003 // 11. November - III

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- Interludium -

August

Unten angekommen ging ich sofort zu der gegenüberliegenden Wand, über der die Aufschrift Fantasy prangte. Ich hatte spontan den Entschluss gefasst, eine meiner liebsten Buchreihen nun auf Englisch zu lesen. Mein Blick blieb an fast jedem Buch in dem großen Büchererker hängen, ich zog deshalb einige hinaus, bestaunte aufwendige Cover und Farbschnitte, las ein paar Klappentexte und legte den ersten Teil eines Sammelbands mit britischen Fabeln und Sagen, der innen illustriert war, in mein Körbchen. Nachdem ich weitere Bücher herausgezogen und gewendet hatte, fand ich schließlich den ersten Teil der Vorgeschichte zu Der Hexer im Regal. Es schmerzte mich fast, das Buch aus der Regalreihe zu entfernen und ein klaffend schwarzes Loch zu hinterlassen. Als ich das Buch in den Korb legte, bemerkte ich, das halb abgewandt neben mir ein groß gewachsener Mann stand. Er stöberte, zog mehrere Bücher aus dem Regal. Ich warf einen Blick auf die Titel, die er sich ansah. Vertieft in ein Gamebook zu D.I. schauend, trat der Dunkelhaarige einen Schritt auf mich zu und rempelte mich versehentlich an.
"Upps!"
Er blickte schnell auf, sah verlegen aus. Ich sah nur seine unfassbar blauen Augen. Der Mann entschuldigte sich mit einem hinreißenden britischen Akzent. Ich scannte ungläubig sein Gesicht - war nur zu einem stummen Nicken fähig. Das konnte jetzt ja wohl nicht wahr sein? Er bemerkte, dass ich ihn einen Augenblick zu lange anschaute  und senkte selbst den Blick. Unbeholfen griff ich in den Korb, versuchte dabei ein anderes Buch über die Ausgabe von Der letzte Wunsch zu schieben. Ich lächelte nur etwas dümmlich und murmelte, dass es kein Problem sei. Jetzt nicht die Nerven verlieren. Sei professionell und tu so, als würdest du mit einem kapitalgeschwängerten Kunden reden!
,,Sie mögen D.I.?", fragte ich möglichst gelassen, während ich mit einer Hand weiter die Bücher im Korb hin und her schob.
,,Schon immer! Erst die Graphic Novels, jetzt das Spiel. Sie auch?" Ich nickte bloß und suchte krampfhaft nach einer souveränen Erwiderung. „Das ist ein tolles Buch!", kam er mir zuvor und deutete mit einer Kinnbewegung auf die Vorgeschichte des Hexers, die man immer noch in meinem Bastkörbchen sehen konnte.
Ich wog schon wieder viel zu lange eine Antwort ab. Dabei fiel mir auf, dass er nun freundlich lächelte und sich mit der rechten Hand die Haare nach hinten strich.
„Ja, ich bin ein großer Fantasy-Fan und mag die Reihe sehr gerne. Ich will jetzt der englischen Übersetzung eine Chance geben", hatte ich schließlich erwidert und die Lippen gekräuselt.
„Es wird Ihnen ganz sicher gefallen, denn..."
Plötzlich begann es in meiner Handtasche zu klingeln und ich hatte entschuldigend einen Finger gehoben, während ich nach meinem Diensthandy kramte. So viel dazu, dass ich mich schon besser distanzieren konnte... „Karlson?", fragte ich, lächelte noch einmal und drehte dem anderen Hexer-Fan leicht den Rücken zu. Da hatte man einmal im Leben die Chance ... und stattdessen gab ich wieder meinen Pflichten nach. Ich hatte angespannt gelauscht, was mir meine Oxforder Kollegin Anastasia Andresca erzählt hatte und ihr einige Anweisungen gegeben. Als ich das Telefonat beendet und mich schließlich wieder umgedreht hatte, war er schon zum nächsten Bücherregal verschwunden. Natürlich, jemanden wie ihn ließ man nicht einfach stehen. Ich hatte mich ohrfeigen mögen, stand kurz planlos herum und war dann langsam zur Kasse geschlendert. Lily erwartete mich schon lächelnd und warf einen Blick auf mein volles Einkaufskörbchen. Niemand sonst schien der Fakt, dass dieser Mann in diesem kleinen Buchladen las und einkaufte aus der Ruhe zu bringen. Scheinbar war ich etwas blass um die Nase geworden, denn sie blickte über meine Schulter, sah den Schauspieler und schaute mich daraufhin verschmitzt an. War ich wirklich die Einzige, die von seiner Präsenz beeindruckt und verunsichert war?

„Henry kommt oft her", sagte Lily halblaut, was ich mit großen Augen quittierte. HENRY?! Sie lachte leise und rechnete die Summe meines Einkaufs zusammen. Schließlich packte sie die Bücher, das Notizbuch und das Brillenetui liebevoll in buntes Einschlagpapier und anschließend noch in einen Stoffbeutel. Sie nannte mir die Summe und ich wühlte daraufhin in meiner - scheinbar urplötzlich kleiner gewordenen - Handtasche und legte mein eigenes Handy auf den Tresen, während ich weiter nach meinem Portemonnaie fischte, das meinen Fingern immer wieder entkam. Lily schrieb in der Zwischenzeit mit einer wahren Engelsgeduld einen Kassenbeleg, den sie auf mein Handy legte. Ich bekam meinen Geldbeutel endlich zu fassen, bezahlte, nahm den Stoffbeutel entgegen und verabschiedete mich von Lily, die mir das Versprechen abnahm, bald wiederzukommen. Ehe ich die Tür öffnete, lächelte ich dem älteren Mann zu, der wieder durch die Astrologie-Abteilung stöberte. Während ich hinaustrat, läutete das kleine Glöckchen über der Tür. Ich zog scharf die Luft ein und ließ sie langsam wieder durch meine Lippen entweichen. Da geht man nichtsahnend Bücher kaufen und dann steht er neben einem. Unfassbar, das muss ich heute Abend dringend meinen Freundinnen erzählen, das werden sie niemals glauben! Ich wollte mein Smartphone herausholen, um direkt einen Videoanruf für später anzukündigen, als ich bemerkte, dass es nicht da war. Typisch, Ida... Ich drehte mich um und wollte gerade wieder in den Laden gehen, als der Schauspieler plötzlich hinter mir stand und mir mein Handy mitsamt dem Beleg entgegenstreckte. Mir wurden beinahe die Knie weich. Ich nahm ihm beides etwas zu hektisch ab, bedankte mich und stopfte alles in meine Handtasche. Als ich ein paar Schritte gegangen war, drehte ich mich doch noch einmal zu ihm um, um ihn nach einem Foto zu fragen. Wahrscheinlich würde ein weiteres Bild mit einem Fan für ihn auch keinen Unterschied mehr machen. Aber er war schon verschwunden. Ich ärgerte mich, fühlte mich augenblicklich schlecht, weil ich ihn erst im Laden stehen gelassen und mich dann eher schmallippig bedankt hatte. Im Job war ich souverän und professionell, aber hier hatte ich zwischenmenschlich kläglich versagt.

HENRY | .•° Eine Henry Cavill Fanfic °•.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt