Kapitel 14

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Auf der Rückfahrt redeten wir kein Wort miteinander. Die Stimmung war angespannt, jeder von uns schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Meine Stirn gegen die kühle Fensterscheibe gelehnt ließ ich den Abend Revue passieren, jeden einzelnen Moment, die schönen und die schlimmen. Natürlich dachte ich auch an Maddox. Nur seinetwegen hatte ich mich aus dem Haus geschlichen. Ich hatte ihn vermisst, war geschmeichelt gewesen von seinen Nachrichten und hatte alles riskiert, nur um bei ihm zu sein. Und was hatte er getan? In dem Moment, in dem ich ihn an meiner Seite gebraucht hätte, hatte er versagt. Immer wieder schossen mir die grauenhaften Worte durch den Kopf, die Dean über mich gesagt hatte und die Maddox einfach unkommentiert hatte stehen lassen. Beschwerte er sich wirklich so bei seinen Freunden über mich, nur weil wir bisher nicht miteinander geschlafen hatten? Wir dateten erst ein paar Monate und das auch nicht mal offiziell. Wie konnte er denken, dass er sowas verlangen konnte, wenn wir nicht mal richtig zusammen waren?

Die Antwort kannte ich selbst. Weil alle Männer das verlangten. Es gehörte dazu, es war Teil des Spiels, doch ich war noch nicht bereit. Ich war unerfahren, alles war neu für mich. Zuhause in Austin war ich ein anderes Mädchen gewesen, ein braves und keusches, dass mit dem Sex bis zur Ehe warten wollte, weil man es mir so beigebracht hatte. Ich glaubte daran, aus tiefsten Herzen. Erst seit mein Vater tot war hatte ich begonnen alles zu hinterfragen, erst hier in Chicago hatte ich begonnen zu lernen, was es heißt, sein Leben und seine Sexualität frei auszuleben. Diese neue Leben ohne Zwang und Vorgaben war so verlockend gewesen, dass ich mich Hals über Kopf hineingestürzt hatte. Mir gefiel die Aufmerksamkeit die ich bekam, wenn ich ein kurzes Kleid trug, ich mochte es, wie die Jungs mit mir flirteten und ich fühlte mich besonders, als ausgerechnet der begehrte und unfassbar attraktiv Maddox Zeit mit mir verbringen wollte. Das alles genoss ich, aber es machte mir auch Angst. Jedes Mal, wenn ich wieder ausging und mich in diese Welt stützte, spürte ich, wie mir das Ganze über den Kopf wuchs. Mit einem Mal war ich schrecklich müde. Tonnenschwer drückte das Gewicht dessen, was ich unbedingt sein wollte auf meinen Schultern, es drohte mich zu zermalmen und ich wusste, dass ich zu schwach war, um mich zu retten. Ich würde weiter machen, würde noch mehr Last auf mich packen, noch mehr von mir erwarten nur um allen und vor allem mir selbst zu beweisen, dass ich der Vorstellung die die Menschen von einer schöner, jungen und wilden Frau hatten absolut gerecht werden konnte.
Ich war kein Mauerblümchen.
Nicht hier.
Nicht mehr.

Hunter parkte das Auto vor dem Eingang der riesigen Villa meines Onkels, der Motor erstarb und Stille legte sich über uns. Weder Hunter noch ich machten Anstalten auszusteigen, beide starrten wir stur nach vorne in die Dunkelheit und warteten. Mir war klar, dass er noch etwas zu sagen hatte oder zumindest erwartete das ich mich für mein Verhalten entschuldigte, doch da konnte er lange warten. Ich würde nicht den ersten Schritt machen. Niemals.
Das schien Hunter auch nach einigen Minuten klar zu werden, denn plötzlich dröhnte seine tiefe Stimme durchs Innere des Wagens „Ich bin gerade Mal eine Woche hier, eine verfickte Woche und es ist bereits das zweite Mal, dass ich dich auf diese Art nach Hause holen muss. Hast du denn nichts dazu gelernt Red?" genervt strich er sich über sein Kinn. „Ich lasse mich nicht gerne einsperren" fauchte ich zurück. Keine Ahnungen woher ich den Mut immer wieder aufnahm, mich mit ihm anzulegen. „Niemand will dich einsperren verdammt. Es geht hier um deine Sicherheit, nicht um deine Freiheit" erwiderte Hunter versöhnlicher als zuvor aber immer noch deutlich genervt.
„Ach ja? Das kommt mir aber anders vor" brummte ich bockig. „Weil du mir ganz offensichtlich nicht zugehört hast Giorgia. Ich habe nie gesagt, dass du nicht ausgehen darfst. Du sollst mir nur Bescheid geben, wenn du gehst, damit ich dich fahren kann und dort bleiben kann, um sicherzugehen, dass niemand dir zu nahe kommt. Das ist alles" Ungläubig zog ich eine Augenbraue hoch. „Das ist alles?" wiederholte ich, woraufhin er bestätigte „Das ist alles."
Im schwachen Licht der Nacht musterte ich ihn. „Du lässt mich weiter raus gehen? Auf Partys?" Hunter nickte „Du bist keine Gefangene im Haus deines Onkels und ich bin nicht dein Gefängniswärter. Ich bin zu deinem Schutz da. Egal wo du hin willst, ich begleite dich. Solange du dich endlich an diese einfache Regel hältst reduzieren sich unser beider Probleme auf ein Minimum."
Sein Angebot klang fast zu gut um wahr zu sein, doch ich wusste intuitiv, dass er mich nicht belog. „Dann kann ich tun und lassen was ich will, so lange ich dich mitnehmen?" fragte ich nochmal, einfach weil es mir so unlogisch vorkam, dass er und vor allem mein Onkel damit einverstanden waren, dass ich mich weiter durch Chicagos Nachtleben trieb. Diesmal nickte er nur. „Dann kann ich mich auch weiter mit Maddox treffen ohne mich dafür aus dem Haus zu schleichen?" hakte ich nach. Natürlich wollte ich Maddox sehen, doch ich fragte nicht deshalb. Insgeheim wollte ich sehen, wie mein angeblich so professioneller Bodyguard darauf reagierte, dass ich mich mit einem Mann traf. Ich wollte unbedingt wissen, ob ich mir die Eifersucht, die ich bei ihn gesehen haben wirklich nur eingebildet hatte. „Wenn es das, ist was du willst ja. Solange ich deine Sicherheit garantiert kann, steht es dir frei zu tun und zu lassen was du willst. Und wenn du Zeit mit diesem Jungen verbringen willst, dann tu das. Verstehen muss ich es allerdings nicht. Was findest du nur an dem Typen?" brummte Hunter genervt und gab mir so unbewusst meine Antwort. Ich hatte es mir nicht eingebildet. Professionell oder nicht, es gefiel ihm ganz und gar nicht, dass ich mich mit einem anderen Mann traf. „Er ist ein guter Fang weißt du? Seinem Dad gehören die Chicago Bulls, das ist doch was oder? Ach und er sieht wirklich gut aus, falls du das nicht bemerkt hast" neckte ich ihn. Hunters Kiefermuskel zuckte, als er die Zähne zusammen biss. „Und dass er ganz offensichtlich nur mit dir zusammen ist, weil er dich ins Bett kriegen will stört dich nicht?" knurrte er. „Wollen das nicht alle Männer?" wich ich ihm bewusst frech aus, um meinen Schmerz den seine Worte und die Wahrheit die wohl in ihnen mitschwang in mir auslösten zu kaschieren.
„Und was willst du?" fragte er mich unerwartet. „Ich? Ich will einfach nur Spaß" Keine Ahnung ob das wirklich stimmte. Wollte ich wirklich nur meinen Spaß? Oder hoffte nicht doch noch immer einer ein großer Teil in mir, dass ich einen Mann treffen würde, der mich wirklich liebte? Einer, der es wert war, dass er mich bekam?
Wahrscheinlich ja.
Doch ich hatte genug gelernt in meinem Jahr hier, um zu wissen, dass das Märchen von Traumprinzen nichts weiter war als genau das.
Ein Märchen.

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