019 / 14. April - IV

48 6 6
                                    

Ich werde wach, als Henry mir seine von der Sonne erhitzte Hand auf den Bauch legt und mit einem Finger über meinen Bauchnabel streicht. Ich brauche einen Moment. Von der Hitze ist mir etwas schwindelig.

„Trink mal einen Schluck", sagt er fürsorglich und reicht mir ein volles Glas Wasser. Ich ergreife es und stürze seinen Inhalt in einem Zug herunter.

„Schon besser."

„Sehr gut, du warst echt ziemlich tief weg", sagt er in ein sich bildendes Grinsen hinein.

Ich schmunzle etwas schief. „Kannst du mir mal mein Handy aus der Tasche geben?", bitte ich ihn. Er wühlt kurz darin herum und reicht es mir. Ich aktiviere das Display. Einige Nachrichten meiner Freundinnen und Eltern sind eingegangen. Mein Vater hat ein Foto von sich, meiner Mutter und meinen Großeltern geschickt, die zusammen auf der großen, alten Couch meiner Großeltern sitzen.

„Wir grüßen dich! Oma und Opa schicken dir im Geiste ein Stück von Omas berüchtigter Buttercremetorte."
Oh, die Schoko-Buttercreme... Zum Hineinlegen!

Ich tippe eine schnelle Antwort. Marleen hat ein Meme von Harry Potter in unseren Gruppenchat gepostet, über das sich Clara herzlich amüsiert. Ich schicke mehrere, auf der Seite liegende Lachsmileys. Als Letztes öffne ich die zwei Nachrichten, die mir Elias geschickt hat und halte die Luft an.

„Hallo Ida, Nubby hat sich mit einer Glasscherbe im Park die Pfoten aufgeschnitten. Sie lag im Gras und ich habe sie leider nicht rechtzeitig gesehen. Beim Tierarzt war er ganz lieb, er bekommt Schmerzmittel und muss einen Verband tragen, der täglich gewechselt wird. Skadi und ich kümmern uns liebevoll um ihn. Mach dir keine Sorgen!"

Ich klicke auf das Foto. Anubis liegt auf dem dicken Schafsfell, das Henry den Hunden in Irland gekauft hatte und schaut mit seinen braunen Kulleraugen in die Kamera. An der rechten Vorderpfoten prangt ein dicker, bauschiger Verband. Skadi liegt neben ihm, den Kopf auf seinem linken Vorderbein und schnüffelt an dem Verband.

„Ach, Nubby...", sage ich halblaut und blinzle eine Träne weg.

„Was ist los?", schaltet sich Henry sofort ein. Ich zeige ihm die Textnachricht, er klickt auf das Bild. „Och nein, der arme Kerl. Es wird ihm gar nicht gefallen, dass er jetzt einige Wochen nicht toben kann. Baggins auch nicht, der wird Skadi stattdessen behelligen...", meint er und legt mir eine Hand aufs Knie. Ich schlucke und spüre, wie mein Herz mir richtig wehtut. Ich schaue mir noch einmal das Bild an und sehe die Narben, die sich über Anubis' Schnauze ziehen. Man hatte ihn einer gewaltvollen Erziehungsmaßnahme unterziehen wollen, als er auf den Teppich gemacht hatte und ihm mit einem Gürtel auf die Schnauze geschlagen. Ich hatte ihn mit gerade siebzehn Wochen aus dem Tierschutz bekommen und zu Beginn viel Zeit und Geduld investieren müssen, um dem traumatisierten Welpen einen tiergerechten Weg in den Alltag zu ebnen. Er ließ sich zum Anfang nicht von mir anfassen, kauerte sich in Ecken oder unter den Wohnzimmertisch, machte aus Angst, ich würde ihn auch schlagen, unter sich. Mittlerweile ist er zu einem glücklichen Hund herangewachsen, der gerne gekuschelt wird und sich liebend gerne die Narben massieren lässt, wenn man mit ihm auf der Couch liegt. Anderen Menschen gegenüber war er lange skeptisch, jetzt glänzt er hingegen beinahe mit Distanzlosigkeit, so gerne wird er von jedermann gestreichelt. Manchmal muss ich sogar eingreifen, weil er allen auf den Schoß kriechen möchte. Ich bin zugleich dankbar, dass Anubis Skadi an seiner Seite hat, die ein besonders enges Verhältnis zu ihm aufgebaut hat. Man hatte Skadi, einem falschen Schönheitsideal folgend, mit kupiertem Schwanz und kupierten Ohren aus dem Ausland geholt. Als der eindrucksvolle Hund größer und für die unerfahrenen Halter wegen des rassetypischen Schutztriebes langsam unkontrollierbar wurde, hatte man sie mit eineinhalb Jahren anonym vor dem Tierheim abgesetzt. Ich entdeckte sie im Zwinger, als ich Futter, das Anubis nicht vertragen hatte, dort vorbeigebrachte. Einige Zeit später und nach einem ausführlichen Kennenlernen der beiden Hunde, hatte ich auch sie zu mir genommen.
Ich muss schon wieder die Tränen unterdrücken und tippe schnell eine Antwort an Elias.

HENRY | .•° Eine Henry Cavill Fanfic °•.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt