Kapitel 105

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Die Tage und Wochen glitten an mir vorbei, ohne das ich sie wirklich wahrnahm. Alles war neblig, ich vergaß oft, wo ich war oder warum ich eigentlich hier gelandet war. Mein Alkoholkonsum steigerte sich soweit, dass ich mindestens 2 Vorlesungen pro Woche verpasste, weil ich so betrunken war, das nicht mal Owen mich wach bekam, egal was er tat. Es war irgendwann Anfang Dezember, als ihm der eh schon ziemlich dünne Geduldsfaden endgültig riss.
Als ich an diesem Tag gegen Mittag aus meinem Rausch erwachte, hörte ich das laute Klappern und Klirren von Glas aus unsere Küche kommen. Es schmerzte in meine Ohren, weil ich einen unfassbaren Kater hatte, weshalb ich zunächst versuchte es zu ignorieren, doch es hörte nicht auf. Müde und immer noch wacklig auf den Beinen schleppte ich mich dem Geräusch entgegen und traf auf einen beängstigten wütenden Owen, der gerade sämtliche meiner Alkohol Vorräte in den Abguss schüttete.
„Was... was tust du da?" stammelte ich, der Nebel in meinem Kopf ließ meine Worte träge klingen. „Der Deal war der Einfluss meiner Familie gegen eine anständige, vorzeigbare Verlobte für mich, nicht gegen eine Schnapsleiche. Du bist ab sofort auf Entzug Darling. Ich habe es satt mit anzusehen, wie du dich kaputt machst" belehrte er mich in seiner üblichen großspurigen Art, doch dank der hohen Menge Restalkohol in meinem Blut zuckte ich an diesem Morgen nicht vor ihm zurück.

Ich mache mich kaputt?" Ich lachte verbittert auf, dann fuhr ich fort „Du bist es der mich kaputt macht, Owen. Du hast mich in ein fremdes Land verschleppt in das ich nie wollte. Du hast mich an einen Universität gebracht, auf die ich nie gehen wollte, hast mir meine Freunde und meine Familie genommen und zwingst mich, hier mit dir zuleben, in diesem kalten, unpersönlichen Appartement und so zu tun, als wäre ich deine glückliche verliebte kleine Verlobte. Entschuldige bitte wenn ich einige Hilfsmittel brauche, um meine Rolle für dich aufrichtig spielen zu können"
Die Worte brachen einfach so aus mir heraus und auch wenn sie wahr waren, bereute ich sie sofort, denn ich sah auf Owens Gesicht, was ich angerichtet hatte. Diesmal hatte ich eine Grenze überschritten, eine, die ihn wütender machte, als alle davor. Fast rechnete ich damit, dass er mich direkt angriff, doch das war nicht sein Stil.
„Du wirst keinen Tropfen mehr trinken, nicht mal einen Champagner zum anstoßen. Du wirst dieses Apartment nur noch mit mir verlassen, bis ich dir wieder trauen kann. Es wird keine Ausnahmen geben. Du wirst Jean, Rose und deine anderen kleinen Freundinnen nicht mehr sehen, außer in den Vorlesungen, zu denen ich dich persönlich eskortieren und wieder abholen werde. Dieses Prozedere werden wir aufrecht erhalten, bis ich sicher bin, dass du wieder clean bist. Ich habe das lang genug mitangesehen, weil ich zu Beginn dachte, es würde mir ebenfalls nutzen, aber ich habe inzwischen erkannt das die Nachteile deiner Sucht die Vorteile für mich eindeutig überwiegen. Denn ganz egal wie herrlich locker und fügsam du bist, wenn du betrunken bist, es macht mir absolut kein Spaß, eine komatöse Alkohlleiche zu vögeln"

Er hätte mir auch gleich direkt mit voller Wucht ins Gesicht schlagen können, so sehr verletzten mich seine Worte. Die Tränen schossen ein, ohne das ich es wollte. Eigentlich dachte ich inzwischen, dass nichts was er zu mir sagte mich noch verletzten könnte, doch das war weit gefehlt.
„Na na na Darling, spar dir die falschen Tränen ja? Wir wissen beide das du das besser kannst." drohte er mir, während er mir die Wange tätschelte. „Hör auf zu weinen oder soll ich dir einen Grund geben wirklich zu weinen?"
Fast schmerzhaft presste ich die Lippen zusammen, um ein schluchzten zu unterdrücken, während ich heftig den Kopf schüttelte.
Owen lächelte über seinen erneuten Triumph über mich mehr als zufrieden. „Das dachte ich mir. Jetzt geh unter die Dusche, du stinkst wie eine verfluchte Bar." er schubste mich förmlich von sich und ich stolperte eilig Richtung Badezimmer während er mir nachrief „Und beeil dich bloß, der Wagen kommt in einer halben Stunde."

Hastig drehte ich die Dusche auf, doch ich stieg nicht unter sie, stattdessen schnappte ich mein iPhone und begann hastig eine Nachricht an Hunter zu tippen. Ich wollte ihm schreiben, was passiert war, was aus mir geworden war und dass ich das hier keinen weiteren Tag überleben würde, doch ich schrieb es wieder nicht, genau so wie all die anderen Male, in denen Owen mich an meine Grenzen gebracht hatte und ich mich bei Hunter ausweinen wollte, tat ich es auch diesmal nicht. Es würde ja doch nichts bringen. Hunter war nicht hier, ganz offensichtlich hatte er noch immer keine Möglichkeit gefunden, mich vor diesem Schicksal zu retten ohne das Leben seiner Schwester zu riskieren, das hieß natürlich, wenn er es denn überhaupt immer noch versuchte. Seine Nachricht waren über die Wochen weniger geworden und ich hatte panische Angst was das für uns bedeutet. Gab er mich tatsächlich auf? Gab er uns auf?

Giorgia: Ich möchte dich nicht stören, aber ich habe eine Frage an dich.

Hunter: Du störst mich nicht. Das tust du nie. Was ist los?

Giorgia: Hast du Bilder von uns behalten?

Hunter: Nein.

Giorgia: Oh, okay.

Mein Blick verschwamm als ich seine knappe Antwort lass. Es war also wahr. Meine schlimmsten Ängste wurden Wirklichkeit.
Er vergaß mich.
Ich spielte keine Rolle mehr in seinen Leben.

Mechanisch zog ich mich aus, stieg unter die Dusche und hoffte, dass das Wasser mich von allem reinigte, das diese Erkenntnis in mir auslöste. Hunter antwortete mir vielleicht noch hin und wieder, aber er begann bereits mich nach und nach aus seinem Leben zu löschen. Es war nur eine Frage von Wochen oder vielleicht auch nur Tagen, bis ich ganz aus seinem Gedächtnis verschwunden war. Dann gab es niemand mehr, der für mich kämpfte. Niemand mehr außer mir selbst.
So mechanisch wie ich mich ausgezogen hatte, zog ich mich jetzt auch wieder an, föhnte mein Haar und schminkte mich, damit ich ein passabler Anblick für meinen Verlobten bot, wenn ich gleich zu ihm ging. Mit der freien Hand fischte ich nach meinem iPhone um zu gucken, wie viel Zeit mir noch blieb, als ich sah, dass Hunter mir noch eine Nachricht geschrieben hatte.

Hunter: Ich habe gelogen. Ich habe noch das hier. Und einige andere, hauptsächlich von dir allein.

Giorgia: Warum hast du gelogen?

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Giorgia: Warum hast du gelogen?

Hunter: Ich weiß es nicht. Ich glaube, ich wollte nicht, dass du weißt, dass ich sie mir immer noch jeden Tag angucke

Giorgia: Oh, das tust du?

Hunter: Es ist das Erste was ich morgens tue, wenn ich wach bin und das Letzte, bevor ich mich Nachts schlafen lege. Ich kann nicht anders

Giorgia: Das ist Wahrscheinlich eines der romantischsten Dinge, die du mir je gesagt hast, Hunter... Ich denke auch immer noch viel an dich.

Das war mit Sicherheit die Untertreibung des Jahrhunderts. Er war ständig in meinem Kopf. Mein Bedürfnis nach ihm, nach seiner Berührung war wie ein anhaltender Schmerz und doch wollte ich keine Sekunde darauf verzichten.
Als keine weitere Nachricht von ihm kam, verließ ich das Bad und lief zu Owen, der schon ungeduldig wartete, dabei war ich tatsächlich sogar ein paar Minuten zu früh dran. Er sagte nichts zu mir, weder zu unserem Streit noch zu meinem Outfit. Wir liefen einfach schweigend hinab, stiegen in seine Sportwagen und gerade als er auf die Straße bog, die direkt zum Campus führte, bekam ich noch eine weitere Nachricht von Hunter. Es war natürlich riskant sie jetzt zu lesen, aber ich konnte nicht widerstehen. Meine Sehnsucht nach Hunter überwiegt eindeutig gegen meine Angst vor Owen.

Hunter: Kommst du klar Red?

Vier kleine Worte, die mein Herz zum rasen brachte und in denen so viel mehr schlummerte, als es schien. Mir war klar, warum er sie stellte. Er ahnte es, er kannte Owen schließlich und vor allem kannte er mich. Ihm musste klar gewesen sein, wie schwer dieses neue Leben für mich war, auch wenn ihm die Dimension meines Leides sicher nicht bewusst waren. Ihm war wahrscheinlich auch klar, dass ich diese Frage niemals ehrlich beantworten würde, weil es nur mehr Leid verursacht hätte. Mehr Leid für ihn, der sich zerfleischte, weil er mich noch nicht zu sich holen konnte und mehr Leid für mich, weil er nicht kommen würde um mich zu retten. Es war aussichtslos. Manchmal war eine Lüge das einzig Richtige und so tippte ich die Worte, die er hören wollte und die dich bereit war zu ihm schreiben, weil ich ihn so sehr liebte, dass ich es nicht ertragen hätte, dass er sich selbst noch mehr Schuld auflädt.

Giorgia: Das tue ich doch immer.

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