072 // 01. Juni - I

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„Ms. Karlson, können Sie bitte nach vorne kommen? Hier ist eine Dame, die Sie sprechen möchte."

„Bin gleich da, Millie", antworte ich und stecke das Bürotelefon etwas zu schwungvoll in die Station. Ich sperre meinen Bildschirm, schlüpfe in meine Slingpumps und streiche anschließend den Rock meines schwarz-weißen Etuikleides glatt. Im Vorbeigehen werfe ich noch einen Blick in den kleinen Spiegel, der immer in der obersten Schublade meines Schreibtisches liegt. Als ich meine Bürotür hinter mir abschließe, höre ich schon, dass Millies Stimme ungewöhnlicherweise erhoben ist.

„...kann Sie nicht einfach durchlassen, tut mir leid!" Es wird etwas erwidert, dass ich nicht verstehe und Emilia Parker kommt dazu, um Millie zu unterstützen, indem sie den Zugang zum Flur versperrt, der zu den Büros führt. Sie verschränkt sogar demonstrativ die Arme vor der Brust. „Ach, da sind Sie ja", sagt Millie erleichtert, als ich am Tresen ankomme und die überaus aufwendig hergerichtete, dunkelhaarige Frau ansehe. Ihre lockigen Haare sind halb aufgesteckt, sie trägt einen ausdrucksstarken dunkelroten Lippenstift und ihre eisblauen Augen sind neugierig auf mich gerichtet. Ich streiche Emilia über den Oberarm und bedeute ihr mit einer kleinen Geste des Zeigefingers, dass sie in ihr Büro zurückkehren soll. Sie nickt, wirft im Weggehen der wartenden Frau aber einen kalten Blick zu. Ich bringe mich abwartend in Position, indem ich mich gerade aufrichte und eine Hand in die Hüfte stemme.

Bevor Millie noch etwas hinzufügen kann, beginnt die Unbekannte auch schon zu sprechen. „Sie sind Ms. Karlson?", erkundigt sie sich und streicht sich dabei eine Locke hinter das Ohr, was mir wohl den Eindruck vermitteln soll, dass von ihr keine Gefahr ausgeht. Mir entgeht trotzdem nicht, dass mich ihre Augen aufmerksam taxieren. Meinem Blickkontakt hält sie weiter stand.

Ich deute ein minimales Nicken an. „Mit wem habe ich das Vergnügen?"

„Charleen Harrison. Ich schreibe für den Star." Mir fällt erst jetzt auf, dass sie ein kleines Diktiergerät in der Hand hält, das fast wie ein USB-Stick aussieht. Sie dreht es zwischen Daumen und Zeigefinger und schiebt es immer wieder mit dem Mittelfinger in die nächste Runde.

„Haben wir einen Termin?" Ich verlagere das Gewicht, nehme jetzt die Hand von der Hüfte und führe sie mit der anderen hinter dem Rücken zusammen.

„Nein, aber ich wollte fragen, ob ich Sie interviewen darf."

Ich meine für einen Moment, dass ich Millies Herz klopfen hören kann und werfe ihr einen beruhigenden Blick zu, indem ich meine Gesichtszüge ganz weich werden lasse. Als ich wieder zu Charleen blicke, nehme ich meinen ursprünglichen Ausdruck wieder an, meine Augen sind leicht verengt. „Tut mir leid" - ich werfe einen schnellen Blick auf ihre Ringfinger – „Ms. Harrison, aber, wenn wir keinen Termin haben, kann ich Ihnen nicht weiterhelfen."

Jetzt bröckelt die selbstbewusste Fassade angesichts der kalten Abfuhr doch etwas, ihre Augen huschen für zwei Wimpernschläge nervös hin und her. „Kann ich Sie an einem anderen Tag für ein Gespräch gewinnen?"

„Aktuell nicht, nein." Meine Kopfbewegung bestärkt die Aussage noch. „Sie finden selbst hinaus?" Einen Moment lang verlagert Charleen Harrison ihr Gewicht von einem auf den anderen Fuß. Ich kann förmlich sehen, wie sich kleine Zahnräder in ihrem Kopf bewegen, um einen Einwand zu formulieren. Ich trete deshalb einen Schritt auf sie zu und mache eine kurze, gerade Handbewegung in Richtung Aufzug. Millie klopft in einem schnellen Rhythmus mit einem Stift auf die Tischkante – tack, tack, tack, tack. Schließlich gibt sich die Journalistin geschlagen und macht auf den Absatz ihrer pinken Daisy Duck-Schuhe kehrt. Ich verharre in meiner aufrechten, abweisenden Haltung, bis sich die Aufzugtüren hinter ihr schließen und gönne mir dann einen kleinen Moment der Schwäche, in dem ich meine Unterarme auf Millies Empfangstresen lege und eines meiner Beine ziemlich gerade ausgestreckt hinter mir abstelle. Mein Kopf sinkt zwischen meine Oberarme und ich schließe kurz die Augen. Ich höre nur Millies gleichmäßiges, abwartendes Atmen. Als ich mich wieder aufrichte und sie anschaue, obwohl mein Puls mir in den Ohren pocht, blickt sie mich mit einem überaus fürsorglichen Blick an. Ich lese in ihren weichen Gesichtszügen, die kleine Fältchen nicht zu verbergen versuchen, und in ihren Augen, dass sie weiß, warum mich Ms. Harrison aufgesucht hat. „Können Sie bitte kurzfristig alle für ein Teammeeting zusammenholen?" Der Zeigefinger meiner rechten Hand wischt über eine meiner Augenbrauen.

„Natürlich. Mr. Wagner und Mrs. Andresca sind aber noch bis nachmittags beim Kunden."

„Ich weiß, danke. Bitte in fünfzehn Minuten im Konferenzraum."

Ich nutze die Zeit, um mich mit immer noch klopfendem Herzen im Waschraum einzuschließen. Das Wasser fühlt sich eiskalt auf meinen Handgelenken an und durch die zarte Haut meines Unterarmes schimmert es violett. Kurz und schmerzlos, bläue ich mir ein.

...

„Guten Morgen zusammen. Danke, dass Sie so spontan Ihre Arbeit unterbrochen haben." Mein Blick schweift durch die Runde und verweilt bei Riley Murphy, der mich gutmütig mit seinen grauen Augen anschaut. „Wie einige von Ihnen bestimmt mitbekommen haben, war gerade eine Journalistin des Star hier und hat mich um ein Interview gebeten." Mein Hirn registriert das Nicken einiger Kollegen, einige andere schauen betreten auf ihre Schuhspitzen oder wischen sich nicht vorhandene Staubkörner von ihren Oberteilen. „Ich gehe ebenfalls davon aus, dass mittlerweile alle von Ihnen wissen, dass mein Name vor wenigen Tagen öffentlich im Zusammenhang mit einer..." – meine Nasenflügel blähen sich, als ich so lange einatme, bis ich sicher bin, dass ich nicht die Contenance bei meinen Formulierungen verliere – „Enthüllungskampagne genannt wurde. Ich kann mir auch vorstellen, dass Sie bestimmt neugierig sind..." Jemand räuspert sich, Noah Jones lässt sein feines Profil sehen, als er aus dem Fenster schaut. Millie spielt mit ihrer Perlenkette und schaut vielsagend auf den Boden vor ihr. „Mir ist Transparenz wichtig, aber ich möchte dennoch, dass Ihnen allen klar ist, dass es sich dabei um mein Privatleben handelt und dass ich das Thema nicht vertiefen werde. Ich denke, solange es unsere Zusammenarbeit nicht beeinträchtigt, ist das in unserem gemeinsamen Interesse." Die Betonung erfüllt ihren Zweck und einige Kollegen murmeln ein halblautes Ja vor sich hin.

„Werden Sie denn mit der Presse reden?", meldet sich Emilia Parker mit schlecht verhohlener Neugier zu Wort. Ihre Augenbrauen schnellen nach oben und ihre Augen werden rund.

Noah Jones kommt mir zuvor, obwohl ich sogar schon die Lippen geöffnet habe. „Blöde Frage. Du würdest es den Schreiberlingen doch auch nicht auf die Nase binden, wenn du einen neuen Freund hast – oder habe ich dich bislang falsch eingeschätzt?" Noah fokussiert sie und zwischen seinen Augenbrauen bildet sich eine steile Falte. Emilia zieht zur Antwort nur die Lippen kraus und betrachtet interessiert unser Pinboard.

„Mr. Jones", das genügt schon und er nimmt wieder eine entspannte Haltung auf seinem Konferenzstuhl an. Die Beine streckt er lässig von sich. „Und, wo ich Sie schon alle zusammen habe – möchte jemand noch etwas Anderes besprechen?"

Mr. Murphy hebt zwei Finger. „Mr. Göhrmann hat mich angerufen. Das morgige Wartungsfenster für den VPN-Server muss leider auf 10:00am vorverlegt werden. Wir haben dann keinen Zugriff auf unsere Datenbanken."

Ich werfe einen Blick nach draußen und beobachte einen schwarzen Vogel dabei, wie er einen riskanten Sturzflug absolviert. „Gut, dann arbeiten morgen bitte alle bis 10:00am von zuhause. Ist jemand auswärts unterwegs?"

„Nur Mr. Wagner, weil er bei Asilence zu tun hat. Er gibt eine Schulung."

„Millie, können Sie ihn nachher darüber informieren, dass er nach der Schulung Feierabend machen kann?"

Millies Perlenkette klappert. „Natürlich." Ich klatsche zum Abschluss in die Hände und lächle meine Kollegen an. „Und nun, zurück an die Arbeit!"

HENRY | .•° Eine Henry Cavill Fanfic °•.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt