Kapitel 98

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Die Suite im St. Regis wurde zu meiner ganz persönlichen Festung. Ich schloss mich in ihr ein, vergrub mich in dem riesigen Kingsizebett und ernährte mich fast ausschließlich von dem, was der Zimmerservice mir auf Anweisung meines Verlobten brachte. Es war wie die moderne, luxuriöse Version eines Kerkers, doch das störte mich nicht. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich die Schlüssel zu diesem Gefängnis selbst weggeworfen.
Ich verließ das Zimmer nur zu zwei Gelegenheiten am Tag. Einmal am Vormittag, um mit dem Fahrstuhl hinunter ins Hotel eigene Fitnessstudio zu fahren, wo ich etwa zwei Stunde trainierte, meist solange bis ich fast zusammenbrach. Nicht weil ich fitter werden oder Gewicht verlieren wollten, nein ich tat es, weil ich das Gefühl der Taubheit liebte, das meine Körper im Anschluss überkam und mich für den größten Teil des restlichen Tages außer Gefecht setzte.
Der einzige Nachteil an meiner morgendlichen Fitnesssession war, dass ich bei ihnen stets von Hunter begleitet wurde. Sobald ich mein Zimmer verließ war er da, natürlich war genau das sein Job, aber ich wollte ihn nicht sehen.
Nicht mehr.

Jedes Mal, wenn er da war, um mich zu begleiten tat es weh. Es schmerzte wie die Hölle ihn nur anzuschauen, denn es erinnerte mich daran, was ich verloren hatte, was mich in nicht mal einer Woche erwarten würde und wie wenig er bereit war es zu verhindern. In den ersten Tagen versuchte er noch mit mir zu reden. Er versuchte es wirklich, war abwechselnd charmant, gemein und versuchte in seiner offensichtlich Verzweiflung sogar witzig zu sein, alles nur um eine Reaktion aus mir zu bekommen, die über ein „Hallo" und ein „Bis morgen dann" hinaus ging, doch ich biss nicht an. Erst weil ich Angst hatte in Tränen auszubrechen, dann weil ich Angst hatte, mich auf ihn zu stürzten wie ein ausgehungertes Tier weil ich nicht nur ihn sondern auch seine körperliche Nähe so sehr vermisste. Zum Schluss lag es aber vor allem daran, weil ich mich selbst zwang, alle Gefühle die ich für ihn hatte zu verdrängen, bis nur noch ein Gefühl über war, das einzige das ich ertrug ohne durchzudrehen.
Es war der Hass auf ihn, der mich durchhalten ließ. Ich fokussierte mich so darauf, dass er zum Ende der Woche hin alles war, was ich empfand, wenn ich ihn sah. Nichts als blanker, kalter Hass.
Wobei das nicht stimmte. Es gab da noch etwas das ich empfand. Rachedurst. Der Wunsch, ihm wehzutun, in leiden zu lassen, so wie ich litt war fast so groß wie der Hass und er wuchs mit jedem Tag. Er wuchs besonders dann, wenn es an der Zeit war für den zweiten Grund des Tages das Zimmer zu verlassen.

Jeden Abend pünktlich um 18.30 Uhr klopfte es an meiner Tür. Es schien Owens persönliche Pflicht zu sein, seine Verlobte jeden Abend zum Essen auszuführen. Zunächst dachte ich, dass er vielleicht auf eine verquere Art wirklich daran interessiert war, dass diese Beziehung mehr sein könnte, als bloß eine geschäftliche Verbindung, doch je öfters wir ausgingen, desto mehr begriff ich, dass er vor allem eins wollte. Er wollte mit mir angeben, wollte gesehen werden wie er mit der Nichte eines einflussreichen Mafiosis zusammen war. Ihm gefiel es, wie die Leute uns ansahen, wie sie mich angafften und ihm bewundernde Blick zuwarfen. Das würde also mein Leben werden. Studium hin und her, am Ende würde ich nur das hübsche Anhängsel am Arm eines Mannes sein, für den ich absolut nichts empfand.

Um alles noch absurder und grausamer für mich zu machen, begleitete Hunter uns auch noch zu jedem dieser erzwungenen Dates. Als er am ersten Abend aus der Tür trat, kaum das Owen und ich den Flur hinabliefen hoffte ich noch, dass Owen ihn überredete, dass er uns alleine gehen ließ. Die Vorstellung eines Dreier Dates mit Owen, Hunter und mir war schlimmer, als die Vorstellung allein mit Owen zu sein. Doch natürlich ließ Hunter sich nicht abwimmeln, nicht das Owen es besonders versuchte. Als er verkündete, dass er uns begleiteten würde, wenn wir das Hotel verließen lächelte Owen bloß böse, zuckte mit den Schultenr und sagte „Wenn du unbedingt willst, bitte"
Mein Inneres wurde kalt, denn die Art wie er es sagte machte mit erneut bewusst, das Owen definitiv wusste, was zwischen Hunter und mir lief. Der einzige Grund, warum er uns nicht verriet musste sein, das er dieses Wissen besser nutzen wollte. Sehr wahrscheinlich als Druckmittel gegen mich.

Wie recht ich damit hatte, bewies er mir am Abend unseres dritten Dates. An den ersten zwei Abenden war er nett, er hielt meine Hand, was ich nicht mochte, aber erduldete. Wir redeten zwar meist nur über belanglose Dinge, aber abgesehen davon, dass ich nicht freiwillig mit ihm ausging, waren es eigentlich zwei ganz angenehme Abendessen, so absurd das klingen mag. Owen und ich kannten uns immerhin schon seit ich nach Chicago kam, wir teilten den gleichen Freundeskreis und seine Schwester war eine meine besten Freundinnen, es gab also durchaus Gemeinsamkeiten zwischen uns, auf denen man aufbauen konnte, wenn man es denn wollte. Oder musste, so wie in unserem Fall.
Wir waren gerade dabei, den Hauptgang zu essen, als er für mich vollkommen überraschend sagte „Dir ist klar, dass das auf Dauer nicht reichen wird oder?" Mit der Gabel auf halben Weg zu meinem Mund hielt ich inne „Was genau?" fragte ich ehrlich verwundert. „Du bist wirklich hübsch anzusehen, weißt dich zu benehmen und bist eine angenehme Gesprächspartnerin, aber das reicht mir nicht, Giorgia. Ich erwarte etwas mehr von meiner Verlobten." Um sicher zustellen, dass ich auch begriff was er mit diesem mehr meinte, legte er seine Hand auf meinen Oberschenkel. Sehr weit oben auf meinem Oberschenkel. Sofort flog mein Blick unbewusst zu Hunter, der wie immer ein paar Tische weiter saß und uns beobachtete. Owen folgte meinen Blick sofort. Das Lächeln, dass seinen Mund zierte, als er begriff wohin ich sah, war das des Teufels persönlich. „Sieh nicht zu ihm. Du weißt er wird dich nicht retten, ganz egal was er dir ins Ohr geflüstert hat, während er seinen Spaß mit dir hatte. Sieh es ein, Giorgia, mehr war es für ihn nie. Er ist ein Mann wie jeder andere. Er hat die Gelegenheiten gesehen, etwas zu bekommen, dass für viele Männer der ultimative Kick ist, nämlich die Jungfräulichkeit eines keuschen Mädchens zu rauben und die hat er ergriffen. Das war alles was er von dir wollte, verstehst du das noch immer nicht? Du warst nie mehr als eine weitere Kerbe in seinem Bettpfosten" höhnte er, woraufhin mein Blick von Hunter weg und zu ihm flog. Ich tat nicht mal schockiert, dass er davon wusste, was mich schockiert war, wie abfällig er darüber sprach.
„Das ist nicht wahr. Du hast keine Ahnung wovon du redest. Du kennst ihn nicht." verteidigte ich Hunter automatisch. „Aber du? Wach auf Giorgia. Du wusstest nicht mal, dass er eine andere hat, die ihm ganz offensichtlich mehr bedeutet als du, denn immerhin hat er sich für sie entschieden oder nicht? Sie scheint er wirklich zu lieben, während er dich nur gefickt hat."

Obwohl seine Worte hart waren, jubelte ich innerlich, denn er hatte mir gerade einen wichtigen Trumpf verraten. Er wusste nicht, wer Phoebe war und das sie nicht allein war. Keine Ahnung was mir dieses Wissen bringen würde, aber es war sicher nicht uninteressant, dass mein Onkel ihm und seiner Familie nicht so sehr vertraute wie er sie glauben ließ.
Owen wertete mein Schweigen als Zugeständnis. „Lass deinen hübschen Kopf nicht hängen, jemand wie er war immer unter deiner Würde. Auch wenn ich ihn fast dankbar bin, für das was er getan hat, bin ich froh das er bald weg ist" Ich zog die Stirn kraus. „Äh wofür genau bist du ihm dankbar?" Owen lachte dreckig auf und ich bekam eine Gänsehaut. „Ist das nicht offensichtlich? Dafür das er dich gefickt hat natürlich. Ich hatte ja auf Maddox gesetzt, aber der Idiot hat es ja nicht hinbekommen" Mir klappte der Mund auf, das konnte er unmöglich ernst meinen. „Du... Du bist froh das er mich..." stammelte ich, ich konnte es nicht mal aussprechen, doch das musste ich auch nicht. „Entgegen der allgemeinen Meinung bin ich nicht scharf drauf, der Erste einer Frau zu sein. Ich weiß nicht was alle damit haben, aber ich kann daran nichts finden. All der Erwartungsdruck der damit einhergeht, dass diese Nacht was besonders werden soll und dann zieren sie sich meist schon wenn sie sich ausziehen sollen, ohne das man vorher den Raum abdunkelt." Er machte mein verächtliches Geräusch. „Ich hab keine Bedarf daran, Jungfrauen zu entehren. Das ist es nicht was ich wollte. Ich wollte dich, Giorgia, als die Frau an meiner Seite und da bist du" Er deutet mit der freien Hand auf mich. „Man könnte also glauben, ich bin am Ziel, aber das bin ich nicht. Noch nicht. Es wird Zeit, dass du deinen Teil dieser Vereinbarung genauso ernst nimmst, wie meine Familie und ich den unseren nehmen. Was bedeutet, dass du lernst dich zu entspannen, die Vergangenheit hinter dir zu lassen und endlich anfängst, dich auf das hier einzulassen und dich wie meine Verlobte verhältst"
Sein Blick war lüstern, was allein schon reichte, damit ich verstand, was genau er damit meinte, doch er wollte wohl sicher gehen, dass ich ihn wirklich verstand, denn seine Hand, die während des ganzen verstörenden Gesprächs auf meinem Oberschenkel geruht hatte, setzte sich jetzt in Bewegung. Sie glitt höher, so hoch, dass sie unter dem Saum meinen Rockes verschwand, während er sich vor lehnte, meine Haare beiseite strich und mir ins Ohr flüsterte „Ich bin kein geduldiger Mann, Giorgia und meine Stimmung wird nicht besser, je länger man mich warten lässt, also rate ich dir, mich nicht unnötig lange zappeln zu lassen. Mir ist klar, dass das für dich alles heftig ist und so, aber meine Geduld neigt sich dem Ende. Es wird Zeit, dass du mir etwas gibst auf dem wir aufbauen können. Ein Zeichen deines guten Willens, wenn du so willst. Ich will was mir zusteht. Ich will dich, mit allem was dazugehört."

Cherry bomb Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt