Kapitel 85

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Zu meinem großes Glück war das kleine Büro nicht nur unverschlossen sondern auch vollkommen verwaist. Ungeduldig lief ich vor dem Schreibtisch auf und ab, dabei dauerte es wahrscheinlich nur wenige Minuten, bis sich die Tür erneut öffnete, doch mir kam es vor wie eine halbe Ewigkeit. Wir waren jetzt kaum mehr als 24 Stunden getrennt gewesen und schon das hielt ich kaum aus. Wie sollte ich es überleben, wenn ich in nicht mal einem Monat zurück nach Austin gehen würde?
Ohne Hunter.
Allein die Vorstellung, mir dort ein neues Leben aufzubauen, in dem er absolut keine Rolle mehr spielen konnte, schmerzte mich körperlich.
Machte ich vielleicht einen Fehler in dem ich Chicago verließ?
Sollte ich doch bleiben?
Trotz aller Gefahren und all meiner Abneigung gegen diese Stadt, könnte ich bleiben, um bei Hunter zu sein. Ich seufzte schwer.
Könnte ich das wirklich?
Hierbleiben?
Meine Noten waren gut, ich könnte mich sicher auch auf ein Wintersemester hier an der Uni bewerben und einen Platz bekommen, aber würde das auch automatisch ein Happyend mit Hunter bedeuten? Unwahrscheinlich, denn er würde weiter für meinen Onkel arbeiten, was bedeutete, dass wir nicht offiziell zusammen sein könnten ohne sein Leben zu riskieren. Von der Abneigung meiner Mutter gegen ihn als den Mann an meiner Seite mal ganz abgesehen. Ich ließ den Kopf in die Hände sinken. Es war hoffnungslos, egal was wir tun würden, unsere Zeit lief ab. Das war die bitter Wahrheit.

„Hey Red"
Der vertraute klang seiner Stimme ließ mich Aufsehen, doch in dem Moment, indem ich ihn ansah, gefror mein Herz. „Oh Gott Hunter! Was ist mit dir passiert?" keuchte ich auf, löste mich von dem Schreibtisch und machte einen Schritt auf ihn zu. Meine Hand zitterte, als ich sie hob und über sein geschwollenen Wange strich, was hin schmerzhaft die aufgeplatzt Lippe verziehen ließ. Er sah fürchterlich aus, so als hätte er über 12 runden einen Boxkampf ausgefochten, nur um am Ende doch zu verlieren. Sein Gesicht war so gezeichnet von blauen Flecken und Schwellungen, das allein der Anblick weh tat.
„Es ist nichts" brummte er und stoppte meine Hand, bevor ich seine Lippen berühren konnte. „Nichts? Das nennst du nichts? Du bist verletzt, Hunter. Und du bist viel später zurück als du gesagt hast. Ich bin vielleicht jung, aber ich bin nicht dumm. Ich weiß das hier etwas ganz und gar nicht stimmt. lass mich nicht außen vor, bitte. Schließ mich nicht aus, sag mir was passiert ist"

Ich nahm die andere Hand, hob auch sie hoch und legte sie an seine rechte Wange, die zum Glück nicht geschwollen, dafür aber von 3 hässlichen dunkelroten Striemen überzogen war.
„Es gab Probleme, ernsthafte Probleme ok? Ich sollte jemanden beschatten, doch sie haben mich wohl bemerkt und mich dann in eine Falle gelockt. Ich erspare dir die Details, es war übel, aber das ist nicht mehr wichtig. Ich habe es rausgeschafft und diese Bastarde dafür bezahlen lassen. Mehr musst du nicht wissen"
Er klang hart und kalt, es war nicht mein Hunter, der hier vor mir stand. Es war der Auftragsmörder meines Onkels, der hier zu mir sprach.
„Wen musstest du beschatten?" fragte ich mit viel zu dünner Stimme, weil ich es bereits ahnte. „Crowell." kam seine kurze vernichteten Antwort. Wenn Crowells Männer dafür verantwortlich waren und Hunter sich gerächt hatte, dann war das eine neue Verschärfung in der Eskalationsspirale, in der meine Familie und die Crowells jetzt schon seit Monaten festhingen. Ich brauchte keine Details um zu wissen, wie Hunters Rache ausgesehen hatte. Sie würden ebenfalls einen Vergeltungsschlag planen, weil sie es mussten. Es ging um Macht und Angst, das war alles was in diesem Business zählte. Jede weitere Runde in diesem Krieg würde schlimmere Folgen haben als die zuvor. Wir mussten eine Weg hinaus finden, wenn wir nicht noch mehr Blut an den Händen haben wollten, doch ich ahnte, dass Friedensverhandlungen kein Teil der Unterwelt waren.
„Das muss aufhören" wisperte ich dennoch leise, doch Hunter hörte mich natürlich. „Es wird erst aufhören, wenn eine der beiden Familien kapituliert. Oder ausgelöscht ist. Ich halte Option 2 für wahrscheinlicher." erwiderte er so kalt, das er mir Angst machte. Ich sah die emotionale Distanz in seinen Augen, seine ganze Körperhaltung war abwehrend und obwohl er direkt vor mir stand, schien er meilenweit entfernt. Ich musste mir etwas einfallen lassen, um ihn zurück zu holen, bevor er mir vollkommen entglitt.

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