Kapitel 1

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Die Lichter der Stadt rasten an den Fenstern der Limousine vorbei, während wir im Inneren ausgelassen weiter feierten. Waren das wirklich die Lichter der Stadt oder vielleicht doch die bereist aufgehende Sonne?
Ich hatte keine Ahnung mehr, ich hatte bereits vor Stunden jegliches Zeitgefühl verloren. Alles was mich interessierte war, dass die Party nie endete, denn niemand wachte gerne in seinem echten Leben auf, da war ich keine Ausnahme. Solange es ging, würde ich in dieser Scheinwelt verweilen und sie am leben erhalten. Das war meine ganz persönliche Mission für heute.
Die Party sollte nie enden.

„Oh mein Gott ich liebe diese Song!" kreischte ich aufgedreht, krabbelte über den Boden der Limousine nach vorne zur Trennscheibe und dreht die Musik noch lauter auf, als sie es eh schon war. Meine Freundinnen grölten den Song mit, wir alle kannten den Text in und auswendig. Meine Hand griff bereits nach der nächsten Flasche Champagner, als jemand die Musik wieder leiser drehte.
„Was soll der Scheiß?" brüllte ich aufgebracht, was meinen Fahrer Rupert sofort zusammenzucken ließ. „Miss Sheffield bitte, ich kann mich nicht konzentrieren, wenn die Musik dermaßen laut ist..." versuchte er vernünftig zu appellieren, doch ich hatte kein Lust vernünftig zu sein. Stattdessen beugte ich mich über die Trennwand nach vorne, meine Hände glitten von hinten am Kragen seines weißen Hemdes entlang und begannen die obersten Knöpfe zu lösen.
„Ist es wirklich die Musik die dich ablenkt Rupert oder sind es nicht viel mehr die vielen halbnackten Mädchen in der Limousine, die deine Konzentration beeinträchtigend?" Meine Hand glitt in sein Hemd und strich über seine beeindruckende Brustmuskulatur. Er schluckte, sein Blick traf meinen über den Rückspiegel und ich lächelte verführerisch.
Niemand war so leicht zu kontrollieren wie Männer, wenn man sie glauben ließ, das sie etwas haben konnten, das sie ganz sicher nie im Leben je bekommen würden.

Zwei zierliche Hände legten sich auf meine Schulter und zogen mich von ihm weg zurück in die Limousine. Durch die unerwartete Bewegung geriet ich ins straucheln, doch Paola fing mich auf.
„Lass den armen Rupert in Ruhe, er macht doch nur seinen Job." lachte sie, doch ich hörte den tadelnden Unterton. Paola war meine beste Freundin, sie feierte mit mir, wenn ich sie einlud, aber sie hieß nie gut, wie ausschweifend es wurde. Und wie unhöflich ich mit Menschen umging, einfach weil ich war, wer ich war.
„Du brauchst kein Mitleid mit ihm haben. Mein Onkel zahlt ihm genug, glaub mir" zischte ich, weil ich nicht mochte, dass sie sich immer auf die Seite der vermeintlich Schwächeren stellte. Rupert brauchte ihr Mitleid nicht, er bekam einen Batzen Geld dafür, hübsche junge Frauen herumzukutschieren, das war nun wirklich kein Knochenjob.

Das Knallen einer weiteren Champagnerflasche und das dazugehörige Gejohle meiner beiden anderen Freundinnen Alice und Coraline beendete unsere kleine Unstimmigkeit. Die beiden waren mehr wie ich, was wohl daran lag, dass sie genau wie ich in dieses privilegierte Leben reingeboren wurden und daher nicht hinterfragten, wie dekadent es war, an einem gewöhnlichen Mittwochabend Unmengen Veuve Clicquot in einer Limousine zu verschütten, während man sich aus Spaß gegenseitig damit bespritzte.
„Gott ihr stinkt nach Alkohol wie eine ganze Bar" Paola rümpfte die Nase, als sich die pitschnasse Alice an sie lehnte. „Wir sollten langsam zurück. Ihr müsst unter die Dusche. Ihr alle" schimpfte sie mit uns. Coraline und ich warfen uns einen vielsagenden Blick zu, ehe wir synchron die nächsten Flaschen köpften und die kreischenden Paola damit unter lautstarken Gelächter übergossen, bis uns die Stimme von Rupert bremste.
„Miss Martínez hat recht fürchte ich. Es ist bereits halb 7 in der Früh Miss Sheffield. Ihre Mutter erwartet sie bald zum Frühstück und sie sollten vorher vielleicht wirklich..." genervt winkte ich ab. „Na schön, dann bringen sie uns zurück ins Gefängnis"
Alice lachte überdreht über meinen Witz, genau wie Coraline, nur Paolas Miene blieb ernst. Während sie sich angewiderte eine klitschnasse Strähne ihre langen Haare aus dem Gesicht wischte schüttelte sie enttäuscht den Kopf „Diesen 1500 qm Palast in dem du lebst als Gefängnis zu bezeichnen, wow Gigi, sowas schaffst auch nur du."

Sie hatte ja nicht ganz unrecht. Das Haus in dem wir jetzt seit gut einem Jahr lebten war alles andere als ein Gefängnis. Es war wohl eher ein Palast angefüllt mit allem an Luxus und Annehmlichkeiten die man sich nur wünschen konnte. Es war der Inbegriff von Reichtum, ein Traumschloss für jeden außer mich, denn bei allem was dieses Anwesen an Vorzüge hatte, fehlte ihm ein ganz entscheidender:
Es war kein Zuhause.
Nicht für mich.
Mein Zuhause stand in einem Vorort von Austin in Texas. Dort war ich aufzuwachsen, dort bin ich zur Schule gegangen und dort hatte ich all meinen Freunde zurücklassen müssen, als mein Vater vor knapp einem Jahr starb und meine Mutter und mich alleine zurück ließ.
Ich wollte dort bleiben, trotz all dem Schmerz und der Erinnerungen war es mein Zuhause. Ich wollte das nicht aufgeben, doch in meiner Familie interessierte es niemanden, was ich wollte. Nicht seit mein Vater weg war und nicht mehr für uns und unsere Unabhängigkeit von der Familie meine Mutter eintreten konnte.
Er war kaum beerdigt, da begannen sie ihre Krallen wieder in das Leben meiner Mutter und damit auch mir zu schlagen. Die Familie meiner Mutter war... nun ja sie waren Kriminelle, anders konnte man es nicht bezeichnen. Meine Mutter war eine geborenen Esposito, ein alter italienischer Familienstamm, der schon seit seiner Ankunft vor über hundert Jahren hier in den USA als Mitglied der berühmt-berüchtigten Costa Nostra bekannt war. Ich kannte die Geschichten wie meine Familie zu ihrem Reichtum und ihrem Ruf gekommen war nur aus zweiter Hand, denn als meine Mutter meinen Vater erzählte, dass sie mit mir schwanger war, packte er sie ein und brachte uns weg von dem Grauen, dass ein Leben als Teil der Familie Esposito mit sich gebracht hätte.
Es war mir ein Rätsel, wie er meine Großvater davon überzeugen konnte, meine Mutter gehen zu lassen, aber er schaffte es. Wir zogen weg aus Chicago, wo die Familie meiner Mutter alles von Drogenhandel bis Glückspiel kontrollierte und führten ein fast konservatives Leben am Rande von Austin. Es war perfekt, meine ganze Kindheit war makellos, bis auf die wenigen Pflicht-Besuch bei der Familie meiner Mutter, die immer dafür sorgten, dass ich mich danach unwohl fühlte, bekam ich nichts mit von der Welt, in die meine Mutter rein geboren worden war.
Wir lebten glücklich.
Bis letzten Herbst.

Mein Großvater hatte das Zepter der Familie schon vor Jahren an meinen Onkel übergeben, der den Rückzug aus dem Familiengeschäft meiner Mutter leider nicht so locker nahm, wie mein Großvater es getan hatte. Noch am Tag der Beerdigung meines Vaters eröffnete er meiner Mutter, dass ihr Ausflug nun vorbei sei und sie nach Hause kommen müsste. Er bräuchte sie in seiner Nähe, um ihre Sicherheit zu garantieren. Man brauchte uns alle zurück in Chicago, wir gehörten schließlich zur Familie wie mein Onkel es immer betonte. Ob wir überhaupt Teil dieser Familie sein wollten, stand dabei nie zur Debatte.

„Wir sind da Miss Sheffield." Ruperts Stimme riss mich zurück ins hier und jetzt. Er stand in der bereits offenen Tür der Limousine und hielt mir eine Hand entgegen. Ich ergriff sie, zum Teil aus Gewohnheit, zum Teil, weil ich mir nicht sicher war, ob ich in meinem betrunkenen Zustand allein aus der Limousine gekommen wäre. Kaum berührten meine High Heels den Kies unsere Auffahrt schlug mir auch schon die unerbittliche Sonne die bereits in ihrer ganzen Pracht über Chicago schien erbarmungslos ins Gesicht. Wie ein Vampire versuchte ich mich vor ihr zu verbergen, bis Paola mir meine Designer Sonnenbrille reichte und Ruperts Hand durch ihre eigene ersetzte.
„Fahren sie Alice und Coraline nach Hause Rupert. Ich kümmere mich um Giorgia" dankbar lächelte sie Rupert an, der sich zum Gruß an seine Stirn griff und mit dem immer noch feiernden Mädchen in seiner Limousine zurück Richtung Straße verschwand.
„Komm, lass uns rein gehen, bevor man uns bemerkt" drängte meine Freundin mich, während sie mich hinter sich herzog, weg vom Haupteingang, hin zu dem Personaleingang an der hinteren Seite unseres Hauses.

„Ich hasse es hier" maulte ich, als wir durch die Küche hin zur Wendeltreppe liefen, die uns hoch in den Trakt des Hauses brachte, in dem ich eigentlich seit Stunden friedlich in meinem Bett schlafen sollte.
„Ich weiß Gigi" Paola sah mich mitleidig an, doch sie wusste genau wie ich, dass es egal war, was ich empfand. Das hier war jetzt mein Zuhause, nichts würde daran etwas ändern. Und als könnte sie meine Gedanken lesen, sagte meine beste Freundin in ebendiesem Moment „Du musst damit aufhören, du musst aufhören mit deinem Verhalten dagegen zu Rebellieren das du jetzt hier bist. Es wird dir nicht helfen, es wird nichts verbessern an deiner Situation, hörst du? Es wird sie nur noch schlimmer machen Süße"

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