links am Konferenztisch sitzt, gratulierend auf die Schulter. Er lächelt und bedankt sich. "Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass das Asilence-Projekt von Mr. Wagner aktuell unsere höchste Priorität genießt. Ich erwarte, dass er jedwede Hilfe erhält, die er zu erfolgreichen Abwicklung benötigt. Wir wollen das Unternehmen langfristig an uns binden und, wenn möglich, eine Produktkette initiieren." Alicia reicht einen Stapel Flyer am Konferenztisch herum. „Weitere Ideen sind jederzeit willkommen. Mr. Wagners Arbeitsgruppe werden die folgenden Kollegen verstärken" - Noah Jones blickt mich erwartungsvoll an. Ich weiß, dass er gerne an einem Projekt dieser Tragweite mitarbeiten möchte, um sein Können zu beweisen. „Emilia Parker, Riley Murphy, Anastasia Andresca und..." - ich lege eine Kunstpause ein, alle Kollegen warten gespannt - „Noah Jones." Er schenkt mir ein freudiges Lächeln und ich nicke ihm kurz zu, was so viel heißt - „Hier ist dein Vertrauensvorschuss, nutze ihn." Noah versteht und bewegt seine Lippen, von denen ich „Danke" ablese.

„Für den Rest von Ihnen gilt weiterhin – Finalisieren Sie bitte Ihre Projektentwürfe und, sofern bereits notwendig, die entsprechenden Strategiepapiere. Zur Erinnerung - Ich brauche die Dokumente, für alles, was im Juli starten soll, bis nächsten Mittwoch auf meinem Tisch." Einige Kollegen schlagen ihre Terminkalender auf und kreisen sich den Mittwoch ein. Riley Murphy und Noah Jones gehören zu denjenigen, die den Termin schon lange vermerkt haben. Punkt für dich, Jones! „Kommen wir zum Tagesordnungspunkt drei." Ich rufe die nächste Folie auf, die eine malerische Fotografie des Gutshauses Emporia zeigt. „Unser Firmenbankett am siebenundzwanzigsten Mai ist nur noch wenige Wochen entfernt und ich habe noch einige Informationen für Sie." Ennio di Zerrato, der Leiter der Arbeitsgruppe, die für die Eventplanung zuständig ist, schaut mich gedrückt an, aber ich werfe ihm einen aufmunternden Blick zu, weil ich weiß, dass er sein Bestes gegeben hat, alle Meinungen unter einen Hut zu bringen. „Ungeklärt sind bislang die folgenden Fragen geblieben" - ich blende die Fragen ein - „Erstens – wir werden im Emporia in Eakley feiern, da wir hier die gesamte Location nur für uns buchen können. Alicia schickt Ihnen im Laufe des Tages die Einladungen per Mail zu. Wir bitten unter Angabe, ob Sie allein oder in Begleitung kommen, um Antwort bis nächsten Freitag. Millie", ich blicke unsere Teamassistentin an, „bitte stehen Sie den Kollegen aus Deutschland bei allen Fragen rund um die Anreise zur Verfügung. Alicia hat Sie als Ansprechpartnerin in der Einladung vermerkt. Nächste Woche...Mittwoch unbedingt einmal an unserem Hauptstandort nachfragen, ob alle die Einladung erhalten haben."

Sie nickt und macht sich eine Notiz. Mrs. Andresca hebt zwei Finger und ich deute mit der Hand kurz auf sie.

„Gibt es eine Lösung wegen der Kinderbetreuung? Leider können weder meine noch Emersons Eltern an dem Wochenende auf die Kinder aufpassen", erkundigt sie sich und streicht sich eine große dunkelbraune Locke hinter das Ohr.

„Danke, dass Sie das ansprechen, Anastasia. Wie Sie alle wissen, besteht ja unter der Woche die Möglichkeit, das Angebot unserer Mitarbeiter-Kita zu nutzen. Ich konnte zwei unserer Pädagoginnen dafür gewinnen am entsprechenden Wochenende das vierundzwanzig Stunden-Konzept, wie wir es am Hauptstandort seit der Firmengründung etabliert haben, umzusetzen. Da wir hier personell jedoch noch nicht so breit aufgestellt sind, wird es vorerst eine einmalige Sache bleiben. Wer Interesse an der Betreuung durch Mrs. Verbrugge hat, ergänzt das bitte bei der Rückantwort." Anastasia Andresca, eine meiner qualifiziertesten Beraterinnen, sieht mehr als erleichtert aus. Ihr Ehemann Emerson ist bei der British Army und häufig nicht zu Hause. Es wäre schade, wenn Sie die Veranstaltung deshalb verpassen würde. Das Firmenbankett soll nicht nur die erfolgreiche Errichtung des Standorts in Oxford feiern, sondern vor allem die ausgezeichnete Arbeit meiner Mitarbeitenden honorieren. „Zweitens", fahre ich mit der Klärung der offenen Fragen fort, „habe ich mich für den Dresscode Cravate Noire entschieden. Ich denke, das kommt den meisten von Ihnen entgegen." Der Großteil der Belegschaft nickt, einige der jüngeren Kollegen verziehen jedoch den Mund.

Als ich den Konferenzraum gerade verlassen will, fängt mich Millie ab. „Ich wollte Ihnen noch sagen, dass Mr. Lind bereits am sechsundzwanzigsten Mai anreisen wird, um unseren Standort zu besichtigen. Er hat mir das vorhin telefonisch mitgeteilt."

Ich atme scharf ein. Auch das noch, denke ich. Ich hatte eigentlich geplant, an dem Freitag schon zum Gutshaus rausfahren, um die restlichen Vorbereitungen im Auge zu behalten. „Wann wird Mr. Lind denn eintreffen?", erkundige ich mich.

„Um 8:30am." – Gut, dann könnte ich mich bestenfalls mittags auf den Weg nach Eakley, das westlich von Northampton liegt, machen. „Mr. Reyer wird auch dabei sein."

Ich stutze kurz. Peer Reyer hatte, als Constantin zum Regionalleiter befördert wurde, seinen Platz als Gebietsleiter Nordost eingenommen. Es ergibt unter Berücksichtigung unserer Organisationsstruktur also eigentlich keinen Sinn, dass unser Geschäftsführer einen der zwei, dem Regionalleiter direkt unterstellten, Gebietsleiter mitbringt. „Warum bringt Mr. Lind den Gebiets- und nicht der Regionalleiter mit?", frage ich deshalb. Mir ist es natürlich willkommen, dass ich Constantin nicht vor Samstag sehen muss.

„Mr. Scheer hat noch andere Verpflichtungen und Mr. Reyer ist doch kommissarisch für die IT-Organisation zuständig. Mr. Reyer soll sich einen Eindruck von der IT-Sicherheit und der Einhaltung des Datenschutzkonzeptes machen. Sie müssten bitte die entsprechenden Ordner zur Verfügung stellen, den Schlüssel zu den vertraulichen Dokumenten haben ja nur Sie." Ich unterdrücke das dringende Bedürfnis, mir die flache Hand an die Stirn zu schlagen. Was ist bloß mit mir los, dass ich mir nichts mehr merke?! „Mr. Scheer reist dann direkt am Samstag an. Die anderen Kollegen kommen alle schon am Freitagmittag."

„Am Freitag? Wo werden sie untergebracht? Das Emporia ist nur von Samstag auf Sonntag gebucht."

„Tut mir leid, ich hatte vergessen, Ihnen das zu erzählen", Millie schaut mich verlegen an. „Mr. Lind hat die Unterbringung in Oxford organisiert, während Sie im Urlaub waren. Unser Budget wurde davon ja nicht berührt, deshalb wurde das direkt vom Hauptsitz aus geregelt."

„Ok, danke Millie. Muss ich sonst noch etwas in Bezug auf den Besuch von Mr. Lind wissen?"

„Nein, nicht wirklich. Ich kümmere mich darum, dass alles vorbereitet ist", sie schaut in ihren Terminkalender. „Ms. Stone ist die nächsten zwei Wochen im Urlaub. Sie wird erst zum Firmenbankett anreisen."

Jetzt bin ich kurz davor, meinen Kopf gegen den Türrahmen des Konferenzraumes zu schlagen, weil ich das total verdrängt habe. Meine Organisationsfähigkeit ließ in den letzten Tagen einfach zu wünschen übrig. So verpeilt bin ich seit meiner allerersten Woche im Unternehmen nicht mehr gewesen. Das muss daran liegen, dass ich untervögelt bin. Ich muss ein zynisches Grinsen unterdrücken. „Können Sie bitte meinen restlichen Nachmittag blocken? Ich muss dann noch eine Übergabe mit Alicia machen."


HENRY | .•° Eine Henry Cavill Fanfic °•.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt