Henry hält mir die Autotür auf und ich setze mich auf den Vordersitz. Er hatte eben eindringlich darauf bestanden, selbst zu fahren - Lucas war sowieso noch nicht wieder aus Leicester zurück. Stattdessen hatten wir feuchtfröhliche Bilder von ihm und Elias erhalten. Ich weiß schon, dass zumindest Lucas sich dafür vor Henry extrem schämen wird und kann ein amüsiertes Lächeln nicht unterdrücken, als Henry die Autotür schwungvoll zuwirft. Die Hunde teilt er auf drei Autoboxen auf, die sich im Kofferraum und auf der Rückbank des geräumigen SUVs befinden. Nach dem Frühstück hatte er – es kam mir beinahe so vor, als wären ihm lauter kleine Alben in den Kopf gekrabbelt und hätten ihn richtig durchgeschüttelt – in großem Übermut verkündet, dass er in den Hundepark nach Oxford fahren wolle. Ich hatte keine Zweifel angemeldet, um den Streit nicht wieder aufzuwärmen und natürlich kann ich auch nicht jede seiner Entscheidungen mit meinem eigenen Egoismus torpedieren. Henry setzt sich gerade ebenfalls ins Auto und streichelt mein Knie. Auf seiner Nase sitzt eine Sonnenbrille mit sehr dunklen Gläsern und der Schirm des Caps auf seinem Kopf zeigt nach hinten. Er trägt eine hellblaue Chinohose, ein weißes, sehr eng anliegendes Shirt, das seine Muskulatur großzügig betont und darüber ein Hemd aus dunklem Jeansstoff. Ich klappe die Sonnenblende des Autos herunter, als warme Sonnenstrahlen sich auf meine Netzhaut brennen wollen. Von dem Gewitter am gestrigen Abend ist überhaupt nichts mehr zu sehen. Englisches Wetter ist Aprilwetter, denke ich, griene und gebe den Satz wieder, als Henry mich auf das breite Grinsen anspricht. Er schnieft belustigt und nickt wissend. Wir fahren los und Henry ist auf der sich endlos dahinschlängelnden, verwaisten Landstraße deutlich zackiger unterwegs als Lucas. Ich halte mich an dem kleinen Griff fest, der an der Autotür angebracht ist. „Huh, das ist nicht meins!", sage ich, als er – zumindest für meinen Geschmack – schnell in eine Kurve fährt. Henry hatte ja schon auf Nirans Motorboot einige Manöver hingelegt, die meinen Magen angehoben haben.
„Dann lass uns besser nie mit dem Porsche fahren", konstatiert er, während er etwas vom Gas geht.
„Na, das Problem sind doch wohl Autos mit Automatikgetriebe, wie du sehr anschaulich unter Beweis stellst. Da kriegt man durch das fehlende Schalten doch gar nicht mit, wie schnell man Tempo raufkriegt."
Henry lässt seine Zähne zwischen den Lippen hervorblitzen, während er wieder beschleunigt. „Ich kriege das sehr wohl mit, aber es macht einfach Spaß."
Mein Herz drückt mir von Innen gegen das Trommelfell und versucht sich von da aus einen Weg auf meine Schultern zu bahnen, als Henry die nächste Kurve nimmt. „Mir wird gleich schlecht...", sage ich und atme tief ein.
Henry nimmt daraufhin den Fuß vom Gas. „Ochje, verzeih. Ist es echt so schlimm?"
„Ja...mir macht das wirklich Angst." Henry bremst ab, bis er ein Tempo erreicht hat, das den Straßenverhältnissen angemessen ist. „Danke...", stoße ich hervor und er ergreift eine Sekunde später meine Hand, die schweißnass ist.
„Och, Liebes, du bist ja total durch den Wind, tut mir leid." Henry wirft mir einen Blick zu.
„Schau bitte, bitte auf die Straße. Nicht, dass du noch ein Reh mitnimmst." Sein Daumen massiert ruhig meinen Handrücken und ich beruhige mich so schnell, wie eine Schildkröte hundert Meter zurücklegt – kaum!
Als wir endlich vor dem Park halten, pocht mein Herz immer noch. „Möchtest du nachher lieber zurückfahren?", will er wissen.
„Nee, dieses Monstrum fahre ich nicht." Ich werfe dem SUV einen Blick zu, der Pest, Cholera und Thyphus über ihn bringen könnte, wenn ich zur Zauberei fähig wäre. „Ich muss nachher noch kurz meinen Laptop von zu Hause holen, sonst kann ich bei dir nicht arbeiten." Ich hatte am Freitagabend noch eine Mail mit der Information an Millie geschrieben, dass ich Montag und Dienstag mobil arbeiten werde, aber regulär telefonisch erreichbar bin. Zuerst wollte ich heute wieder nach Hause fahren und morgen ganz normal in die Arbeitswoche starten, aber weil Henry am Mittwoch nach Rumänien fliegt, hatte ich recht spontan entschieden, die Zeit mit ihm bis zu letzten Minute zu nutzen. Als Lucas mich gestern abgeholt hatte, hatte ich in dem Stress allerdings meinen Dienstlaptop zu Hause vergessen.
Wir holen die Hunde aus ihren Boxen und Anubis schüttelt sich erst einmal ausgiebig. Ihm hat die Fahrt wohl genauso wenig gefallen wie mir. Baggins kommt zu mir gelaufen, noch ehe Henry ihn anleinen kann und ich hocke mich hin, um sein silbergraues Köpfchen zu streicheln. Henry tritt neben uns und befestigt die Leine an seinem Halsband, was er mit einem Schnauben quittiert. Wir gehen durch das hohe Tor des Parks hindurch und der pausbackige Engel blickt allwissend aus runden Augen auf uns hinab. Wir drehen eine große Runde, setzen uns zwischendurch auf eine der hübschen Metallbänke und beobachten gemeinsam mit den Hunden die Menschen, die an uns vorbeikommen, die Eichhörnchen, die sich gegenseitig die Baumstämme hinauf- und hinunterjagen – Skadi würde sich ganz offensichtlich gerne eines kaschen, denn sie analysiert jede Bewegung ganz genau -, die Vögel, die auf der Suche nach Würmern über den Boden hüpfen und die alten Herren, die wieder an dem Schachtisch aus Stein sitzen und hochkonzentriert spielen. Nach ungefähr einer halben Stunde gehen wir weiter und kommen schließlich beim Hundefreilauf an. Sammy, sein Halter und die ältere Frau, die so angetan von dem Beagle ist, dass sie jetzt scheinbar regelmäßig eine Runde mit ihnen dreht, schlendern gerade ebenfalls in die Richtung. Ich hebe die Hand und der junge Mann winkt mir ebenfalls, als sein Blick schließlich auf mich fällt. Weil im vorderen Bereich der Freilauffläche schon sehr viel los ist, folgen wir dem Weg noch ein ganzes Stück. Als wir die Hunde gerade ableinen wollen, höre ich wieder das schrille Dackelgebell, dass sich sehr schnell nähert. Mir stellen sich die Nackenhaare auf und ich halte in der Bewegung inne. „Alles gut?", erkundigt sich Henry und legt mir eine Hand auf den Rücken.
„Das ist der bekloppte Kerl mit dem Dackel, von dem ich dir erzählt habe."
Henry schaut sich aufmerksam um und sein Blick bleibt schließlich an dem Hund-Mensch-Gespann hängen. Er gluckst amüsiert, als er Hund und Halter, die gleichermaßen unförmig daherkommen, schließlich in Augenschein nimmt. „Der?"
Ich nicke und löse die Leinen von den Halsbändern meiner Hunde. Harold fängt plötzlich an lauthals zu pöbeln, als er noch etwa zehn Meter von uns entfernt ist. „Das wird ja immer schöner! Selbst zwei gefährliche Köter haben, dann noch so einen überzüchteten Dreck und einen riesigen Akita anschleppen!"
Henry lässt seine Hand am Karabiner ruhen, der gerade die Leine von Kals Halsband lösen will und richtet sich auf. Sein Kiefer spannt sich an. Die Luft strömt rasend schnell durch meine Nase und als ich gepresst ausatme, klingt es beinahe so, als würde ich fauchen. „So, heute bist du fällig, Alter", zische ich halblaut und lege Henry eine Hand auf die Brust, der mir gerade die Leinen seiner Hunde in die Hand drücken will, um selbst zu Harold zu gehen. „Lass mal. Den nehme ich mir selbst vor." Ich gebe Skadi und Anubis ein Kommando, bedeute ihnen damit, dass sie bei Henry bleiben sollen, der sich breitbeinig und –schultrig mit den Hunden auf dem Gehweg aufbaut und die Situation kritisch beobachtet. Mein Herz pumpt wütend das Blut in meinen Körper, ich mache mich kerzengerade und stapfe mit langen Schritten auf Harold zu. Ich trete bis auf zwei Schritte an ihn heran und unterschreite ungefragt seine Individualdistanz. Er überragt mich und muss nach unten schauen, wobei sein Gesicht sich auf sein schwammiges Doppelkinn stützt. Der Dackel flippt komplett aus und macht Anstalten, mich ins Bein zu beißen, das bis zu den Waden in einem Stiefel steckt, der für das Wetter viel zu warm ist. Ehe ich mir Harold vornehme, der noch gar nicht fassen kann, mit welcher Unverfrorenheit ich vor ihn getreten bin, wende ich mich dem Hund zu, der knurrt und bellt und fiept. „Scht!", presse ich zwischen den Zähnen hervor. Er schaut mich komplett verdattert an, beginnt eine Sekunde später aber wieder mit einem versuchten Angriff auf mich. Ich mache mich noch größer, sage laut „Eh!" und klatsche kräftig in die Hände, während ich einen bestimmten Schritt auf ihn zumache. „Lass den Scheiß!", setze ich hinterher und der Dackel hält angesichts der ungewohnten Korrektur endlich seine Hundeschnauze.
„Was fällt Ihnen ein?", fragt Harold verdattert.
„Sie kriegen Ihr Tier ja nicht in den Griff!", antworte ich, als ich den Blick von dem Dackel abwende, der sich ad-hoc dazu entschieden hat, auf seinem dicken Hintern Platz zu nehmen und einen Blick in meine Richtung zu vermeiden.
„Sie haben doch diese gefährlichen Köter. Da kriegt jeder andere Hund Angst und muss sich wehren."
„Kein Hund muss sich wehren, dafür sind Sie zuständig."
Er überlegt einen Moment und ist offensichtlich ganz vor den Kopf gestoßen. „Sie können doch von Glück reden, dass Ihre Biester hier noch keinen verletzt haben! Die hören doch sowieso nicht mehr, wenn was passiert."
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HENRY | .•° Eine Henry Cavill Fanfic °•.
Fiksi PenggemarIda Karlson ist beruflich in Oxford. Der Auftrag soll innerhalb weniger Wochen abgewickelt sein. Doch es kommt anders - ihr Aufenthalt wird verlängert und alles verändert sich, als sie eine kleine Notiz zugesteckt bekommt. Sie verliert sich in eine...