Kapitel 78

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Das Telefonat dauert nur wenige Minuten, doch mir kam es vor wie eine Ewigkeit. In meinem Kopf spielten sich hunderte Szenarien ab, warum mein Onkel ihn anrief und sie endeten alle gleich:
Wir mussten zurück.
Hunter seufzte schwer, als er sein iPhone zurück auf die Arbeitsfläche legte und sich mit der Hand übers Gesichts fuhr. Er hatte während des Telefonats kaum gesprochen, seine Antworten waren knapp, oft nur ein Ja oder ein ich verstehe während er aussah, als würde er alles verstehen, aber nicht verstehen warum mein Onkel uns das antat.
Warum er das mir antat.

Mehre Male sah ich den Widerspruch so überdeutlich in seinem Gesicht, dass ich dachte, es platze gleich aus ihm heraus, doch er schwieg, weil er schlicht nicht anders konnte. Er musste gehorchen, ein Widerspruch gegen meine Onkel konnte schnell als Verrat an der Familie interpretiert werden, besonders in Hunters Fall, der nach dem offen Streit vor meiner Abreise eh schon angezählt war. Ich verstand warum er nicht widersprach und doch wünschte ich mir von ganzem Herzen, dass er es getan hatte. Ich wünschte mir er hätte für mich gekämpft, so wie er es sonst immer tat. Hunter nahm es für mich mit jedem auf, außer mit dem Mann, der mein Leben kontrollierte als wäre es sein Eigentum und auch wenn ich wusste, dass er keine Wahl hatte, schmerzte die Erkenntnis, dass selbst Hunter mich am Ende nicht vor dem retten konnte, was mein Onkel mit mir vorhatte.

„Wir müssen zurück, nicht wahr?" sprach das Uunvermeidliche aus. Hunter sah so elend aus wie ich mich fühlte, was mir als Antwort reichte. „Wann?" Jetzt sah er sogar so aus, als hätte er tatsächlich körperliche Schmerzen. „Heute. Sofort am besten. Es gibt... nun ja es gibt Probleme, bei denen dein Onkel mich braucht. Er schätzt, dass es nur einen paar Stunden dauern wird, maximal einen Tag, sodass ich bis zur Eröffnung wieder an deiner Seite seinen sollte."
Verwirrt zog ich die Stirn kraus, weil er das so sagten, als sollte ich wissen was er meinte, aber das tat ich nicht. Ich hatte absolut keine Ahnung wovon er sprach. „Was für eine Eröffnung?"
„Na das Restaurant, hat deine Mutter es dir denn nicht erzählt?"
Als ich den Kopf schüttelte fuhr er fort, in seinem Blick lag jetzt ein wissender Ausdruck des Mitleids, weil ihm klar wurde, dass meine Mutter nicht mit mir sprach. Nicht weil ich geflohen war, nein sie sprach nicht mit mir, weil sie geflohen war. Sie war weg, seit über einem Jahr. Es war nur noch ihr Körper da. Die Hülle der Mutter, die sie früher einmal für mich gewesen war und dessen Anblick ich fast genauso wenig ertrug, wie sie meinen nicht ertrug.

„Seit ihrer Rückkehr versucht deine Mutter mehr und mehr eine Fuß in die Geschäfte der Familie zu bekommen. Sie will das Kerngeschäft der Espositos aus der Unterwelt holen. Wenn es nach ihr geht, verdienen wir oder besser ihr eurer Geld demnächst vermehrt mit ehrlicher Arbeit. Inklusive Steuern und dem ganzen Scheiß. Das Restaurant soll der Anfang sein. Nobles Essen statt billigen Nutten wenn du so willst. Keine Ahnung ob es funktionieren kann, ich denke dein Onkel lässt ihr dieses Projekt hauptsächlich nur, damit sie ihn nicht ständig in seine echte Arbeit reinfunkt. Jedenfalls besteht er darauf, dass du anwesend bist bei der Eröffnung des Luminous, so heißt das Restaurant deiner Mutter." Er sah zerknirscht aus, doch mich verletzte es nicht so sehr wie es sicherlich sollte, dass sie mir nichts von dem Restaurant oder ihren Plänen erzählt hatte. Was mich viel mehr interessierte war etwas ganz anders. „Wenn du für meinen Onkel etwas...erledigen musst, wo bin ich dann solange?" Ich wollte gar nicht wissen für was für einen Spezialauftrag er Hunter diesmal brauchte, meine Vorstellungskraft reichte durchaus aus um es mir denken zu können.
„Du weißt das du nicht alleine bleiben kannst, Crowells Männer sind noch immer auf der Jagd nach dir. Mit mir kannst du aber auch nicht kommen, glaub mir wenn es gehen würde, würde ich dich überall mit hinnehmen, aber es geht nicht. Ich hasse es dich aus den Augen lassen zu müssen, weil ich keinem anderen zutraue, dich so zu beschützen wie ich es tun würde, aber da ich keine Wahl habe, habe ich den einzigen Mann gegeben auf dich aufzupassen, dem ich es einigermaßen zutraue. Brio wird dich in Empfang nehmen, sobald wir in der Villa sind und dann nicht von deiner Seite weichen, bis ich zurück bin."

Meine Inneres gefor augenblicklich zu Eis.
„Nein!" Es klang mehr wie ein Flehen als wie ein Befehl, dennoch zuckte Hunter zusammen. „Nein? Ich dachte eigentlich das es dir recht wäre, wenn Brio den Job übernimmt, ich hatte das Gefühl, dass du ihn magst, aber ich kann auch Lorenzo fragen oder jemand anderen" erklärte er unsicher, als ich ihm auch schon ins Wort fiel. „Du hast meinen Einwand missverstanden. Es geht nicht um Brio. Ich mag ihn tatsächlich denke ich. Es geht um die Villa. Ich habe ernst gemeint was ich gesagt habe. Ich kehre nicht dorthin zurück. Niemals. Dann müsst ihr mich gewaltsam zwingen. Freiwillig werde ich keinen Fuß über die Schwelle dieses Hauses mehr setzten."
Ich machte eine Schritt vor und schlang meine Hände um seinen Nacken. „Bitte Hunter. Ich kann nicht dorthin zurück und das weißt du. Nicht mal für ein paar Stunden. Das ist Zuviel, ich kann nicht ok? Bitte tu mir das nicht, bitte es muss eine andere Lösung gehen. Bitte finde einen andere Lösung" flehte ich als würde es um mein Leben gehen, weil es gefühlt auch so war.

Hunter nahm mein Gesicht in seine Hände und strich mir mit seinen Daumen sanft über die Lippen „Es tut mir leid" er flüsterte nur und ich spürte schon wie mir die Tränen in die Augen schossen, weil ich dachte, er würde mir sagen wollen, dass er in diesem Fall nichts tun konnte, doch dann sagte er „Ich habe nicht drüber nachgedacht, als ich eingewilligt habe, dich dort an Brio zu übergeben. Ich schreibe ihm gleich, das Safehouse müsste inzwischen fertig sein, er soll mit dir dort bleiben, bis ich zu euch stoße. Allerdings wärst du dort dann komplett allein mit ihm, ist das in Ordnung für dich? Immerhin kennst du ihn kaum."
Ich schmiegte mich an Hunters Hand, während ich mir nicht zum ersten Mal wünschte, dass mein Leben ein anders wäre. In einem anderen Leben könnten Hunter und ich einfach für immer in dieser kleinen Hütte am See bleiben, nur er und ich.
Ohne Drama.
Ohne Gewalt.
Ohne Angst.
„Vertraust du ihm?"
„Mehr als jedem andern" seine Antwort kam wie aus der Pistole geschossen, ruhig und absolut klar. Also nickte ich. „Wenn du ihm traust, tue ich das auch" Auf Zehenspitzen stehend küsste ich seine Wange und löste mich dann von ihm. Auf seinen fragenden Blick hin sagte ich nur nüchten: „Ich gehe packen. Es nützt nichts es heraus zu zögern oder? Du hast es selbst gesagt: unsere Zeit läuft ab"

Cherry bomb Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt