Kapitel 41

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Am nächsten Morgen erwachte ich mit dem schlimmsten Kater meines noch so jungen Lebens. Kaum hatte ich die Augen aufgemacht, begann der Raum sich zu drehen. Gerade noch rechtzeitig schaffte ich es ins Bad, bevor ich alles, was ich gestern Abend zu mir genommen hatte, wieder ausspuckte. Ich übergab mich so lange, bis ich nur noch krampfte, ohne das etwas herauskam. Vollkommen erledigte beschloss ich mich wenigsten schon mal unter die Dusche zu stellen, auch wenn ich mich sonst zu nichts in der Lage fühlte, wollte ich wenigstens den Geruch der letzten Nacht von mir waschen und einen freien Kopf bekommen. Das Wasser half, aber nur kurz. Kaum war ich aus der Dusche raus, dröhnte mein Kopf wieder so sehr, dass ich mir nur schnell einen Slip und ein Shirt überwarf und mich dann wieder zurück in mein Bett schleppte. Ich wollte weiter schlafen, doch ich war zu wach nach der Dusche. Eingekuschelt in meine Decke schnappte ich mir mein Handy und wollte schauen, was für Fotos meine Freunde von der Party gestern wohl hochgeladen hatten, doch dazu kam es gar nicht erst. Denn noch bevor ich Instagram überhaupt öffnen konnte, sah ich eine Nachricht von Alice, die sie mir heute in aller Frühe mit dem Screenshot von einer örtlichen Nachrichtenplattform geschickt hatte, darunter hatte sie geschrieben:

Alice: OMG Gigi hast du das gesehen??? Gestern Nacht gab es eine Schießerei vor dem Club! Bitte sag mir, das du sicher nach Hause gekommen bist. Coraline und ich haben dich irgendwie aus den Augen verloren. Melde dich bitte xoxo

In meinem Kopf startete sofort das Kopfkino. Eine Schießerei vor dem Club meines Onkels, ausgerechnet an dem Abend, als ich dort meinen Abschluss feierte. Das konnte doch kein Zufall sein. War das ein Anschlag von Crowells Leuten?
Hunter hatte mir zwar versichert, dass sie sich nicht in den Club wagen würden, aber vor dem Club?
Das war durchaus möglich oder?
Vollkommen geschockt und plötzlich hellwach sprang ich aus dem Bett. Ohne nachzudenken rannte ich zu der Verbindungstür zu Hunters Zimmer, riss sie auf ohne zu klopfen und stand einem irritiert drein blickenden Hunter gegenüber, der offensichtlich ebenfalls erst vor kurzen aufgewacht war. Er trug lediglich eine graue Jogginghose und lehnte mit einer Tasse Kaffee in der Hand an seiner Kommode. Ganz kurz lenkte mich der Anblick seines nackten Oberkörpers ab, doch die Panik in mir drängte die Begierde nieder.
„Oh mein Gott Hunter, hast du es schon gehört? Es gab gestern Nacht eine Schießerei vor dem ELEMATE. Ein Mann wurde erschossen. Laut des Artikels hier, kam er gerade aus der Bar, als es passierte"

Meine Stimme war Schrill und ich sprach viel zu schnell, während ich ihm mein Handy mit dem Screenshot entgegen hielt, als würde das alles erklären. Hunter schien wie immer vollkommen entspannt, er grinste sogar als er sagte: „Gern geschehen Red"
„Was?!?"
„Der Kerl hat dich angemacht und ich konnte sehen, dass du dich unwohl gefühlt hast. Also habe ich mich um ihn gekümmert, das ist keine große Sache, ich erwarte keine Blumen oder so, aber ein bisschen Dankbarkeit wäre schon nett. Das hat mich die halbe Nacht gekostet, zum Glück macht eurer Haushälterin echt einen fantastischen Kaffee" erklärte er im Plauderton, bevor er an eben diesem, Kaffee nippt. Mein Herz raste, als mir bewusst wurde, was er da gerade gesagt hatte.
Er hatte es getan.
Er hatte einen Mann erschossen, für mich.
Nur weil ich mich unwohl gefühlt hatte.

„Hunter. Ist das dein scheiß ernst?! Oh mein Gott, spinnst du?" schrie ich ihn an, denn ich zweifelte keine Sekunde an seinen Worten. Eine Erinnerung von gestern Nacht bahnte sich ihren Weg in meinen Kopf, die sein Geständnis noch untermauerte.
Nach unserer verbotenen Nummer in der Limousine war ich an ihn gekuschelt eingenickt, Hunter hatte mich hoch in mein Zimmer getragen und mich ins Bett gelegt. Bevor er ging beugte er sich zu mir, strich mir die Haare aus dem Gesicht und flüsterte „Sei ein braves Mädchen und schlaf deinen Rausch aus. Verlass nicht das Zimmer, hörst du? Ich muss nochmal los, Brio wird nebenan warten, nur für alle Fälle. Ich bin bald zurück Red."
Ich dachte, ich hätte das nur geträumt, aber plötzlich ergab alles Sinn.
Er war nochmal los, um Rache zu nehmen.
Rache für etwas, dass man mir angetan hatte.
Rache in meinem Namen, um die ich nicht gebeten hatte.

„Es ist schon in Ordnung, ich weiß was ich tue, also fahr runter ja? Der Kerl lebt, er ist nicht tot. Ich habe ihn nicht erschossen, sondern lediglich angeschossen. Das ist ein feiner Unterschied. Also entspann dich. Der Kerl wird wieder, aber er wird nicht so bald wieder in deine Nähe kommen und das ist alles was zählt."
Mein Körper schien jegliche Kraft zu verlieren sich selbst aufrecht zu halten, je länger ich ihm zuhörte. Kraftlos ließ ich mich in seinen Sessel fallen, zog die Knie an und legte den Kopf darauf ab.
„Oh mein Gott" wisperte ich, weil mir die Worte fehlten. Das war genau der Aspekt des Lebens als Teil einer Mafia Familie vor dem ich immer Angst gehabt hatte. Ganz egal wie geschmeichelt ich mich fühlte, wenn Hunter mich verteidigte, dass hier ging zu weit. Viel zu weit.
„Du kannst sowas nicht tun" erklärte ich leise. Hunters Antwort kam sofort „Was genau? Meinen Job? Denn genau das habe ich getan. Das ist mein Job. Ich bin hier um dich zu beschützen, zu verteidigen und im Notfall auch, um dich zu rächen. Genau das habe ich getan und ich werde es wieder tun, wenn es nötig ist, ganz egal wie sehr es deine perfekte kleine Welt erschüttert Red. Du bist nicht mehr in Austin und du bist keine unbedeutende Sheffield mehr. Du bist jetzt hier, du bist ein Teil der mächtigsten Familie dieser Stadt und das hat gewisse Vor- und Nachteile, ob es dir passt oder nicht: Das hier ist jetzt dein Leben.
Lern damit zu umzugehen, denk nicht soviel nach und lass mich einfach meinen Job machen, ok?"

Er hatte diesen Blick in seinen Augen, diesen kalten, abgeklärten Blick, den er immer hatte, wenn er von seinem Job sprach. Dieser Blick brachte mich dazu, mich zu fragen, wie viele Leute er wohl schon im Namen meines Onkels verletzt oder getötet hatte. Und das Grinsen das er auf den Lippen gehabt hatte, als er mir wie beiläufig im Plauderton von seiner jüngsten Tat erzählt hatte, ließ mich erkennen, dass er selbst wahrscheinlich schon vor Jahren den Überblick verloren hatte.

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