Kapitel 49

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Die ganze Nacht hatte ich darauf gewartet, dass sich die Zwischentür erneut öffnet und Hunter hindurch tritt. Ich hatte diese Tür angefleht, ich hatte diese Tür beschworen und ich hatte diese Tür verflucht, doch sie hatte sich nicht geöffnet.
Er war nicht zu mir gekommen.
Er hatte mich geküsst und war einfach verschwunden.
Mit geschlossenen Augen atmete ich mehrmals tief durch und wiederholte in meinem Inneren die Worte, die beschrieben, was ich immer noch nicht glauben konnte.
Hunter hatte mich geküsst.
Er hatte mich geküsst.
Hunter.
Mein verboten heißer und viel zu alter Bodyguard hatte mich geküsst, wie noch kein Mann vor ihm mich je geküsst hatte. Da war keine Scheu, kein Abwiegen. Da war nur pures Verlangen gewesen und ich war sofort süchtig nach dem Gefühl, dass er in mir geweckt hatte. Nur deshalb hatte ich die ganze diese verfluchte Tür angestarrt.
Ich wollte mehr.
Mehr von ihm.

Wild entschlossen schwang ich gegen 10.30 Uhr die Beine aus dem Bett und machte mich fertig. Ich hatte mir meine Geschichte genau zurecht gelegt, weil ich nichts dem Zufall überlassen wollte. Sorgsam wählte ich ein besonders knappes Sportoutfit aus, band die Haar zu einem Pferdeschwanz und trug sogar etwas Make-up auf, was ich für gewöhnlich nie tat, wenn ich joggen ging. Als ich mit der Frau, die mich da aus dem Spiegel entgegen sah zufrieden war, nahm ich all meinen Mut zusammen und klopfte an die Tür. Keine Ahnung warum ich heute nicht einfach eintrat so wie sonst. Gestern Abend hatte ihn sein Kollege zum Nachtdienst abgeholt, deshalb war es nicht ausgeschlossen, dass er womöglich noch schlief. Deshalb klopfte ich, ich wollte ihm die Chance geben, dass er sich erst anzog oder sich noch in Ruhe frisch machen konnte. Ich stöhnte theatralisch auf. Wem machte ich hier war vor? Ich klopfte, weil ich unfassbar nervös war. Hunter hatte mich geküsst und dann einfach ins Bett geschickt.
Was bedeutete das?
Bedeutete es überhaupt irgendwas?

Auf mein Klopfen hin passierte gar nichts. Kein herein, kein jetzt nicht - absolut gar nichts. Frustriert klopfte ich nochmal. Und nochmal. Doch es blieb stumm hinter der Tür, egal wie laut ich gegen sie hämmerte oder wie lange ich wartete. Irgendwann verlor ich die Geduld und stieß die Tür einfach auf. Das Zimmer war leer, sein Bett sah genau so aus wie gestern Nacht, wenn ich mich richtig erinnerte. Es sah aus, als wäre er nicht zurück gekommen, nachdem er mich ins Bett geschickt hatte. Wo war er nur?
Kurz überlegte ich, mich im Haus auf die Suche nach ihm zu machen, doch dann entschied ich mich für den bequemen Weg. Zurück in meine eigenen Zimmer schnappte ich mir mein Handy und tippte eine Nachricht.

Giorgia: Wo bist du?

Hunter: Ich bin noch unterwegs. Warum?

Giorgia: War? Weil du mein Bodyguard bist und ich ohne dich nicht das Haus verlassen darf, wenn ich dich erinnern darf. Du selbst bestehst doch so sehr auf das Einhalten von Regeln.

Hunter: Wow da hat jemand aber schlechte Laune.

Giorgia: Ich hab keine schlechte Laune, ich wollte lediglich einen Runde Laufen gehen, so wie immer und kann das jetzt nicht, weil mein Bodyguard sich Gott weiß wo rumtreibt.

Hunter: Niemand hat gesagt, dass du nicht geben kannst, Giorgia. Geh runter in die Eingangshalle, ich habe Gabriele gerade eine Nachricht geschickt. Er weiß Bescheid und wird dich begleiten.
Und ich treibe mich nicht rum.
Ich arbeite.

Giorgia: Das sehe ich anders. Ich dachte dein Job wäre es, mir nicht von der Seite zu weichen.

Hunter: Keine Ahnung was mit dir los ist, aber ich habe kein Zeit für sowas Giorgia. Ich arbeite da, wo dein Onkel mich braucht, mehr kann und will ich dazu nicht sagen. Geh mit Gabriele laufen oder lass es. Mir ist es egal.

Wütend stampfte ich mit dem Fuß auf und warf mein Handy aufs Bett.
Was war das gerade?
Wieso stritt ich mich mit ihm, wenn doch alles was ich wollte war, mich in seine Arme zu kuscheln und ihn wieder zu küssen?
Die Art wie er mit mir sprach gefiel mir überhaupt nicht. Ich hatte wirklich gehofft, dass wir das hinter uns gelassen hatten.
Ich dachte, die Tage, in denen er mich mit seiner Kälte und erzwungen Professionalität versuchte von sich zu stoßen wären vorbei.
Ich dachte, der Kuss hätte was verändert.
Ich dachte wirklich, er hätte etwas bedeutet. Offensichtlich lag ich erneut falsch.
Was auch immer Hunter für ein Spiel mit mir spielte, ich verstand noch immer nicht die Regeln.
Ich verstand überhaupt nichts mehr.

Mit großen, wütenden Schritten stapfte ich Richtung Tür, schnappte meine AirPods und lief die Treppe zur Eingangshalle hinab. Wie von Hunter beschrieben wartet Gabriele schon an der Tür auf mich. Als er mich kommen sah, schnaubte er in einer Mischung aus Verzweiflung und Resignation. „Shit Du willst tatsächlich joggen gehen. Ich dachte O'Brien verarscht mich" Ich würdigte seiner Beschwerde keine Antwort, steckte mir stattdessen meine AirPods in die Ohren und lief einfach an ihm vorbei hinaus. Sobald ich den Kies der Einfahrt unter meiner Füßen spürte lief ich los und sah nicht zurück. Ich lief und lief, eine gefühlte Ewigkeit bis meine Lungen brannten und meine Beine wacklig wurde, doch es war nicht genug.
Ganz egal wie weit ich lief, ich bekam ihn nicht aus dem Kopf. Ihn und seine verdammten Lippen.

„Ich will zurück." erklärte ich dem schwer schnaufenden Gabriele, als er endlich zu mir aufgeschlossen hatte. Wir waren inzwischen mitten in der Stadt, hier standen die Häuser dichter und würden nur von einigen Cafés und Läden unterbrochen.
„Wie zurück? Wohin?" keuchte er und stemmte die Arme auf die Oberschenkel.
„Na nach Hause. Sofort" erklärte ich genervt.
„Du willst den ganzen Weg direkt wieder zurück laufen?" Seine Atemlosigkeit war armselig. Er war doch ein verdammter Bodyguard. Ein Muskelberg. Sollte er nicht fit genug sein, um mit einer zierlichen Person wie mir mitzuhalten?
Hunter war nie so außer Atem.
Er schwitzte nicht mal.

„Gott nein. Ruf mir ein verdammtes Taxi oder so. Muss ich mich denn um alles selber kümmern oder bekommst du das hin, Gabriele?! Ja? Gut. Ich warte da vorne und hole mir ein Matcha Latte"
Ich hörte sein Gemurmel, er beschimpfte mich als arrogante Göre, doch das störte mich nicht.
Mir war es egal. Alles war egal, solange Hunter mich weiter von sich stieß. Ich war so müde, so erschöpft von alle dem, dass die Nachricht, die auf meinem Handy aufploppte, als ich gerade meine Bestellung entgegen nahm, wirkte, wie ein Geschenk des Himmels.

Alice: Hast du Zeit? Mir ist so heiß und langweilig... Ich sehne mich nach eurem Pool und dem gut gefüllten Weinkeller deines Onkels. Und natürlich nach meiner Freundin 😄

Giorgia: Klingt perfekt. Ich bin noch unterwegs, sagen wir in einer Stunde? Ich sage am Tor Bescheid das du kommst. Bis gleich ♥️

Cherry bomb Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt