Kapitel 107

22 3 0
                                    

Hunter griff über den Tisch nach meiner Hand und verschränkte seine Finger mit meinen. Es war das erste Mal, dass er mich wieder berührte, seit ich ihm in der Gasse um den Hals gefallen war. Sofort prickelte meine Haut, da wo er mich berührte und ich wünschte mir, dass sowohl dieser Tisch zwischen uns verschwinden würde als auch alle Menschen in diesem Restaurant. Wieder fragte ich mich warum er mich ausgerechnet hier her gebracht hatte. Warum waren wir nicht in einem Hotel oder sonst wo wir allein sein konnten?

„Du wirst mir jetzt auf der Stelle erzählen, was hier die letzten Wochen wirklich abgelaufen ist. Nicht dieser geschönte Bullshit den du mir seit Monaten per Nachricht auftischt. Ich will die Wahrheit Red. Ich will wissen was dieser Bastard dir angetan hat." Seine freie Hand ballte sich zu einer Faust und er sah so wütend auf, als wäre er nur Sekunden davon entfernt, seine Faust durch die nächste Wand zu schlagen. „Interessiert dich das wirklich?" fragte ich betont emotionslos, obwohl es in mir tobte. Hunter hatte von Anfang an gewusst oder zumindest geahnt zu was Owen fähig war. War er wirklich so schockiert wie er tat? Oder belog er nicht nur mich sondern auch sich selbst?
„Ja, das interessiert mich. Ich wäre ziemlich abgefuckt, wenn es nicht so wäre oder? Wie kaputt müsste ich denn bitte in deinen Augen sein, dass es mir egal wäre, dass ein Typ die Frau die ich liebe missbraucht hat, in welcher Form auch immer? Hältst du mich wirklich für so kalt?" Er schüttelte den Kopf, als könnte er es selbst nicht fassen, was ich ihm da vorwarf. „Nein, aber ich halte dich für so schlau, dich nicht mit den Gedanken daran zu belästigen, was ich hier durchstehen muss, während du weiter dein gewohntes Leben gelebt hast" keifte ich zurück. Ich wollte eigentlich gar nicht mit ihm streiten, alles was ich wollte war mich in seinen Umarmung zu kuscheln, ihn zu küssen und all das hier vergessen, doch so würde es nicht ablaufen. Es brauchte nur ein Blick in seine Augen und ich wusste, dass er dafür nicht hier war.

„Du bist unfair, das weißt du oder?" knurrte er und fügte direkt hinzu, „Du weißt sehr wohl das ich nicht einfach mein normales Leben weiterlebe. Ich versuche seit Monaten einen Weg zu finden, wie ich euch alle retten kann. Ich reiße mir sprichwörtlich den Arsch auf, um alles zu regeln, damit du zurück kommen kannst, während ich mich jeden einzelnen Tag dafür hasse, was ich dir hier zumute"
Zum Ende hin wird er versöhnlicher, was zwar auch meine Wut verrauchen ließ, doch das hieß nicht, dass ich ihm einfach verzeihen konnte, dass ich hier war und all das erdulden muss. Die letzten Wochen waren meine persönliche Hölle auf Erden gewesen. Am liebsten hätte ich ihn genau das ins Gesicht geschrien, doch ich war nicht ganz unschuldig an der Situation in der wir steckten, immerhin hatte ich mich bewusst dazu entschieden, ihm nichts zu sagen. Ihm jetzt Vorwürfe zu machen, weil er nicht genauer nachgefragt hatte, würde uns nicht weiterbringen.
„Du hast recht. Ich schätze niemand von uns lebt mehr ein normales Leben. Es bringt nichts sich deshalb zu streiten." erklärte ich nüchtern und schluckte meine Wut zusammen mit der nächsten Pommes einfach runter. Im verbergen meiner wahren Gefühle war ich inzwischen wirklich gut.
„Wie kannst du so pragmatisch sein?" Hunter klang gequält und ich sah an seiner ganzen Körperhaltung, dass die Wut ihn noch lange nicht losgelassen hatte. Ich halte seinen Blick fest. „Aus der Notwendigkeit, zu überleben. Die meisten Männer unterschätzen die Widerstandsfähigkeit von Frauen. Wir sind härter, als ihr denkt. Und wie sollte ich auch sonst reagieren? Soll ich bei der Erwähnung seines Namens zurückschrecken und anfangen zu weinen? Nein. Das wäre ein Sieg für ihn, und das werde ich nicht zulassen. Egal was er getan hat oder noch tun wird, diese macht gebe ich ihm nicht"

Einen Augenblick lang sagte keiner von uns ein Wort, doch dann fragte Hunter leise „Was hat er mit dir gemacht Red? Hat er....Dich missbraucht?" Da war so viel Schmerz und schuld in seiner Stimme, dass ich ihn nicht ansehen konnte als ich antwortete „Du meinst körperlich? Nein, das nicht. Das ist nicht Owens Stil. Er brauchte mich nicht zu verprügeln um mich zu quälen. Er hat mich nie geschlagen, aber er ignorierte mich stundenlang, manchmal sogar tagelang, wenn ich ihn verärgert hatte. Er hat mich nie geschlagen, aber er liegt nachts friedlich neben mir, während ich mich wegen der Dinge, die er mir antat, in den Schlaf weine. Er hat mich dazu gebracht, mich selbst zu hassen und mir das Gefühl gegeben, verrückt zu sein. Er hat mich nie geschlagen, aber er hat es geschafft, dass jeder Streit meine Schuld war, weshalb auch jede Form der Bestrafung meine Schuld war. Aber er hat mich nie geschlagen, also war es doch auch kein Missbrauch oder?"
Nach meinem Monolog schaffte ich es wieder aufzusehen, doch als mein Blick Hunters traf bereute ich es sofort. Ich hatte Wut erwartet, blanken Hass und jede Menge Mordlust. Was ich definitiv nicht erwartet hatte waren die Tränen in seine blauen Augen, die heute so blassblau waren wie der Himmel. „oh Red" war alles was er schaffte zu sagen, dann brach seine Stimme und mit ihr unser Blickkontakt. Hunters Kopf fiel zwischen seine Schulter, die plötzlich verdächtig bebten.
Er weinte.
Dieser Berg von einem Mann weinte, meinetwegen.

Cherry bomb Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt