Kapitel 31

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Unruhig lief ich immer wieder an der Tür vorbei, die Hunter und mein Zimmer verband. Kein Geräusch drang duch das dünne Holz zu mir rüber. Den ganzen Morgen war ich zufällig an der Tür vorbei gelaufen, in der Hoffnung etwas zu hören, dass mir sagte, dass er zurück sei.
Das Geräusch eines Weckers, das Klappern der Kleiderbügel oder das Rauschen der Dusche - einfach irgendein Zeichen, dass er da war, doch es blieb mucksmäuschenstill.
Um kurz vor halb 8 nahm ich dann all meinen Mut zusammen und klopfte an der Tür, doch es kam keine Antwort. Frustriert warf ich mich aufs Bett. Warum war er noch nicht zurück?
Ich wollte nicht mit Lorenzo den Tag verbringen, sondern mit ihm.
Oder war er doch zurück und schlief so tief, dass ich ihn mich hörte?
Die letzten Tage waren sicher anstrengend für ihn, es wäre nur verständlich, wenn er erstmal Ruhe brauchte. Wenn das der Grund war, warum er mich nicht fahren würde, dann sollte ich das akzeptieren. Auch Hunter war nur ein Mensch, jeder brauchte mal eine Pause. Ich musste vernünftig sein und es akzeptieren.

Dummerweise waren sowohl Vernunft als auch Geduld nicht unbedingt zwei meiner Stärken. Es war 5 Minuten vor 8, als mir der Geduldsfaden riss. Ohne weiter über die Folgen nachzudenken stürmte ich los und riss seine Tür auf. Sie war unverschlossen, was ich erwartet hatte, doch was ich im Inneren fand hatte ich nicht erwartet.
Ein leeres und ganz offensichtlich unbenutztes Bett. Es gab keine Spur von ihm, keine Reisetasche und auch keine sonstigen Dinge, die mir sagten, dass er hier gewesen war. Frustrierter als es angemessen gewesen wäre, ließ ich mich in einen seiner Sessel fallen, die vor dem Fernseher standen.
Er hatte es nicht geschafft.
Er war nicht hier.

Niedergeschlagen schnappte ich meine Tasche und lief mit hängenden Schultern die Treppe hinab. Ich hatte nicht erwartet, dass mich sein Fernbleiben so treffen würde. Kurz war ich versucht, die Treppe direkt wieder hoch zu Laufen und die Schule heute einfach sausen zu lassen. Doch das wäre zum einen dumm gewesen, denn heute schrieb ich eine meiner Abschlussarbeiten, es wäre vor allem unmöglich gewesen, denn Alberto hatte mich bereits entdeckt „Ah Guten Morgen Miss Sheffield da sind sie ja. Ich dachte schon, sie hätten verschlafen. Ihr Wagen wartet bereits draußen"
Mehr als undefinierbares Brummen brachte ich als Antwort nicht heraus, während ich an ihn vorbei durch die Tür trat, die er mir wie üblich aufhielt. Draußen schien die Sonne bereits gleißend hell, weshalb ich sofort hektisch in meiner Tasche nach meiner geliebten Prada Sonnenbrille suchte, doch ich fand sie nicht auf Anhieb. Ohne aufzusehen ging ich weiter auf den Wagen zu, eine Hand noch immer in den Tiefen meiner Tasche auf der verzweifelten Suche nach der Brille murrte ich auch hier nur ein mehr als undeutliches Guten Morgen sobald ich in Hörweit kam. „Das ist alles? Wow ok also irgendwie hatte ich gedacht, dass du dich mehr freust mich zu sehen, wo du mich doch so vermisst hast Red"

Mir glitt vor Schreck die Tasche aus der Hand. Krachend fiel sie auf die gepflasterte Einfahrt, all meine Sachen fielen heraus, doch das interessierte mich nicht. „Hunter?!" fragte ich vollkommen überrumpelt, ehe alles in mir aussetzte und ich etwas absolut Dummes tat. Mit einer schneller Drehung und einem Schritt nach vorne war ich bei ihm, schlang meine Hände um seine Nacken und drückte mich an ihn. Automatisch schmiegte ich mich in die Kuhle an seinem Hals und sog seinen Duft gierig ein. Erst jetzt begriff ich, wie sehr er mir eigentlich gefehlt hatte.
Was ich hier tat war absolut unangemessen auf so vielen Ebenen, dass ich keine Ahnung hatte, wie ich damit umgehen sollte, sobald der Moment vorbei war, doch das war mir egal. Gerade jetzt war ich einfach nur froh ihn wiederzusehen.
Hunter wirkte eine Millisekunde überrumpelt, doch dann hob er die Arme und schloss sie um meinen Körper. „Du hast mich also tatsächlich vermisst" flüsterte er in mein Haar, er klang fast arrogant, doch das störte mich nicht, denn er sagte die Wahrheit, ich hatte ihn vermisst.

„So sehr ich es genieße, wie du dich an mich schmiegst, solltest du mich langsam besser wieder los lassen, Red. Du weißt doch, die Wände dieses Hauses haben Augen und Ohren, das gilt auch für die hier draußen. Du willst doch nicht das die anderen über uns tuscheln oder?"
Seine Worte waren wie eine kalte Dusche. Sofort löste ich meinen Hände von seinem Nacken und trat einen Schritt zurück. „Sorry... Ich hätte nicht..." stammelte ich plötzlich unheimlich beschämt. Hunter hob die recht Hand, platzierte sie auf meiner Hüfte und strich sanft mit dem Daumen über freie Stück Haut zwischen meinem Top und der Jeans. „Es gibt nichts entschuldigend Red. Absolut gar nichts" Er klang fahrig, so als wären seine Gedanken woanders. Mein Blick glitt über seinen Körper. Noch immer standen wir viel zu nah beieinander, doch gerade wollte ich es nicht ändern, denn es half mir, zu überprüfen, ob er unverletzt zurück gekommen war. Aufmerksam musterte ich sein markantes Gesicht, dass abgesehen von ein paar Müdigkeitsanzeichen aussah wie immer. „Seit wann bist du zurück?" fragte ich leise. Hunter blickte auf seine Uhr „Seit etwa 20 Minuten, sorry es ging nicht schneller."
Die Schatten unter seinen Augen bekamen plötzlich einen ganz neue Bedeutung. Wenn er gerade erst angekommen war, dann war er die letzten Stunden wahrscheinlich unterwegs gewesen, um jetzt bei mir zu sein. Mein Herz schlug schneller. Er hatte all diese Strapazen auf sich genommen, für mich.
„Hast du geschlafen?" Hunter schnaubte belustig „Wer braucht Schlaf, wenn er dafür das Vergnügen hat, dich persönlich zum ersten Tag deiner letzten Schulwoche zu fahren? Diesen Meilenstein wollte ich auf keinen Fall verpassen." Er tarnte es hinter seinem Sarkasmus, doch wir wussten beide, dass mehr Wahrheit in seinen Worten war, als gut war. Ich beließ es dabei und fuhr mit meiner Musterung fort. Er trug heute legerer Sachen, als er normalerweise trug wenn er arbeitete, eine schwarzes Shirt mit passender Jeans statt eines Anzuges, was es mir ermöglichte, auch seine Arme auf ihre Unversehrtheit zu überprüfen.
Am linken Unterarm entdeckte ich ein paar frische Schrammen, die allerdings nicht weiter schlimm aussahen. Beruhigt atmete ich aus, bis mein Blick auf seine Hand fiel, die noch immer auf meiner Taille lag. Die Knöchel waren aufgeschlagen und geschwollen, ein eindeutiges Indiz dafür, dass er jemand geschlagen hatte und zwar mehrfach und äußerst heftig, wenn ich die Verletzungen richtig beurteilte.
„Tut es weh?" wieder schien mein Körper ein Eigenleben zu entwickeln, denn ohne es mit meinem Kopf absprechen, griff meine Hand nach seiner. Vorsichtig strich ich über die Knöcheln, auf denen sich bereits leichte Krusten bildeten.
„Nein, eigentlich nicht. Man gewöhnt sich dran, es ist Teil des Jobs." erklärte er nüchtern, doch als ich aufsah, blickte ich in zwei Augen, in denen das eisblau wild glühte. Noch immer strich ich über seine verletzte Hand, es sah wirklich schlimm aus, weshalb ich mir nicht vorstellen konnte, dass es ihm nicht weh tat.
„Hat sich das ein Arzt angesehen?" Eigentlich kannte ich die Antwort, denn es war nahezu ausgeschlossen, dass er beim Arzt gewesen war, denn das war etwas, dass keiner der Männer meines Onkels durfte. Ärzte stellen Fragen, Fragen die er nicht gebrauchen konnte.

„Ich kann es reinigen und verbinden, wenn du willst" bot ich an. Hunter antwortete nicht, er sah einfach nur auf unseren Hände, als wäre es das faszinierendste das er je gesehen hatte.
„Es war nicht gelogen" wisperte er wie zu sich selbst, dann riss er seinen Blick von unseren Händen und sah mir in die Augen. „Du hast dir wirklich Sorgen um mich gemacht" Keine Ahnung warum, aber er klang unfassbar irritiert von der Tatsache, das mir sein Wohlergehen nicht egal war.
Noch bevor ich etwas dazu sagen konnte, entriss er mir plötzlich seine Hand und beendete was auch immer das gerade gewesen war. „Wir sollten los. Du kommst zu spät zu deiner Prüfung."

Cherry bomb Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt