Kapitel 74

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Die Kaffeetassen sprangen auf dem schmalen Holztisch in die Höhe und verschütteten ihren Inhalt über die blassgrün gestrichenen Paneelen des Tische, als Hunters Faust schwungvoll auf sie niederkrachte. „VIOLET!" brüllte er sie an, doch sie schlug sich nur gespielt erschrocken die Hand vor den Mund „Opsi"
„Fuck lass die Unschuldsnummer! Du wusstest genau was du tust! So bist du! Du suchst immer nur nach Drama, für dich ist alles und jeder nichts weiter als ein Witz! Die Gefühle von anderen sind dir Scheiß egal!" schrie er sie an, was sie weiterhin fast beängstigend ruhig ertrug. „Gefühle?! Ist das dein Ernst?! Warum sollte ich Rücksicht auf die Gefühle eines kleinen Mädchens wie ihr nehmen? Wir wissen beide, dass das mit euch nicht von Dauer ist, egal was du sie glauben lässt oder wie überzeugend du gerade warst, als sie dir eröffnet hat, dass sie fortgeht. Es ist alles nicht von Bedeutung, nicht für dich. So bist du einfach nicht Hunter und das wissen wir beide. Du vögelst sie, bis es dir langweilig wird und du sie abschießt so wie immer. Was am Ende bleibt sind du und ich, so wie immer"

Meine Ohren rauschten, als ich spürte wie mich die Situation hier mehr und mehr überforderte. Plötzlich kam ich mir dumm vor, dumm und naiv das ich auch nur gewagt hatte zu glauben, dass Hunter und ich jemals eine Beziehung auf Augenhöhe führen könnten, in welcher Art auch immer diese Beziehung aussehen sollte. Violet hatte mit allen Recht, sie kannte ihn seit einer Ewigkeit. Sie war mit ihm zusammen gewesen. So richtig.
Sie war mit ihm buchstäblich am Ende der Welt gewesen, hatte in Kriegsgebiet mit ihm gelebt, jeden Tag in der Angst das es ihr letzter Tag auf dieser Welt sein würde. Ich konnte mir nur zu lebhaft vorstellen, was diese Ausnahmesituation mit dem Liebesleben der beiden angestellt hatte. Wenn man ständig Angst hat, den morgigen Tag nicht zu überleben, dann lebt man. Man lebt mit voller Hingabe und ohne jegliche Reue.
Die Verbindung der beiden muss unsagbar stark sein, nicht nur wegen ihrer gemeinsamen Erinnerung, sondern auch wegen dem hier.
Sie lebten zusammen in diesem kleinen Städtchen, sie kümmerten sich umeinander und gingen beieinander ein und aus, als wäre es das normalste der Welt. Violet und Hunter hatten etwas, dass wir nie haben würden, etwas das man nicht erzwingen konnte.
Eine Geschichte.
Ein gemeinsames Leben voller Erinnerungen, an den sie beide ganz offensichtlich noch immer hingen, wie Violets Verhalten mir gegenüber verriet. Und auch Hunter schien Violet nicht loslassen zu wollen oder zu können, was die Bilder im Wohnzimmer und die Tatsache, dass er sie trotz allem was heute morgen bereits vorgefallen war, noch immer nicht raus geschmissen hatte. Mein Herz wurde zu einem eisigen Klumpen.
Violet hatte Recht.
Am Ende waren er es sie und er.

Mein Stuhl kippten nach hinten über, als ich blitzschnell aufsprang und hinein lief.
„Bist du jetzt zufrieden Vi?" hörte ich Hunter noch sagen, als ich gerade ins Schlafzimmer lief, meine Jeansshort schnappte, sie anzog, in meine Sandalen schlüpfte und dann das Zimmer auch schon wieder verließ. Ich wollte hier weg.
Ich musste hier weg.
Mit einer ungeahnten Heftigkeit riss ich die Eingangstür auf und stürmte hinaus. Ich hatte keine Ahnung, wohin ich laufen sollte, ich wusste nur das ich so viel Platz wie möglich zwischen mich und dieses Irrenhaus bringen musste.
Der Kies der Einfahrt knirschte laut unter meinen Füßen, aber leider nicht laut genug, dass ich überhören konnte, wie nur Sekunden nach mir jemand erneut die Eingangstür aufriss und mir nachlief.
„Komm zurück!" grollte er hinter mir.
„Nein!" Ich schrie ohne stehen zubleiben. Für kein Geld der Welt würde ich zurück in dieses Haus gehen und mich weiter von seiner verdammten Ex Freundin vorführen lassen.
„Du kannst nicht einfach vor mir weglaufen Red!" Seine Schritte donnerten hinter mir her. Inzwischen war ich auf der Straße angekommen und lief in die Richtung, in der ich das Stadtzentrum vermutete.
„Ich habe es bereits getan, falls es dir entgangen ist!" rief ich genervt und beschleunigte meine Schritte. Ich hörte wie er näher kam, lange wurde er nicht mehr brauchen, bis er bei mir war.
„Gott Red! Bleib endlich stehen zur Hölle!!! Musst du so verdammt dramatisch sein?"
Jetzt bleib ich abrupt stehen und wirbelte herum. „Dramatisch? Du nennst mich allen ernstes dramatisch?! In den letzten 48 Stunden bin ich fast vergewaltigt, entführt und getötet worden, musste mein Zuhause inklusive meiner Familie verlassen, bin in eine mir vollkommen fremde Stadt gezogen, habe meine Jungfräulichkeit verloren, hatte einen Streit mit dir über meine oder besser unsere Zukunft der nicht geklärt wurde und zum krönenden Abschluss durfte ich den ganzen verfluchten Morgen mit deiner Ex verbringen ohne es zu wissen! Ich finde ich habe mir ein bisschen Drama durchaus verdient!" schrie ich ihn an, während ich wild mit den Händen gestikulierte, ein Erbe meiner italienischen Wurzeln, dass nur durchkam, wenn ich wirklich in Rage war, und das war ich. Bei Gott ich konnte mich nicht einmal erinnern jemals zuvor so wütend gewesen zu sein wie in diesem Augenblick.

Hunter hatte mich während meines Monologs eingeholt und stand jetzt vor mir, groß und bedrohlich, doch gleichzeitig auch wie ein Fels in Brandung. Mein Fels.
Und da lag das Problem.
Dieser Mann, der mich so forderte und mich wiederholt so schnell an meine Grenzen brachte, war gleichzeitig auch der Mann, der mich erdete und mir seine Sicherheit vermittelte, dich ich seit Monaten nicht gespürt hatte, vielleicht sogar seit Jahren nicht. Mein ganzer Körper verlangte von mit endlich vor ihm wegzulaufen. Er wollte schnellstmöglich Platz zwischen mich und diese Mann bringen, der meine Welt so regelmäßig auf den Kopf stellte, dass ich inzwischen Problem hatte zu erkennen wo oben und unten war.
Zur selben Zeit waren meine Muskeln aber auch wie verkrampft, meine Füße klebten am Boden und mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich in seinen kalten Augen sah, die sich nur für mich zu erwärmen schienen. Dieser Teil in mir schrie mich an bei ihm zu bleiben, mich in seine Hände zu begeben und ihm die Führung zu überlassen. Ich wollten mich so unbedingt fallen lassen und die Verantwortung über die Geschehnisse abgeben, wie ich von ihm weg wollte und mein Leben endlich wieder selbst bestimmen wollte. Dieser innerliche Konflikt verlangte mir so viel Kraft ab, dass ich Probleme hatte mich auf den Beinen zu halten.
Ich war müde. So unfassbar müde von meinem eigenen verkorksten Leben. Ich war es leid zu kämpfen, ich war es leid das alles immer nur schlimmer wurde. Ich war leer und gleichzeitig lief ich über bei all der Emotionen in mir.
Es war zu viel.
Ich schaffte das nicht mehr, doch vor allem wollte ich es nicht mehr schaffen müssen.
Ich wollte nur das es aufhört.

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