Kapitel 64

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„Ist alles in Ordnung?"
Kaum das ich aus dem Büro meines Onkels in den Flur gestolpert war, war Hunter an meiner Seite.
Hunter.
Mein Bodyguard.
Der Mann der mich mehr liebte als sein Leben.
Wenn man meiner Mutter denn glauben konnte.

„Mir geht's gut" sagte ich etwas zu schroff, während ich auch schon an ihm vorbei stürmte. Zwei Stufen auf einmal nehmenden lief ich die Treppe hoch, seine schweren Schritte immer dicht hinter mir. Als ich den langen Flur in Richtung meines Schlafzimmers fast hinter mich gebracht hatte, holte er mich ein. „Was ist hier los, Red? Rede mit mir. Wovor läufst du weg?" er hielt mich am Arm fest, drehte mich zu sich und blickte mich an.
Er machte sich Sorgen, so wie immer.
Er wollte wissen, was mich so aufgewühlt hatte, weil er mir helfen wollte, so wie immer.
Und ich konnte ihm die Wahrheit nicht sagen, so wie immer. Wie hätte ich es ihm auch sagen sollen?

„Sorry Hunter ich bin bloß etwas durch den Wind, weil meine Mom mir gerade eine Brandrede darauf gehalten hat, wieso du der letzte Mann auf Erden bist, den sie an meiner Seite sehen will und mir dann im selben Atemzug erklärt, dass du mich angeblich liebst. Oh nein warte, laut ihrer Einschätzung liebst du mich nicht nur, du liebst mich mehr als dein eigenes Leben.
Dazu kommt noch, dass ich ab sofort jede Minute des Tages mit dir verbringen werde. Allein. Nur du und ich. In deiner verdammten privaten Wohnung, weit weg von all dem hier. Weit weg von allem und jeden den ich kenne. Ich muss wieder meine Koffer packen und neu anfangen, ohne zu wissen was die Zukunft für mich bereithalten wird. Mein Leben zerfällt erneut in 1000 Teile, keine 24 Stunden nach meiner beinah Entführung samt beinahe Vergewaltigung. Entschuldigung also bitte wenn ich etwas neben der Spur bin!"

Das wäre die Wahrheit gewesen, das war es was in mir vorging. Nichts davon sagte ich ihm.
Stattdessen erklärte ich mein merkwürdiges Verhalten so logisch wie es nur ging. „Ich laufe nicht weg. Ich muss anfangen zu packen. Du willst doch sicher so schnell es geht los oder nicht?" Hunters Blick blieb skeptisch, er kannte mich gut genug um zu wissen, dass mehr dahinter steckte, doch er ließ es mir durchgehen. „Nimm nur das nötigste mit. Einen Koffer. Mehr nicht. Wir fahren in einer Stunde" Dann verschwand er in sein eigenes Zimmer und ließ mich allein.
Mechanisch packte ich Dinge ein, von denen ich glaubte das ich sie brauchen könnte. Wissen konnte ich es nicht, ich wusste ja nicht mal wo seine Wohnung lag, geschweige denn wie lange wir dort blieben. In den letzten Wochen hatte ich mir so oft gewünscht, endlich von hier zu verschwinden, doch jetzt fühlte es sich nicht nach der Freiheit an, nach der ich mich so gesehnt hatte. In meiner Vorstellung verließ ich das Haus, um mein Leben selbst zu führen. An der Universität meiner Träumen, in einer viel zu kleinen aber bezahlbaren Wohnung wollte ich neu anfangen, ohne das Blutgeld meiner Familie. Ich wollte mir einen Job suchen, vielleicht in einem Café oder so und es alleine schaffen.
Ich spürte wie die Tränen in mir aufstiegen und mein Magen sich vor Wut und Enttäuschung schmerzhaft verkrampfte. Erschlagen von all den Emotionen in mir ließ ich mich neben meinen Koffer aufs Bett fallen. Mit geschlossenen Augen atmete ich ein paar Mal tief durch. Meine Gefühle gingen mit mir durch, was sicher an den letzten Stunden lag. Es war Zeit mich zu beruhigen und mich auf die guten Sachen zu konzentrieren, anstatt auf die schlechten. Mit einem letzten tiefen Atemzug setzte ich mich auf und begann, mir selbst die Vorteile innerlich aufzuzählen:

1. Ich würde endlich dieses Haus verlassen.
2. Ich würde diese mir so verhasste Stadt hinter mir lassen.
3. Ich wäre in Sicherheit.
4. Ich wäre bei Hunter.

Der letzte Punkt ließ mich endlich wieder lächeln. Wir würden zusammen sein. Nur er und ich, weit weg von dem hier. Wir würden nicht mehr unter dem Dach meines Onkels leben, was zwangsläufig bedeute, dass er sich nicht mehr an seine albernen selbst auferlegten Regeln halten müsste. Mein Lächeln wurde breiter und mit ihm auch meine Vorfreude. Wir würden zusammenleben, fast so wie ein echtes Paar. Wahrscheinlich werden wir im selben Bett schlafen. Jede Nacht.
Mein Herz klopfte vor Aufregung, doch diesmal war es ein gutes Gefühl. Es würde endlich passieren. Dort, allein in seiner eigener Wohnung würde er sein verfluchtes Ehrgefühl vergessen und mich endlich berühren. Wir würden endlich...
Red! Was machst du denn noch hier drin? Ich warte seit 10 Minuten unten auf dich. Shit bist du noch gar nicht fertig mit packen? Was hast du denn die ganze Zeit gemacht?!" ertappt sah ich erst auf meinen nicht mal halb gefüllten Koffer und dann zu Hunter auf, der mit verschränkten Armen und wütenden Blick vor mir stand. „Sorry... ich war in Gedenken. Ich bin fast fertig" murmelte ich, während ich aufstand und meine Kosmetika aus dem Bad holte. Als ich sie gerade in die Tasche warf, umschlossen mich Hunters Arme von hinten. „Geht es dir gut Red?" wisperte er in mein Haar und fügte sofort etwas strenger hinzu. „Die Wahrheit, keine Lügen klar?" Ich sah hinab auf seine Arme, die meinen schmalen Körper vollständig umwickelten und lächelte milde. „Nein es geht mir nicht gut, nicht wirklich. Aber es wird besser, dank dir" Er spannte sich kurz an, ihm gefiel es nicht, wenn ich ihn als meinen Helden hoch stilisierte, aber er sagte nichts. Seine Umarmung wurde enger, dann küsste er meinen Scheitel und ließ mich los.

„Wir sollten los. Hast du alles?" Ich nickte, Hunter schloss meinen Koffer und trug ihn nach unten. Die Eingangshalle war wie leergefegt. Ich spürte einen Stich der Enttäuschung, denn ich hatte gehofft, dass meine Mom mich noch verabschieden würde, doch sie war wohl schon längst wieder im Delirium. „Sei ihr nicht böse, Red. Sie hat für dich getan was sie konnte" flüsterte Hunter, der mal wieder genau zu wissen schien, was in mir vorging. Seine Hand lag auf meinem Rücken und er schob mich weiter Richtung Tür. Draußen schien die Sonne gleißend hell, weshalb ich mir nicht sicher war, ob ich richtig sah, was dort auf dem weißen Kies in der Einfahrt stand. „Was ist das?" fragte ich und schirmte die Augen vor der Sonne ab, um besser sehen zu können. „Wie was ist das? Das ist mein Auto du verwöhnter kleiner Snob" schnaubte er und lief auf dieses etwas von Auto zu, das dort in der Auffahrt stand und mit seiner bloßen Anwesenheit die Umgebung verunstaltete.
„Wie alt ist das? Fährt es überhaupt noch?" stichelte ich weiter und traf genau ins Schwarze. „Natürlich fährt er. Ich habe ihn selbst restauriert, nachdem mein Vater ihn mir zum Führerschein geschenkt hatte. Und kannst du bitte aufhören meinen Wagen Es zu nennen?! Das ist ein 1985 Dodge Ram D250 mit V8 Motor. Dieses Auto ist ein verfluchter Klassiker" maulte er mich an, nahm meinen Koffer und warf ihn achtlos zu seiner Tasche auf die Ladefläche, ehe er mir die Tür aufhielt. Bevor ich einstieg hielt ich inne und legte meine Hand auf seinen Arm, „Es tut mir leid. Ich wusste nicht, dass dir der Wagen so viel bedeutet. Ich wollte dich nicht beleidigen ok? So ein Wagen ist einfach nur nicht ganz mein Stil" entschuldigte ich mich aufrichtig, doch statt einen simplen Danke von ihm, zierte sein Mund plötzlich ein schmutziges Grinsen. „Nicht Red? Ich dachte du stehst auf ältere Modelle"

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