Kapitel 65

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Wir fuhren bereits etwa eine halbe Stunde schweigend über Land bis ich endlich wieder den Mut fand zu sprechen. Sein Kommentar zu meiner Vorliebe für ältere Modelle hatte mich so überrumpelt, dass ich ohne ein Wort und sicherlich mit feuerrotem Kopf in den Pick up gestiegen war. Seit dem starrte ich stur aus dem Seitenfenster, um bloß nicht den Blick mit ihm zu kreuzen. Keine Ahnung warum mir sein Kommentar so peinlich gewesen war, je länger ich darüber nachdachte desto dummer kam ich mir vor, den eigentlich hatte er ja recht. Ich stand auf die älteren Modelle.

„Woran denkst du?" fragte ich ihn geradeheraus. Auch er hatte bis eben kein Wort gesprochen und unentwegt auf die Straße vor ihm gesehen. Er wirkte so konzentriert, ich nahm an, dass er noch immer an den Überfall und die nach wie vor vorhanden Gefahr für mich dachte, doch da hatte ich mich definitiv getäuscht.
„An dich. Immer. Manchmal nackt. Manchmal nicht. Hängt davon ab" antworte er in einem absolut entspannten Plauderton ohne mich anzusehen, worum ich ausnahmsweise mal froh war, denn ich spürte, dass ich erneut rot wie eine Tomate war.
„Du denkst an mich? Nackt?! Jetzt? Während du Auto fährst?!" fragte ich ungläubig und bekam eins seiner seltenen echten Lächeln zu sehen. „Warum bist du so schockiert Red? Du weißt doch das ich dich will, oder? Und seit ich dich nackt unter der Dusche gesehen habe, ist mein Verlangen nach dir nicht unbedingt weniger geworden, ganz im Gegenteil. Doch leider hatten wir noch kein Zeit, all meine schmutzigen Fantasien in die Tat umzusetzen, weil das Leben nun mal so ist wie es ist. Alles was mir also bleibt sind meine schmutzigen kleinen Gedanken, also bitte sei nicht so und lass sie mir ja?" scherzte er. Mir klappte der Mund runter. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Es schien, dass er mit jeder Meile die wir zwischen uns und Chicago brachten entspannter wurde. Er taute regelrecht auf, endlich bekam ich den echten Hunter zu sehen und zwar länger als bloß für ein paar Augenblicke.

„Solange es deine Konzentration nicht so sehr beeinflusst, dass du uns gegen einen Baum fährst, kannst du weiter an mich denken. Von mir aus auch nackt, du Creep" gab ich ebenfalls scherzhaft zurück, ehe ich wieder aus dem Fenster sah. Ich dachte der kleine Schlagabtausch wäre beendet, doch Hunter legte nochmal nach. „Oh jetzt tu nicht so von oben herab, Giorgia. Du bist nicht besser als ich. Ich weiß genau, das du dich mir auch schon nackt vorgestellt hast" Sofort wurde ich rot, doch ich blieb ruhig und war stolz, dass ich es sogar schaffte, eine halbwegs schlagfertige Antwort zu geben, „Träum weiter. Ich muss mir dich nicht nackt vorstellen. Ich habe dich ebenfalls schon nackt gesehen, oder hast du das vergessen?"
Seine Augenbrauen gingen kurz hoch, während er seine Unterlippe zwischen die Zähne zog, was unfassbar heiß aussah. „Oh glaub mir daran erinnere ich mich sehr gut. An dem Abend hast du mich echt auf die Probe gestellt, Red." er klang amüsiert und gar nicht wütend. Ich mochte diesen Hunter, diesen lockeren und verspielten Hunter und ich hoffte, dass er mir erhalten blieb, wenn wir endlich am Ziel ankämen.

„Wohin fahren wir überhaupt?" fragte ich und wechselte so das Thema, denn mir war schon heiß genug in Hunters geliebten Oldtimer, der vielleicht ja wirklich ein Klassiker war, aber leider nicht mal über eine Klimaanlage verfügte.
„New Buffalo" sagte er, als würde das alles erklären, doch für mich tat es das nicht. Ich hatte noch nie davon gehört. Hunter bemerkte meinen verwirrten Blick. „Das ist ein kleiner Ort direkt am Lake Michigan. Ich habe dort eine Wohnung in der Lake View Avenue, das ist die Straße, in der die Häuser direkt am See liegen. Es ist ein verschlafenes Örtchen, dass im Winter fast wie ausgestorben wirkt, weil viele nur die Sommermonate dort verbringen, aber ich mag es dann besonders gerne dort. Schade das wir gerade Saison haben, jetzt ist es voller als sonst, aber immer noch deutlich ruhiger als Chicago, obwohl es nur etwas mehr als eine Stunde entfernt ist"
Wie er so von seinem Zuhause sprach, hätte ich ihm ewig zuhören können. Es gab mir einen Ausblick in sein Leben wie es war, bevor er sprichwörtlich seine Seele an meinen Onkel verkauft hatte. Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, wie es dazu gekommen war, dass ein ehemaliger Elite Soldat der Navy in den Diensten eines Mafioso gelangt war. Ich war mir sicher, dass es eine Geschichte dahinter gab, schließlich wachte man nicht einfach morgens auf und entschied sich kriminell zu werden. Die Frage, was dazu geführt hatte das er hier gelandet war, brannte mir auf der Zunge, doch ich wollte die entspannte Stimmung nicht zerstören. Das hier war nicht der richtige Moment, also fragte ich was unverfänglicheres. „Hast du dir deshalb dort ein Zuhause aufgebaut? Wegen der Ruhe?" Hunter nickte ehe er begann zu erklären „Nach den Einsätzen im Ausland ertrug ich den Lärm in der Stadt nicht. Es war alles zu viel, nicht der Lärm an sich, auch die Massen an Menschen, der Verkehr und vor allem das Gefühl, nicht atmen zu können hat mich raus aus Chicago getrieben. Eines Morgens dachte ich, ich erstickte wenn ich nur eine Sekunde länger bliebe, also sprang ich in meinen Pick up und fuhr einfach los, bis ich an einem Ort ankam, wo ich wieder Luft bekam. Dieser Ort war New Buffalo. Ich kontaktierte einen Immobilienmakler und kaufte nur einen Tag später das Haus in der Lake View Avenue. Das ist jetzt sicher über 10 Jahre her. Meine Wohnung ist in der oberen Etage, die untere vermiete ich, was echt lukrativ ist. Das Haus trägt sich quasi von selbst."

Jedes seiner Worte sog ich in mir auf, weil jedes Wort mir eine vollkommen neue Seite an ihm offenbarte. Es war schön und beängstigend zugleich, weil mir klar wurde, wie wenig ich eigentlich über sein Leben wusste, während er so gut wie alles über meins wusste.
„Wie machst du das? Ich meine, muss man als Vermieter nicht vor Ort sein? Wenigstens ab und an? Zur Schlüsselübergabe oder so?"
Für mich war die Vorstellung, wie er zwischen zwei Aufträgen für meinen Onkel einem alten Rentner Pärchen die Schlüssel für ihre Ferienwohnung überreicht so absurd, dass ich mir ein Lachen kaum verkneifen konnte. Hunter entging es nicht. Mit einem bösen Seitenblick sah er mich an und mein Lachen blieb mir im Hals stecken.
„Ich habe jemanden, der sich darum kümmert. Apropos, ich muss sie noch anrufen, damit sie weiß das ich komme" Noch während er sprach, fischte er sein Handy aus der Tasche und wählte eine Nummer.
Mein Kopf drehte sich wegen eines kleinen Details, dass er so beiläufig hatte fallen lassen. Sie?!
Es gab eine Sie in seinem Leben? Eine, der er genug vertraute, um ihr sein Haus anzuvertrauen und von der er mir noch nicht ein Sterbenswort gesagt hatte, bis jetzt.

„Hey Violet, Hunter hier" begrüßte er die Frau am anderen Ende der Leitung, von der mein eifersüchtiges Ich hoffte, sie wäre schon mindestens 70 und hätte am besten auch noch einen Buckel. „Ich wollte nur Bescheid geben, dass ich auf dem Weg nach New Buffalo bin. Kannst du mir den Schlüssel hinlegen?" Seine Stimme klang so locker, wie ich sie bis heute noch nie gehört hatte. Es war klar, dass die beiden sich mochten. Ich hoffte er mochte sie wie eine großmütterliche Freundin.
„Nein, du musst nicht für mich einkaufen, ich kann mich durchaus alleine versorgen, auch wenn du es nicht glaubst, habe ich inzwischen gelernt zu kochen, also spar dir deine gehässigen Kommentare." Er lachte, als sie wohl doch etwas erwidert hatte und mir versetzte es eine Stich, weil die beiden etwas hatten, das wir nicht hatten: eine gemeinsame Vergangenheit.
„Ich weiß es noch nicht. Bis zum Ende der Woche aufjedenfall. Vielleicht länger. Ich melde mich bei dir ok?" wieder lachte er und ich verdrehte die Augen. So witzig konnte diese Violet unmöglich sein.
„Ich verspreche es dir ok? Wir reden die Tage. Bis dann und danke Violet"

Violet.
Wie das schon klang.
Und wie er es sagte.
Meine Eifersucht wuchs von einem kleines grünen Tierchen zu einem hässlichen Monster heran, dass mich innerlich zerfraß. „Wer ist Violet?" platze es aus mir heraus, ohne das ich es schaffte, meine Unmut zu kaschieren. „Sie ist eine alte Freundin. Sie kümmert sich um mein Haus, das sagte ich doch." erklärte er etwas perplex aufgrund meiner plötzlichen schlechten Stimmung. Zum Glück interpretierte er den Grund dafür anders. „Ich weiß du bist angespannt, aber es ist bald vorbei ok? Wir sind in etwa 20 Minuten da. Wenn dir erstmal die reine Luft des Sees um dein hübsches Näschen weht, wirst du den ganzen Stress schnell vergessen, glaub mir. Und wenn der Tapetenwechsel allein nicht hilft, dann sorge ich höchstpersönlich dafür, dass du auf andere Gedanken kommst. Das verspreche ich dir Red."

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