Kapitel 91

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So schnell mich meine wackligen Beine trugen rannte ich hinaus. Mein Ziel war das kleine Gästebad hinter der Treppe zum Obergeschoss, nicht, weil ich mich tatsächlich übergeben musste, sondern weil ich mich darin einschließen und nie wieder hinaus kommen wollte, doch soweit kam ich gar nicht. Ich war kaum drei Schritte aus dem Büro getaumelt als ich gegen Hunters breite Brust stieß. Sein Geruch in Kombination mit dem Gefühl seiner starken Arme, die mich sofort umschlossen ließen sämtliche Dämme brechen. Mit einem lauten Schluchzen brach ich in seinen Armen zusammen. Alles was ich dort drin gerade zurück gehalten hatten, brach jetzt über mich herein. Ich ertrank förmlich in Emotionen, es übermannte mich.
Red bitte, sprich mit mir. Was ist da drinnen passiert?" Hunter klang angespannt und... ängstlich. So hatte ich ihn noch nie gehört.
Ich wollte ihm so gerne antworten und auch wenn es absurd war wollte ich ihm auch die Angst nehmen, doch ich konnte es nicht. Nicht nur weil ich aufgrund meines Zusammenbruchs absolut unfähig war zur sprechen, sondern vor allem, weil alles was ich sagen könnte nur mehr Angst schüren würde, als sie zu mindern.
Mein Leben war vorbei.
Unser Leben war vorbei.
Es gab keine Hoffnung mehr.
Außer...

„Bring mich hier weg" presste ich zwischen zwei Schluchzern mit einer so wunden Stimme, das Hunter mich kaum verstand. „Was?"
Ich sah zu ihm auf und sah die Irritation und die Sorge in seinen Augen „Du musst mich hier weg bringen Hunter, sofort. Es ist die einzige Chance. Du musst mich hier wegbringen. Du darfst nicht zulassen das er mich mitnimmt. Hunter bitte" Ich fehlte und weinte im Wechsel, während ich mich panisch an Hunters Shirt festklammerte.
„Da bist du ja" ich gefror zu Eis, als ich Owen hinter mir hörte. Ich vergrub mein Gesicht tiefer in Hunters Brust. Jetzt gerade war es mir egal wie das aussah, es war mir egal wie es wirken würde.
Ich brauchte ihn.
Ich brauchte meinen Beschützer.
„Bring mich weg. Bitte" wisperte ich zu leise, denn statt mir zu antworten hörte ich Hunter mit Owen sprechen. „Was ist hier los?" fragte er gepresst, weil er mit seinen Emotionen kämpfte. „Ganz ruhig Großer" spottete Owen „Giorgia ist nur etwas schlecht gewesen, deshalb ist sie raus. Ich wollte nach ihr sehen, falls sie etwas braucht, aber wie ich sehe warst du schneller." Ich musste ihn nicht ansehen, um zu wissen, mit was für einem Blick er Hunter gerade bedachte, der mich noch immer in seinen Arm hielt, während ich mich an ihn klammerte wie eine Ertrinkende an einer Rettungsboie.
„Das ist mein Job." schnappte Hunter zurück. Owen war nicht mein Onkel, aber das hier war das Haus meines Onkels, mit Ohren und Augen überall. Das er mich so hielt, war gefährlich. Für uns beide.

„Oh ja natürlich und ich weiß, dass du dieses Job mit einer solchen Hingabe machst, dass es fast an eine Obsession erinnert. Doch jetzt gerade werden deine Dienste nicht gebraucht. Wir sind hier in ihrem Zuhause, umgeben von ihrer Familie. Sie ist hier sicher, sie braucht deinen Schutz nicht. Also genieß deine Freizeit und lass uns allein. Ich kümmere mich um meine Verlobte."
Dieses eine Wort war wie eine Atombombe: Perfekt platziert und absolut vernichtend für alles und jeden in seiner Umgebung.
Owen wusste was er tat, er war gerissen und manipulativ wie kein anderer. Ich wettete das er gerade lächelte, doch ich sah ihn nicht an. Ich sah nur Hunter an, dessen Augen riesig und voller Mordlust waren. „Sag das nochmal" knurrte er mit einer Stimme, die ich bisher selten an ihm gehört hatte. Sie war Kalt. Kalt und tödlich.
„Du hast mich schon verstanden, Bodyguard." Die Abscheu in Owens Stimme erinnerte mich an die meines Onkels, als er vorhin seinen Männern als austauschbare Soldaten bezeichnet hatte. Sie beide lebten mit einer derart veralteten Weltanschauung, das ich es kaum glauben konnte. Für sie galten Regeln wie im Mittelalter, mit Ober- und Unterschicht und mit dem Selbstverständnis, dass Frauen keinen Rechte hatte. Sie waren nichts für Männer wie Owen und meinen Onkel. Ich war nichts für sie. Nichts als eine Ware, die man an den Höchstbietenden verkaufte.

Hunter sah jetzt endlich wieder zu mir, er blickte hinab auf mich, als suchte er in meinem Gesicht nach einer Antwort, doch dort fand er keine.
Er fand sie an meiner Hand.
Ich würde den Moment nie vergessen, in dem er den Diamanten sah. Seine Augen spiegelten das wieder, was mit meinem Herz passiert war, als Owen mir den Ring angesteckt hatte.
Die Erkenntnis.
Der Schmerz.
Die Hoffnungslosigkeit.
Die Wut.
„Nein" presste er hinaus. „Nein. Das wird nicht passieren. Niemals" In einer schnellen Bewegung löste er mich von sich und schob mich hinter sich. „Ich werde das nicht zulassen. Du bekommst sie nicht." drohte er Owen offen, seine Hand glitt intuitiv in einer fließenden Bewegung zu der Stelle, an der er normalerweise seine Waffe trug, doch da war nichts. Hunter trug noch immer die Jogginghose von heute früh, wenn auch jetzt nicht mehr Oberkörperfrei sondern mit einem schwarzen Shirt dazu. Er hatte seine Waffe nicht eingesteckt, weil er keine Zeit gehabt hatte. Er war meinetwegen überstürzt aus dem Haus gerannt, weil ich weggelaufen war. Das er jetzt unbewaffnet war, war allein meine Schuld.

Owen bemerkte Hunters Griff ins Leere. „Und wie willst du mich aufhalten, so ganz ohne Waffe?" höhnte er. „Oh glaub mir, dafür brauche ich keine Waffe. Nicht für jemanden wie dich. Dich erledige ich mich bloßen Hände. Und ich werde es genießen, dass verspreche ich dir" Hunter schob mich noch ein Stück weiter hinter sich, ehe er sich in Kampfposition brachte. Noch bevor er jedoch auf Owen losstürmen konnte, erschien mein Onkel plötzlich wie aus dem Nichts auf dem Flur, er brauchte nur einen Blick, einen einzigen Blick um Hunter zu stoppen.
„Was glaubst du, was du hier tust O'Brien?!" knurrte er. „Ich tue das, wofür sie mich bezahlen, Boss. Ich beschütze ihre Nichte." Hunters Stimme war scharf wie ein Messer. Er hasste es, das mein Onkel aufgetaucht war, bevor er Owen auch nur einen Schlag verpassen konnte.
„Vor welcher Gefahr genau?" höhnte mein Onkel. „Vor ihm." Hunter nickte zu Owen, der bloß überheblich grinste. „Vor ihrem Verlobten? Das ist Bullshit, O'Brien. Er ist keine Gefahr für sie, ganz im Gegenteil, nur ihm haben wir es zu verdanken, das Giorgia endlich aus der Schusslinie kommt. Dank ihm und seinen Kontakten wird sie in wenigen Tagen ihr neues, sicheres Leben in Kanada beginnen können. War es nicht genau das was du wolltest O'Brien? Das ich sie hier wegschaffe? Das ich dafür sorge, dass sie ein neues Leben führen kann, weit weg von all dem hier? Das war es doch worum du mich förmlich angefleht hast oder etwa nicht? Nun, sieh deinen Wunsch als erfüllt an."

Cherry bomb Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt