077 // 19. Juni - I

22 4 4
                                    

Ich stecke den Metallstab von fünfundzwanzig auf dreißig Kilo um und starte mit dem nächsten Set am Latzug. Über meine Kopfhörer dringt ein bassiger Deep House-Mix von Say my Name an meine Ohren und ich zähle stumm die übrigen Wiederholungen herunter. Direkt nach der Gassirunde bin ich ins Fitnessstudio hinübergelaufen und powere mich hier nun seit gut fünfundvierzig Minuten aus. Der Arbeitstag hatte mich in einem Haufen Aufgaben erstickt, weshalb ich erst in meiner Mittagspause die Zeit gefunden hatte, auf Henrys Nachricht zu antworten. 

„Und, kommst du?"

„Ich weiß noch nicht. Ich muss schauen, ob ich Urlaub bekomme. Die Woche war bislang das pure Chaos..."

Seitdem ist keine Antwort eingegangen... und für den Sport habe ich den Flugmodus eingeschaltet, um nicht abgelenkt zu werden...und um nicht wieder enttäuscht darüber zu sein, dass er sich immer noch nicht gemeldet hat. Als ich mich von dem Sitz der Latzugmaschine erhebe, klatsche ich mich mit der Sportlerin ab, die beim Bankdrücken immer mehr Gewicht auf der Stange hat, als ich wiege. Sie zeigt mir einen Daumen nach oben und ich zwinkere ihr zu. Ihr Partner wartet schon am Squat Rack auf sie. Ich schaue ihr hinterher und bin sicher, dass sie mit ihrer Gesäßmuskulatur den Kronkorken einer Bierflasche abhebeln kann. Ich beobachte sie einen Moment dabei, wie sie die Hantelstange für die Squats befüllt und schüttle ungläubig mit dem Kopf, bevor ich einen großen Schluck aus meiner Wasserflasche nehme. Danach setze ich mich auf die längliche Bank der Ruderzugmaschine und führe die letzten drei Sets für das heutige Training aus.

Ich wische mir den Schweiß ab, packe meine Tasche und laufe in den Sportsachen nach Hause, weil es noch so mild ist. Nachdem ich meine Schuhe im Flur ausgezogen und sie zum Auslüften auf meine Terrasse gestellt habe, deaktiviere ich den Flugmodus und warte einen Moment. Nichts von Henry. Nur Nachrichten von Babette, die mir Bilder aus dem Urlaub schickt, meinem Papa, der mir stolz sein neuestes Silberschmuckstück präsentiert und...von Constantin?!

„Ich hoffe, du bist jetzt glücklich darüber, dass Vanessa wegen deiner Lügen schlecht dasteht! Ich sage dir: Karma, Ida, Karma..."

Ist diesem Kerl noch zu helfen? Wie kann man so realitätsfern sein! Ich blocke ihn kommentarlos überall und überlege, ob ich seinen Eltern einen Screenshot von seiner gestörten Nachricht schicken soll...entscheide mich dann aber dagegen, obwohl sein Vater ihm wohl ordentlich den Kopf waschen würde. Egal, das ist es nicht wert...
Als ich mich schließlich nach einer ausgiebigen Dusche erschöpft in die Kissen meiner Couch sinken lasse, klingelt mein Handy nur einen Augenblick später. Henry. Ich hebe mit zittrigen Fingern ab und nachdem wir uns begrüßt haben, kommt er sofort zur Sache.

„Ich glaube, wir sollten in Ruhe reden, wenn ich wieder zurück bin."

„Ja, du hast recht..."

Er holt tief Luft. „Ich hasse es, dass ich dir das über das Telefon sagen muss, meine kleine Brùnaidh...aber es ist besser, wenn wir jetzt damit aufhören uns gegenseitig zu verletzen und erstmal etwas Abstand gewinnen...um uns zu sammeln, uns bewusst...ich kann das so nicht mehr. Ich..." Es fühlt sich an, als wäre seine Traurigkeit ein gegenständliches Ding, das in der Luft hängt. Ich kann es beinahe greifen...und trotzdem klingt er so unfassbar liebevoll.

„Es ist alles gut, Liebling. Ich verstehe das..."

Wir nuscheln noch eine kurze, aber umso schmerzhaftere Verabschiedung und ich spüre die heißen Tränen auf meinen Wangen. Ich lasse sie zu, aber nicht lange. Ich kann so nicht mehr weitermachen, ich kann der Vergangenheit nicht mehr nachhängen... und deshalb habe ich  längst beschlossen, dass ich ihn zurückgewinnen, ihm zeigen werde, was er für mich ist, dass ich keinen anderen will und dass ich...ihn liebe.

„Ich bin schwach..."

HENRY | .•° Eine Henry Cavill Fanfic °•.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt